Nicolà Tölcke

Der Duft der indischen Nelke


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Aroma, das er mir geschenkt haben wird. Bin schon so gespannt, wie du schmeckst! Komm, nimm meinen Kopf in beide Hände!“

      I was in the seventh heaven, when I kissed the teacher!

      Das Abba-Mädchen macht einen Schritt von der tanzenden Königin hin zur konkreten Berührung zweier Körper.

      Lianes Berührungen haben ein Limit überschritten. Sie hat mich mitgenommen und wir rasen im Tandem, Tagetes in der Nase, auf einem Deltadrachen gen Zugspitze. Von da an geht es im Schussflug durch diverse Wolkengebirge, Regenbögen, Canyons und Schluchten in welches Tal auch immer.

      Die Küchenuhr, die mir gegenüber an der Wand hängt, zeigt mit dem großen Zeiger auf eins und dem kleinen auf sechs. Die mittig angelegte Barkonstruktion in Bordeauxmarmor erinnert an die Sachlichkeit eines japanischen Restaurants. Die Wände aus dunkelgrauem Schiefer wollen allerdings nicht so recht dazu passen. Sie lassen eher an die Gemütlichkeit einer Holzfällerhütte im Westerwald denken.

      Der Herd rechts im Raum, auf dem ein gigantisches Ceranfeld ruht, erwärmt einen schwarzen Kessel, aus dessen Tülle in Abständen weiße Dampffahnen entweichen. Die Zeiger der Uhr sind Phallusandeutungen, die vor dem Hintergrund einer entblößten Marilyn Monroe ihre Kreise ziehen.

      „Schatz, denk daran, dass Philipp vom Rolling Stone in etwa einer halben Stunde vorbeischauen wird.“ Liane ist schon auf Besuch gestylt. Ihre schwarzen Pumps klackern über die weißen Fliesen, während der knallrote Rock mit den weißen Pünktchen im Rhythmus von In-A-Gadda-Da-Vida tanzt. Die weiße Bluse mit dem hochgeschlossenen Stehkragen ist nahezu unverschämt transparent. Sehr verschämt allerdings ihre Frisur, die sie Alfred Hitchcock und seiner Marnie entnommen zu haben scheint.

      „Wie gefällt dir denn dieses Exemplar?“ Da steht sie vor mir, hebt ihren Rock und nur ein Hauch von einem Stückchen weißem Tüll, der in tropischen Gefilden auch als Moskitoschutz dienen könnte, lockt nicht nur meine Augen. Jedenfalls bleibt nicht verborgen, dass sie wie immer sündig rasiert ist.

      Doch der rote Vorhang fällt so schnell, wie er eben noch rasch nach oben gehoben wurde.

      „Schade!“

      „Nichts da, du Lustmolch! Hast du deine Hausaufgaben gemacht?

      Du wolltest Löwin zu Ende schreiben!“

      „Überraschung! Ist alles schon im Kasten!“

      „Und wann kriege ich das zu hören? Es geht ja schließlich um mich, oder?“ Sie setzt sich auf den Barhocker neben mir.

      Das eindrucksvolle Brüllen eines Löwen ist zu hören. Es gibt Leute, die schätzen einen asiatischen Gong als akustisches Signal für ankommende Gäste, doch wir haben uns für den Löwen von Metro-Goldwyn-Mayer entschieden.

      „Meinste, das is schon der Philipp? Ich geh‘ mal nachsehen.“

      „Tut mir leid! Ich bin etwas zu früh!“ Er sieht nicht die Bohne zerknirscht aus. Das blaurote Holzfällerhemd hängt lässig über den hautengen Jeans. In dem braunen Arztkoffer hat er wohl sein Interviewerzeug verstaut. Sein Gesicht erinnert mich an Neil Young. Er könnte ein jüngerer Bruder sein.

      „Kein Problem, Philipp. Machen wir zuerst `ne kleine Führung?“

      „Oh, welche Ehre! Hubert Schenck, Chef und Gründer der Kultband Tabula Raza, gönnt mir Einblicke in seine Welt!“

      „Klar, der Flug zu unserer Hazienda im Mare Crisium, auf der bright side of la bella luna, wäre wohl jetzt etwas zu aufwendig. Also begnügen wir uns hier mit der hellen Seite der Erde. Fangen wir doch gleich mit dem Gartenbereich an. Die Skulpturen, die du vor dem Panorama der Pyrenäen siehst, sind aus dem hiesigen Felsmaterial gefertigt. Ein baskischer Freund von mir, Eduardo Chillida, der in San Sebastian lebt, hat sie so nach meinen Vorstellungen realisieren können.“

      „Scharfes Ambiente, Hubert! Haben die Teile auch eine Bedeutung?“ Philipp greift sich eine Kippe aus seiner Brusttasche.

