Gerhard Ebert

WOLLUST ACH - Uwe, der Student


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Beine und fand, dass sie stramm und gerade waren. Dann wurde er abgelenkt; denn das Paar an seinem Tisch überlegte, ob es nicht anders Platz nehmen sollte, nämlich nicht neben einander, sondern sich gegenüber. So ist das halt, dachte Uwe, wenn man sich mit einer Frau einlässt. Da hörte er hinter sich eine Stimme fragen:

      „Ist der Platz noch frei?“

      Es war tatsächlich die adrette Person, die noch eben vorbei gegangen war. Uwe jauchzte innerlich auf. Sie sah nicht übel aus. Keine umwerfende Schönheit, aber nett anzusehen.

      „Bitte, bitte!“ sagten seine Nachbarn, die sich soeben geeinigt hatten, ihre Plätze nicht zu wechseln. Auch Uwe sagte eilfertig:

      „Bitte!“ wobei er den Stuhl ein wenig zurecht schob.

      „Danke!“ sagte sie mit angenehmer Stimme. Und schon war der Stuhl besetzt.

      Hatte sich Uwe zu früh gefreut? Zwei leicht aufgetakelte Damen kreuzten auf und redeten ziemlich aufdringlich auf seine Nachbarin ein. Offenbar wollten sie sie zu ihrem Tisch holen. Aber sie blieb. Nur keinen Fehler machen jetzt! Warum war sie sitzen geblieben? Hatte das gar mit ihm zu tun? Uwe ermahnte sich. Jetzt keine falschen Hoffnungen hegen! Die Sache kalt angehen! So kalt wie möglich! Aber wie das machen, wenn man gegen seinen Willen aufgeregt ist? Diese Fremde sah nicht nur ganz passabel aus, sie war auch von guter Figur. Da konnte man schon ein gewisses Kribbeln kriegen. Es fügte sich wahrhaftig nicht oft, in einem Tanzlokal unmittelbar neben einer Frau zu sitzen, die man gern als die Eroberung des Abends verbucht hätte.

      Dann eine Überraschung! Der Kellner brachte ihr eine Flasche Selterswasser! Sie kam also offenbar aus Ostberlin. Das war ein Punkt, darüber könnte man fast versuchen, ein Gespräch einzufädeln. Aber Uwe hielt sich zurück. Keine Übereilung. Diese Nachbarin war ihm im gewissen Sinne ja erst einmal sicher, denn sie blieb in der Nähe, sofern sie nicht gleich nach dem ersten Tanz mit einem Herrn an die Bar abziehen würde. Was wiederum wahrscheinlich nicht unbedingt sogleich drohte, denn auf Alkohol stand sie offenbar nicht.

      Im Übrigen hatte Uwe nebenher registriert, dass sich das Pärchen an seinem Tisch eine Flasche Rotwein hatte kommen lassen. Womit für ihn feststand, dass Kontakt nicht wünschenswert war. Worüber hätte er mit ihnen reden sollen? Nein, nicht diesen letzten Abend in Berlin mit Groll belasten. Die beiden waren immerhin so höflich, ihre Gespräche leise zu führen und den Tisch nicht damit zu dominieren. Was natürlich auffällig machte, zumindest Uwe spürte es, dass zwischen ihm und seiner Nachbarin bislang Funkstille herrschte.

      Er hatte inzwischen festgestellt, dass sie über einen verführerischen Mund verfügte, vielleicht ein bisschen zu breit, na schön, aber die Lippen nicht verbiestert zusammen gekniffen, sondern offen, geradezu herausfordernd lasziv. Auch das Haar verlockend! Dunkelbraun, locker und leicht über die Schultern fallend, in seiner natürlichen Fülle irgendwie Wildheit signalisierend. Es erinnerte ihn an die kesse Biene, die ihm auf einem der Fotos des heißen Magazins so aufregend direkt anschaute.

      Uwe wurde unruhig. Er hatte keine Idee, wie er an seine Nachbarin herankommen könnte, obwohl sie doch schon neben ihm saß. Sie gleich zum ersten Tanz zu bitten, könnte von ihr als Aufdringlichkeit ausgelegt werden. Manche Frauenzimmer reagierten da unerwartet eigensinnig. Den ersten Tanz auszulassen, konnte andererseits bedeuten, dass dann für den Abend schon alles gelaufen war. Jedenfalls in Bezug auf diese auf den ersten Blick nicht unbedingt auffallende, beim zweiten Blick aber durchaus adrette Frau. Dass sie beim ersten Tanz nicht sofort aufgefordert werden würde, schien ihm jedenfalls höchst unwahrscheinlich. Und wenn ein Mann käme, der ihr imponierte, würde es schwer werden, ihn auszustechen. Solche Überlegungen konnten zur Qual werden, konnten lähmend sein. Uwe stöhnte innerlich. Ihm war klar, er musste schon vorher, vor Beginn des Tanzes, irgendeinen Versuch machen, ihr sein Interesse zu signalisieren. Aber wie?

