Erich Hübener

Die Beichte eines Kindermädchens


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      „Ja, gut, also bis gleich“, sagte Schuster und Walter meinte ihm eine gewisse Erleichterung angemerkt zu haben.

      Als Walter die Wachstube der kleinen Polizeistation betrat, stand Schuster am Fenster und sah gedankenverloren hinaus. Als er sich umdrehte sagte er: „Ach, Sie sind das. Kommen Sie doch herein.“ Er bot seinem Gast einen Sessel an und setzte sich selbst gegenüber an den Schreibtisch.

      „Erzählen Sie mir von Olga“, sagte Walter, „ich möchte mir ein Bild von ihr machen. Vielleicht hilft uns das weiter.“

      „Da gibt es nicht viel zu erzählen“, meinte Schuster, „bis gestern wusste ich ja selbst kaum etwas über sie. Jetzt hab‘ ich einiges zusammengetragen, von der Gemeinde, vom Einwohnermeldeamt und das, was sie Frau Fischer so erzählt hat. Also, sie heißt Olga Zchernichsowa.“ Er schrieb den Namen in Druckbuchstaben auf einen kleinen Zettel. „Fragen Sie mich nicht, wie das ausgesprochen wird. Sie ist in einem kleinen Dorf in Russland, irgendwo an der Wolga geboren. Ihre Oma war Deutsche. Von der hat sie die deutsche Sprache gelernt. Ihre Mutter soll auch noch in Deutschland geboren sein. Sie, also die Mutter, heiratete dann später einen Russen. Aus dieser Ehe stammten zwei Kinder, nämlich Olga und ihre kleinere Schwester Irina. Diese Ehe scheiterte, warum auch immer, aber die Mutter heiratete später noch einmal, eben diesen Herrn Zchernichsowa. Der adoptierte die beiden Mädels und deshalb tragen sie seinen Namen. Was aus dem ersten Mann geworden ist, weiß man nicht. Eines Tages stand Olga dann vor der Tür bei Frau Fischer und hat sich um die Stelle als Kindermädchen beworben. Auf die Frage von Frau Fischer, warum sie nach Deutschland gekommen sei, hat sie gesagt, sie habe das Geburtsland ihrer Oma kennen lernen wollen.“

      „Wie war Frau Fischer denn mit ihr zufrieden?“

      „Anscheinend sehr gut. Sie hat sich nur positiv über ihren Fleiß und ihre Sauberkeit geäußert.“

      „Hatte sie denn Kontakt zu der übrigen Bevölkerung?“

      „Zunächst kaum. Ausländer haben es in einem so konservativen Ort wie diesem nicht ganz leicht. Aber nach und nach wurde sie akzeptiert.“

      „Ja, gut“, meine Walter, „aber irgendetwas muss da noch gewesen sein. Es muss doch einen Grund dafür geben, dass sie umgebracht worden ist.“

      Schuster druckste ein bisschen herum. Dann sagte er: „Na ja, da ist noch etwas. Als sie hier ankam, sah sie in ihren russischen Klamotten aus wie eine graue Maus. Aber von ihrem ersten Geld hat sie sich neu eingekleidet. Sehr flott, nicht wiederzuerkennen. Meiner Meinung nach für unseren Ort zu sexy. Die Männer waren hinter ihr her, wie der Teufel hinter der armen Seele, wie man hier so sagt. Und es gab sogar Gerüchte, dass sie die Männer verführt hat, nicht umgekehrt. Aber nicht für Geld. Es schien ihr einfach nur Spaß zu machen.“

      „Da kann es auch schon mal böses Blut gegeben haben“, meinte Walter.

      „Und Eifersucht war schon immer ein starkes Mordmotiv.“

      „Und sicher nicht nur bei Männern“, ergänzte Schuster.

      „Richtig, bei Frauen nicht minder. Olga war nicht sehr groß und wog auch nicht sehr viel. Eine kräftige Frau hätte sie auch zur Teufelskanzel bringen und dort hinunter-werfen können.“

      „Und eine kräftige Frau hätte ihr auch eine Schlinge um den Hals legen und zuziehen können.“

      „Damit hat sich soeben die Zahl der Verdächtigen so gut wie verdoppelt“, konstatierte Walter. „Aber ich denke, wir kommen heute hier nicht weiter. Lassen Sie uns die Ergebnisse der Spusi und der Frau Doktor abwarten. Vielleicht sehen wir dann mehr.“

      Walter machte einen Spaziergang durch den Stadtpark. Das brauchte er, wenn er über eine Sache nachdenken wollte: Frische Luft, Bewegung und niemanden, der zwischendurch redete oder gar irgendwelche Fragen stellte.

