Emma Gold

Die nymphomane Ermittlerin


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Boshaftigkeit gezogen.

      Aber lest doch selbst! Ich habe kein Detail ausgelassen und alles so wiedergegeben, wie es wirklich geschehen ist.

       Patientin 029/2017, Anna Boves

      1

       Hotel Andra, Goethestraße, München

       Samstag, 20. August 2016, 22 Uhr

      Marie saß am Bettrand und inspizierte im Licht einer Taschenlampe aufmerksam ihre Scham.

      Claire Morel, die Eigentümerin vom Hotel Andra, konnte das hübsche Mädchen nicht leiden. Marie war für eine andere Dame eingesprungen, und es würde das letzte Mal sein, dass Madame Morel sie einsetzte. Die Hotelbesitzerin hielt nichts von Damen, denen es am nötigen Respekt fehlte.

      „Verdammte Scheiße“, meinte Marie, während sie den Saum eines grünen Negligés befingerte. „Machen wir heute auf Fasching? Was für Affen haben Sie eingeladen?“

      „Keine Sorge. Bei mir gibt´s keine Affen. Das Negligé gehört zum Dekor.“

      Sie hatte das Wort Französisch ausgesprochen und wie mit einer ausladenden Handbewegung in den im Stil der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts eingerichteten Raum gedeutet. Marie betrachte mit einer emporgezogenen Augenbraue das altmodische Sofa, den Plüschsessel und den wuchtigen Holztisch.

      Das Dachgeschoss im Hotel Andra hatte Madame Morel für ihre Damen freigehalten, die auf Abruf zur Verfügung standen. Benötigte sie ein Mädchen, so brauchte sie nur zu telefonieren. Ihre Kunden waren durchweg Herren mittleren Alters, leitende Angestellte, die zwischen montags und freitags in den Nachmittagsstunden aus den Betrieben der näheren Umgebung herüberkamen. Genau diesen Schlag Mann hatte Madame Morel im Sinn gehabt, als sie sich an die Einrichtung der Zimmer im Dachgeschoss gemacht und die Flohmärkte in München nach alten Möbeln durchkämmt hatte. Sie wollte ihre altmodischen Kunden für einhundert Euro die Stunde mit Fleisch und Nostalgie versorgen.

      Ihr größter, ja geradezu leidenschaftlicher Stolz waren jedoch die altmodischen Gewänder, die sie einem Kostümverleih in Schwabing abgekauft hatte. Sie fand sie ganz außerordentlich geschmackvoll und pflegte diese Kostbarkeiten mit ihrem Herzblut.

      Marie hatte eines dieser kostbaren Stücke lächerlich gemacht!

      Claire Morels von langjähriger Erfahrung geschärftes Auge kam zu dem objektiven Schluss, dass Marie einen hervorragenden Körper ihr Eigen nannte. Hohe, kräftige Brüste und volle Schenkel. Ein sinnlicher Mund und dichtes blondes Haar. Sie wusste, dass Marie den höchsten Ansprüchen genügen würde. Aber die Hausherrin mochte ihre Art nicht leiden.

      Die Badezimmertür tat sich auf, und Laura, eine von Madame Morels »festen« Damen, trat ins Schlafzimmer. Sie hatte eben geduscht und rieb sich mit einem Handtuch den Rücken trocken. Es gehörte zur Hausordnung, dass die Mädchen vor und nach jedem Termin stets duschten.

      Laura war klein von Wuchs und hatte schwarzes Haar. Je nach Beleuchtung sah sie mal halb orientalisch, mal halb europäisch aus. In Wirklichkeit war sie in Nürnberg geboren und somit eine fränkische Bayerin. Sie durchschritt den Raum, öffnete einen Schrank und zog ein bodenlanges, mit zahlreichen Rüschen besetztes, rosarotes Gewand hervor. Sie hielt das Kleid vor ihren Körper und musterte sich im Spiegel an der Schranktür. Mit sich selbst zufrieden, warf sie das Handtuch in den Schrank und kam zurück, um sich in einem Lehnstuhl neben dem Bett niederzulassen. Sie sah Marie lächelnd an.

      „Servus!“, sagte sie.

      Marie, als habe sie nichts gehört, blickte demonstrativ in eine andere Richtung. Das missfiel Laura.