      „Entschuldigen Sie“, hörte Uwe sich plötzlich fragen, „wissen Sie zufällig, wer heute Abend hier auftritt?“

      Die Frau drehte sich zu ihm um und schaute ihn sichtlich überrascht an. Fast war ihm, als blicke die Schöne aus dem Magazin gnadenlos auf ihn. Nun zuckte sie ratlos mit den Schultern und meinte sachlich, aber freundlich:

      „Tut mir leid, keine Ahnung!“

      „Kein Problem, hätte ja sein können“, trat Uwe den Rückzug an. Aber die Nachbarin ließ den Kontakt nicht abbrechen.

      „Ich bin wegen der Kapelle hier“, sagte sie.

      „Oh, die sind gut“, fügte Uwe sofort hinzu, obwohl er absolut keine Ahnung hatte.

      „Die sind wirklich gut“, echote die Adrette.

      Uwe jedoch war inzwischen geradezu übel geworden. Solche Damen, die wegen der Kapelle kamen, kannte er. Die saßen den ganzen Abend herum, tanzten mit diesem und jenem Herrn und zogen am Ende mit irgendeinem Trompeter davon. Daher sondierte er:

      „Sie kennen die Herren?“

      „Ja, ja, ein bisschen.“

      „Aha, aha“, stieß Uwe hervor.

      „Mein Bruder ist dabei“, schob sie nach.

      „Oh, schön“, sagte nun Uwe, und das war sehr ehrlich gemeint, obwohl da immer noch vier Herren übrig blieben, mit denen sie davonziehen könnte. Man musste das jetzt abwarten. Uwe beschloss, den ersten Tanz zu versuchen, und dann erst einmal zu pausieren. Zu aufdringlich zu sein, schien bei der Sachlage nicht geraten. Zumal der Bruder da oben auf dem Podest immer ein Auge für seine Schwester haben würde. Die Nachbarin hatte sich inzwischen wieder ihrer Selters zugewandt, und Uwe starrte in sein Bier.

      Endlich trottete die Kapelle herein, eine Truppe von fünf Männern plus Sängerin. Die Dame sah nicht übel aus, und als sie jetzt die Gäste des Abends begrüßte, machte sie durchaus eine gute Figur. Uwe sortierte sie aber sofort aus. Sie machte für ihn zu äußerlich, zu primitiv auf mondäne Frau. Das war im Grunde lächerlich und abstoßend. Jedenfalls für ihn.

      Seine Nachbarin hatte unterdessen kurz einmal ganz nebenher nach oben gewinkt, und wenn Uwe es recht gesehen hatte, so war es der Schlagzeuger gewesen, der ebenso beiläufig kurz erwidert hatte. Der legte denn auch mit einem furiosen Solo los, und Uwe sah, wie der flotte Rhythmus seiner Nachbarin in die Beine und in den ganzen Körper fuhr. Das ließ eine flotte Tänzerin vermuten. Schon stand er auf, trat an sie heran und bat um den Tanz. Sie nickte sachlich, erhob sich und beide betraten das Parkett.

      Doch welche Enttäuschung! Das Frauenzimmer war ausgesprochen schwerfällig. Uwe liebte es, wenn sich eine Tänzerin leicht wie eine Feder führen ließ, und ihn verdross, wenn er das Gefühl hatte, dass die Tänzerin am liebsten geführt hätte. Ganz so arg war das jetzt nicht, aber die Dame war von einer gewissen Trägheit, die er nicht vermutet hatte und erst einmal verkraften musste. Sehr schnell jedoch entschied er, mit ihrer Tanzkunst zufrieden sein, wenn sie sich näher kommen sollten. Dann musste dieser gewisse Nachteil hingenommen werden.

      Nachdem er mit dem unvermuteten Problem im Reinen war, versuchte er, seine Angel auszuwerfen, indem er ihrem vermeintlichen Bruder Komplimente machte. Möglichst neutral sagte er:

      „Ich tanze gern, wenn der Schlagzeuger den Rhythmus so gut vorgibt“.

      „Ja, ja, meine Bruder ist gut“, reagierte sie offenherzig, ohne sich freilich einen Deut leichter und eleganter zu bewegen. Das mit dem Bruder stimmte also. Aber wie konnte die Schwester eines Schlagzeugers als eine obendrein auch noch wirklich gut gebaute Frau so behäbig sein? Sie zu bewegen, war echte Schwerarbeit.

      Was nun freilich ganz und gar versöhnte, und Uwe alle Mühsal vergessen machte, war ihr verführerischer Mund. Er konnte ihn endlich genau sehen. Ihn zu küssen, fand er, musste einfach die reine Wonne sein. Ohne Zweifel, dieser Mund war ein erstrebenswertes Ziel. Zumal er inzwischen über ihren Lippen die leichte Andeutung eines Bartes entdeckt hatte. Das fand sich zuweilen bei solch dunklen Typen. Warum es ihm das Objekt seiner Begierde besonders anziehend machte, wusste er sich nicht zu erklären. Aber das war, entschied er, im Moment nicht sein Problem.

      So drehte er denn im inzwischen wie üblich arg verräucherten Lokal seine Runden. Das Rauchen! War das ein Thema? Uwe überlegte.