Gerhard Ebert

WOLLUST ACH - Uwe, der Student


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Entladung unter den Teppich zu platzieren.

      Als er neu blätterte, überkam ihn neue Gier. Es war schwer, sich für eine der Schönen als potentielle Partnerin zu entscheiden. Er verweilte bei einem aufrecht sitzenden Weib, dessen langes schwarzes Haar auf ihre prächtigen Brüste fiel, sie gleichsam umspielte und dadurch hervorhob. Mit dunklen Augen schaute sie Uwe durchdringend an, als sei er just ihr Beischläfer. Jedenfalls in seiner exquisit angereicherten Phantasie, die ihm nun besser denn je half, sich ordinär körperlich zu befriedigen. Als er schließlich im Bett lag, bedrückte ihn seine widernatürliche Tour. Aber er sprach sich frei. Es war nicht seine Schuld, dass ihn die Natur potent gemacht hatte, ihm jedoch keine Frau dafür bot. Und ob er in der Linienstraße darauf eine Antwort finden würde, schien ihm höchst zweifelhaft. Aber umschauen müsste man sich natürlich schon einmal. Jedenfalls nahm er sich das vor.

      Am nächsten Vormittag kam Uwe nur schwer in Gang. In Hausarbeit sollte die Strichfassung des Stückes entstehen, das gerade im Theater am Schiffbauerdamm gearbeitet wurde und zu dem die drei Studenten ihre Meinung kundtun sollten. Doch statt des Textbuches hatte Uwe erst einmal wieder dieses verführerische Heftchen in der Hand. Ihm war klar, dass er sich hüten musste, sich diese Porno-Schönen sozusagen als Lebensziele einzuprägen. Für ihn stand mittlerweile fest: Er war überhaupt nicht der Typ für diese Sorte Frauen. Von denen hatte bislang nicht eine ihn auch nur angeblickt. Wahrscheinlich war er nicht männlich genug für sie, jedenfalls was das Aussehen betraf. Auf alle Fälle fehlte ihm wohl so eine gewisse Brutalität, auf welche die blonden wie die schwarzen Schönen leider Gottes stehen. Andererseits mochte er es sich nun wirklich nicht auch noch selbst versagen, solche absolut attraktive Frauen wenigstens auf Fotos intensiv anzusehen, zumal, wenn sie sich freizügig im Adamskostüm präsentierten.

      Nachdem Uwe dergestalt erst einmal Zeit verplempert und es immerhin geschafft hatte, sich nicht schon wieder vom Anblick einer papiernen Nackten in geile Verzweiflung treiben zu lassen, wühlte er sich in den Text des Stückes. Der Chefdramaturg hatte mit dem Stichwort „Geschwätzigkeit“ eine gewisse Orientierung vorgegeben. Alsbald fanden sich tatsächlich immer wieder Stellen im Text, wo die agierenden Gestalten über einen geringfügigen Sachverhalt mit einer Ausführlichkeit palaverten, die der Zügigkeit der Handlung ganz zweifellos abträglich war. Uwe machte seine Striche und war nach gut zwei Stunden ausgesprochen zufrieden mit sich. Er sah sich gerüstet für den Vergleich mit Christa und Ursula, der bei einem nachmittäglichen Treffen im Quartier von Christa in Krumme Lanke stattfinden sollte. Uwe machte sich freilich nicht auf den Weg, ohne vorher das heiße Papier mit den noch heißeren Damen sorgfältig zu verstecken.

      Die U-Bahn-Fahrt erwies sich als ziemlich zeitaufwendig. Viele Stationen, viele Kurven. Und bei recht hohen Temperaturen nicht unbedingt ein Vergnügen. Schmuckes Grün dann rings am Bahnhof, eine schöne, ruhige Ecke Berlins offenbar. Christa war in der Karl-Hofer-Straße bei Verwandten untergekommen, und Uwe hatte wenig Mühe, das Haus zu finden. Sie begrüßte ihn locker, und er registrierte sofort, dass sie sich offenbar allein in der Wohnung aufhielt. In ihrem mit Schlafcouch, zwei Sesseln, Tisch und Schrank recht praktisch eingerichteten Zimmer hatte sie für drei Personen eingedeckt: Kaffee und Kekse. Auf dem Tisch lag außerdem einsatzbereit das Textbuch.

      Es war warm im Raum, und Uwe trat ans offene Fenster. Von da bot sich nicht nur ein schöner Blick ins Grüne, man konnte auch den Weg einsehen, auf dem Ursula kommen musste. Aber sie kam nicht. Also warteten beide. Er am Fenster, sie am Tisch. Seltsame Situation. Austausch von Belanglosigkeiten. Sie fand, er hätte ein hübsches Sporthemd an. Er fand, ihr Zimmer sei hübsch. Anerkennend blickte er sich um. Dabei sah er, dass die Couch fast so einladend disponiert war wie der gedeckte Tisch. Samtenes Kissen auf samtener Decke.