      „Die Kulturen dieser Welt im Einklang mit einer Achse von Strahlen der aufgehenden Sonne. Ich glaube, dass das alte Ägypten in allem noch sehr präsent ist.“

      „Wenn man wie du augenscheinlich von den Bergen angeturnt ist, ich meine, wären da nicht das Allgäu, also die deutschen Alpen, naheliegender gewesen?“

      „Klar ist das Allgäu eine utopisch geile Landschaft. Aber hier gibt es noch einen Kick oben drauf.“

      „Kannst du mir das erklären?“

      „Klar! Stell dir vor, du hast eine megamäßig schöne Braut, aber die liegt im Bett wie ein Brett.“

      „Ja, ja, so was soll es geben.“ Er macht eine abfällige Miene.

      „Wenn diese Lady aber zum Beispiel in einer Peep Show in die Lehre gegangen ist und gelernt hat, was ein Kerl sich

      so wünscht …“

      „… dann bleibt nichts mehr zu wünschen übrig?!“

      „Du hast es gerafft, Philipp! Und so ist das mit der Landschaft. Hier gibt es sozusagen das Allgäu 2.0. Das Allgäu mit Palmen, giganto Pampasgräsern und sogar Bananenstauden, die dich denken lassen, dass du ein Stückchen Erde in Schwarzafrika hättest. Außerdem sind die Gipfel und Grate so was von strange, Mann! Hier bleibt kein Landschaftswunsch unerfüllt.“

      „Ich bin kein Alpinist, Hubert. Was ist denn hier so strange?“

      „Lass uns mal, bevor wir das vertiefen, ins Haus gehen.“

      Oben, in der Panoramastube, wie Liane sagt, nehmen wir Platz.

      „Weißt du, an was mich das hier erinnert?“ Philipp scheint fasziniert zu sein.

      „Du wirst sicher gleich den Tiger aus dem Tank lassen!“

      „Ich weiß nicht, ob du jemals auf Lanzarote warst?“

      „Ich war!“ Liane steht hinter uns.

      Philipp dreht sich ruckartig um.

      „Verdammt. Stones oder Beatles? Was ist hier schöner? Die Pyrenäen oder Liane? Ich nehme an, dass du das bist? Die Lady von Huberts größtem Erfolg bislang.“

      „Schmeichler! Ich nehme an, dass ich die Beatles repräsentiere?“ Liane setzt sich neben uns und schlägt die Beine übereinander. Das verursacht das magische Knistern ihrer Strümpfe.

      Dear Prudence, want you come out to play! summt Philipp vor sich hin und entzündet erneut eine Zigarette.

      Liane reicht ihm eine große Muschelschale, die als Aschenbecher dient.

      „Du wolltest verraten, woran dich das hier erinnert.“ Es interessiert mich wirklich, was andere beim Anblick unseres Gigantofensters denken.

      „Mirador del Rio! Die Aussichtsplattform, von der aus man von Lanzarote auf die kleine Insel La Graciosa sehen kann. Total geiler Ort! Du hast das Gefühl, auf der Brücke eines Ozeanriesen zu stehen. Vor dir geht’s granatenmäßig abwärts. Das türkisfarbene Meer und auf der anderen Seite die Insel.“

      „Genau von da stammt die Idee zu unserer Panoramastube. Spendierst du mir `ne Kippe? Roth Händle mit Filter kriegste in Gallien nicht.“

      „Mit dem größten Vergnügen, Madame.“ Philipp reicht ihr einen unberührten Glimmstängel.„Du wolltest mich doch über die Einmaligkeit von Gipfeln und Graten hier aufklären. Sozusagen River deep mountain high? Darf ich denn gleichzeitig mein Gerät laufen lassen und unser Interview beginnen?“

      „Klar, Philipp, go ahead!“ Der Kerl gefällt mir irgendwie, ist entspannt und unaufdringlich.

      Er kramt in seinem Arztkoffer und stellt Recorder und Mikro auf den Tisch.

      „Darf ich dabeibleiben?“ Indem Liane ihre Beine übereinanderschlägt, entsteht dieses verruchte Schrappen.

      „Was wären die Bees ohne die Gees, die Fatas ohne die Morganas oder der Cunni ohne den Lingus?“ Philipp drückt die Aufnahmetaste.