      Für ihn passte einiges nicht zusammen. So wie er und der neue Kollege Schuster die Tote vorgefunden hatten sah es nicht so aus, als sei sie aus einer Höhe von zehn oder gar fünfzehn Metern hinabgestürzt. Außerdem hätte sie sich dabei mit Sicherheit einige Knochen gebrochen. Und das hätte die Pathologin auch schon bei oberflächlicher Untersuchung festgestellt, aber davon war nicht die Rede gewesen. Er erinnerte sich, dass er als erstes den Eindruck gehabt hatte, als sei die Tote auf der Feuerstelle förmlich drapiert worden und nicht, als sei sie aus großer Höhe abgestürzt. Er hatte da so eine Idee, aber darüber würde er mit der Frau Doktor sicher nicht reden können, noch nicht.

      Als Kommissar Walter am nächsten Vormittag auf das Revier kam, schien Kollege Schuster total verwirrt zu sein. „Gut, dass Sie kommen, Chef“, sagte er, „Sehen Sie sich das bloß einmal an.“

      Walter überging die Anrede. Auf dem Schreibtisch waren die Fotos vom Fundort ausgebreitet. Aber auf den ersten Blick konnte Walter nichts Aufregendes erkennen.

      „Nein, hier“, sagte Schuster und zeigte auf den Tisch in der Sitzecke. Dort lag die Lokalzeitung. Auf dem Titelblatt prangte ein riesiges Foto von Olgas Leiche, so wie sie aufgefunden worden war.

      Walter setzte sich in den Sessel und betrachtete das Bild.

      „Da muss einer vor uns dagewesen sein. Irgendein Presseheini oder so ein Schnüffler.“

      „Von der Spusi haben die das nicht. Die dürfen das nicht. Und außerdem müssten wir dann auch mit auf dem Bild sein“, stellte Schuster fest.

      „Und was ist mit unserem Pilzsammler?“, fragte Walter.

      „Der hatte doch sein Handy nicht dabei.“

      „Sagt er. Und was ist mit einem Fotoapparat?“

      „Darüber haben wir nicht gesprochen.“

      „Ärgerlich, diese Geschichte“, sagte Walter, „aber nicht zu ändern.“

      Der Text war lächerlich „Grausiger Leichenfund in Harmonie, junge Frau tot auf dem Altar der Teufelskanzel, die Polizei tappt vorerst im Dunkeln was den Täter oder ein Motiv anbelangt, die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang.“ Es folgte das übliche Geschwafel.

      Er legte die Zeitung beiseite, stand auf, ging zum Schreibtisch und betrachtete die Bilder der Spusi genauer.

      „Irgend was Auffälliges?“

      „Nee, Chef, nicht mehr als gestern.“

      Jetzt hakte Walter ein: „Wenn Sie weiter Chef zu mir sagen, dann nenne ich Sie ab sofort nur noch den Juniorpartner, oder einfach nur Junior.“

      „Okay, Chef“.

      „Okay, Junior.“

      „Schon was von Frau Doktor gehört?“

      „Nee, Chef.“

      Er hatte sich schon wieder daran gewöhnt. So lange war es ja auch noch nicht her, dass er täglich mehrfach so angeredet worden war.

      „Junior, haben Sie eigentlich irgendwo den Namen unseres Pilzsammlers?“

      Schuster zückte sein Notizbuch. „Hier Chef, er heißt Egon Herwig und wohnt im Gästehaus Thomsen, am westlichen Ortsrand, hinter der Kirche links und dann immer geradeaus.“

      „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich dem Herrn einen Besuch abstatte?“

      „Nein, Chef, warum sollte ich. Aber was haben Sie denn vor?“

      „Ich will mal auf den Busch klopfen, oder auf den Pilz. Mal sehen, wer oder was da herausspringt.“

      Walter verließ das Polizeirevier. Mit dem Ergebnis der Obduktion war sicher frühestens am nächsten Tag zu rechnen. Er ging, wie vom Junior beschrieben, an der Kirche links und dann immer geradeaus. Die zur Ferienwohnung ausgebaute Scheune war nicht zu übersehen. Davor, auf einem anscheinend extra dafür angelegten Spielplatz, liefen ein paar Kinder herum.

      „Weiß denn jemand von euch, wo der Herr Herwig wohnt?“, fragte er aufs Geradewohl.

      „Ja“, sagte eines der Kinder, „der Papa sitzt hinten im