      Unvermutet trat Christa zu ihm heran, und zwar näher, als das eigentlich schicklich gewesen wäre. Bitte, es konnte Zufall sein, aber er spürte ihre sich anschmiegende Brust an seinem Oberarm. Was ihn prompt ziemlich in Wallung brachte. Ohne Zweifel: Sie suchte körperliche Nähe! Welch überraschende Herausforderung. Er erstarrte zur Salzsäule. Jetzt keinen Fehler machen! Doch wie reagieren? Erst einmal gab er sich der ungewohnten Empfindung hin. Denn was er da spürte, war kein Papier, sondern eine lebendige Frau! Hatte er zu lange gezögert? Just, als er sich zu einem kühnen Satz aufraffen, als er nämlich sagen wollte: „Schön, dich zu spüren“, trat Christa zurück und schlug vor, schon mal Kaffee zu trinken. Wenn Ursula sich verspäte, sei es ihre Schuld. Resolut nahm sie Platz und schenkte ein.

      Uwe verharrte ziemlich benommen am Fenster, überlegte fieberhaft, ohne es sich merken zu lassen. War hier so etwas wie eine sturmfreie Bude?

      „Ja, ja, nehmen wir einen Schluck“, sagte er nun möglichst beiläufig, trat zum Tisch und setzte sich Christa gegenüber.

      Erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass sie unter der dünnen Bluse gar keinen BH trug. Sollte er das als Signal deuten? Ihm blieb keine Zeit, darüber zu grübeln. Sie reichte ihm die Kekse und schaute ihn dabei mit blitzenden Augen an, als biete sie sich selbst. Jedenfalls kam Uwe das so vor. Und auf einmal war er geradezu hilflos. Solche Art, Interesse signalisiert zu bekommen, war ihm neu, und von Christa hätte er derlei nicht erwartet. Sie war eine aufgeweckte und freundliche Frau, durchaus ansehnlich, aber bislang immer leicht distanziert im gegenseitigen Umgang. Offenbar wusste sie im Moment genau, dass Ursula gar nicht kommen würde. Und sie wusste offenbar ebenso genau, dass ihre Wirtsleute für Stunden irgendwo in der Stadt weilten. In derlei Gedanken vertiefte sich Uwe, statt seinerseits sofort gewisse diskrete Signale auszusenden. Er schlürfte den heißen Kaffee, sie knapperte einen Keks. Funkstille.

      Ewiges Elend also! Wieder einmal verstand Uwe aus einer potenziell erotischen Situation nichts zu machen! Auch, weil er im Moment ja leider ganz andere Weiber im Kopfe hatte. Vor allem aber, weil Christa ihm letztlich nicht so verführerisch schien, dafür alle nun einmal leider mit einem Beischlaf verbundenen Risiken einzugehen. Gewiss, er hätte sie nicht gleich heiraten müssen. Das war noch das geringste Problem. Doch nebenher mal schnell eine Frau zu vögeln und dann zur Tagesordnung überzugehen, als sei nichts gewesen, das war einfach nicht in seinem Kalkül. Doch was noch gewichtiger war: Er hatte keinen Gummi bei und außerdem noch gestern kostbare Ladungen einfach vergeudet. Welch eine Schande, wenn er hier einen verführerischen Mann mimen und dann kläglich versagen würde! Was wiederum nicht unbedingt eintreten musste. Und außerdem: Warum, zum Teufel, sagte sie nicht einfach: „Komm, schlaf mit mir!?“

      Christa riss ihn aus seinen Gedanken. Sie blätterte ihr Textbuch auf, nun wieder die spröde Sachlichkeit in Person. Ihre Beziehung, die noch eben eine ganz überraschende Wendung hätte nehmen können, pendelte sich wieder auf Normalität ein. Beim nun folgenden Vergleich der unterschiedlichen Vorschläge für Streichungen des Textes stellte sich alsbald heraus, dass sie merklich rigoroser gewesen war als Uwe. Sie gab das zu, beharrte aber auf ihren Überlegungen. Uwe war nicht erpicht darauf, mit ihr zu debattieren und sich unnötig in geistige Unkosten zu stürzen. Er ahnte, dass sie zu einer Beschäftigung veranlasst worden waren, für die sich letztlich niemand ernsthaft interessieren würde; denn die Proben am Theater liefen ja längst. Der Regisseur würde nicht bereit sein, wegen ihrer Striche eine neue Diskussion vom Zaune zu brechen.

      Nachdem die zwei denn also ihre Strich-Vorschläge bienenfleißig verglichen und dabei alle Kekse aufgefuttert hatten, schien Uwe die Zeit gekommen, sich davon zu machen. Christa hatte keinerlei neue Signale gesendet, jedenfalls nicht solche, die er auch wahrgenommen hätte. Ihn trieb inzwischen ein ganz anderer Gedanke. Ihm war so nebenbei in den Sinn gekommen, den freien Nachmittag zu nutzen, endlich einmal die Linienstraße zu erkunden. Kaum gedacht, befeuerte die Idee seine Neugier. Er hatte es jetzt sehr eilig. Mochte Christa sich wundern, es war ihm gleichgültig.

      Eine Stunde später war Uwe - vom Bahnhof Friedrichstraße kommend - in Richtung Linienstraße unterwegs, und das recht unzufrieden. Es war sehr heiß geworden, und sein Unternehmen, ahnte er, eigentlich irgendwie Schwachsinn. Viel naheliegender wäre es gewesen, sich in Richtung Müggelsee auf den Weg zu machen, denn dort, hatte er beim Tanzen in der „Melodie“ erfahren, gab es angeblich neben dem normalen Badestrand einen besonderen Strand für Nudisten.

      Den zu besuchen, fand er, hätte eigentlich allererste Priorität haben müssen, insbesondere bei dieser Hitze. Und das wäre wunderbar ganz ohne Badehose möglich gewesen. Allein, der Müggelsee lag