      „Bisschen hochnäsig, wie? Oder hast du es darauf angelegt, dass ich dir einen Tritt in deinen fetten Arsch gebe?“

      Madame Morel hatte denselben Impuls verspürt, wusste jedoch, dass sie sich im Interesse des Geschäfts zu beherrschen hatte. Der Kunde würde bald eintreffen, und sie wollte, dass alles glatt über die Bühne ging. Es passte ihr nicht, an einem Samstagabend einen Kunden bedienen zu müssen. Ihre Damen arbeiteten normalerweise nicht am Wochenende. Das übliche Montag-bis-Freitag-Geschäft genügte. Aber dann hatte Mario Madruzzo höchstpersönlich angerufen, der Mann, der ein hohes Familienmitglied der Münchner Mafia war und den sie für ihren Schutz bezahlen musste. Außerdem bewahrten sie diese Zahlungen vor unerwünschten Polizeibesuchen.

      Mario Madruzzos Anruf war um neunzehn Uhr gekommen. Seine Stimme hatte wie ein verrosteter Benzinkanister geklungen.

      „Ich schicke Ihnen einen Burschen rüber. Fred Chen heißt er“, hatte er gesagt. „Machen Sie´s ihm nett. Er soll bekommen, was er auch immer verlangen mag. Wichtig ist, dass er ein paar Stunden bei Ihnen bleibt. Was Sie für ihn tun, tun Sie für mich. Verstanden?“

      „Ich verstehe. Wirklich lieb von Ihnen, dass Sie an mich gedacht haben. Und seien Sie unbesorgt – Ihr Freund wird in guten Händen sein.“

      „Prächtig. Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Ziehen Sie den Betrag von der Zahlung für die nächste Woche ab.“

      „Aber ich bitte Sie, das kommt gar nicht in Frage. Für einen Freundschaftsdienst, den ich Ihnen erweise, würde ich Ihnen doch nie eine Gebühr abverlangen!“

      „Sehr gut, wenn Sie es so sehen“, gluckste Madruzzo hochbefriedigt. „Ich werde mich bei nächster Gelegenheit mit dem größten Vergnügen revanchieren. Dann sind wir also klar?“

      „Vollkommen klar, Signore Madruzzo.“

      Madame Morel hatte kaum eingehängt, da wich das Lächeln in ihren Zügen einem Ausdruck nackten Zorns. Erstens würde sie zusehen müssen, dass sie mindestens zwei Mädchen für einen Samstagabend fand, was nicht einfach sein würde. Die meisten ihrer Damen verbrachten ihre Wochenenden nicht in München, und im August schon gar nicht. Zweitens würde sie die Mädchen aus eigener Tasche bezahlen müssen. So hatte sie es mit ihnen ausgemacht. Arbeiteten sie, so wurden sie auch bezahlt. Das war die Regel, in der Madame Morel keine Ausnahme zuließ. Der eine Haken an ihrem Geschäft war, dass jeder dritte Freier ein Polizist oder ein Mitglied der Mafia war, die ihren kleinen Spaß alle umsonst bekamen. Einmal hatte sie sich über diese Schmarotzer beschwert.

      Nur ein einziges Mal!

      Rückblickend betastete sie ihre Stirn. Obwohl nach all den Jahren kaum noch sichtbar, fand sich dort eine kleine Narbe – der Preis ihrer Klage.

      Die Türglocke läutete. Madame Morel verließ das Zimmer, um den Gast einzulassen. Als sie die Tür öffnete, stand dort ein untersetzter Mann mit einem verkniffenen, lüsternen Wieselgesicht. Madam Morel rümpfte unwillkürlich die Nase.

      „Ja, bitte?“

      „Madruzzo hat mich hergeschickt. Mein Name ist Chen. Fred Chen.“

      „Ja, richtig, Herr Chen. Kommen Sie rein.“

      Sie führte ihn in einen kleinen Warteraum und nahm ihm den Mantel ab. Es war ein zweifellos seit Wochen nicht mehr gereinigter, zerknitterter alter Tweed. Sie hängte den Mantel in einen Schrank und bot dem Gast einen Drink an. Er benetzte nervös die Lippen und sah sich um.

      „Wo sind die Schnallen?“

      „Ich werde sie gleich reinbringen. Ich dachte nur, Sie trinken vielleicht erst gern ein Gläschen. Das entspannt. Sie haben doch keine Eile, oder?“

      „Nicht doch. Zwei Stunden sind schon drin! Den blauen Pillen sein Dank“, sagte der Mann und kicherte. „Sie verstehen...“

      „Ja, sicher.“

      Madame Morel schenkte ihm einen doppelten Scotch ein, den sie auf einem silbernen Tablett servierte. Seine nervösen Wieselaugen strichen über ihr Gesicht und schwenkten ab. Er war ein hässlicher kleiner Zwerg, dachte Madame Morel. Abstoßend! Und sein ekelerregendes Äußeres freute sie. Marie, dieses eingebildete kleine Aas, würde ihn umarmen und in ihrem Körper aufnehmen müssen.