Taja Jetsch

Sonnentanz


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einmal langsam um und bewusster die Menschen an, die in unmittelbarer Nähe standen. Ihr waren die Typen, die dort standen, schon aufgefallen. Aber diese Typen hatten irgendwas an sich, so dass sie sich irgendwie nicht traute, ihnen ins Gesicht zu sehen. Von ihnen ging etwas Gefährliches aus. Ihre Atmung beschleunigte sich, ihr Herz klopfte einen Takt schneller. Also flog ihr Blick nur vorbei. Sie lachte über sich selbst. Wie sollte sie diese Aura von Gefahr nur erklären? Gar nicht!

      Sie wand sich wieder ihren Freundinnen zu und versuchte herauszufinden, worum es gerade ging. Aber dieses Gefühl, dieses ‚Beobachtet werden‘ und was noch schlimmer war, dieses Kribbeln im Nacken – es ging einfach nicht weg.

      ‚Was soll schon passieren?‘, dachte sie ‚Ich bin hier von hunderttausend Menschen umgeben‘. Sie hob den Kopf und drehte sich langsam. Diesmal schaute sie genau hin. Die Typen waren groß, sehr groß! Alle relativ schlank, aber scheinbar gut gebaut. Sie trugen Jeans und Lederhosen, Turnschuhe und Boots, T-Shirts und Hemden. Alles ganz normal. Dann glitt ihr Blick höher. Der Typ ganz rechts hatte lange mittelbraune Haare, der daneben war Blond. Der Typ in der Mitte hatte schwarze Haare, nicht kurz, aber auch nicht lang, total zottelig irgendwie. Er trug eine ziemlich dunkle Sonnenbrille. ‚Schnell wegsehen‘ war ein Gedanke, der ihr wie ein Blitz durch den Kopf fuhr und ihr Herz schneller schlagen ließ. Die beiden anderen hatten auch ziemlich dunkles Haar, aber sehr kurz geschnitten. Ihr Blick ging zurück zu dem Typen in der Mitte. Er stand breitbeinig mit seiner schwarzen Jeans und den Boots auf dem Platz, als würde der Platz ihm gehören. ‚Und die anderen sind seine Bodyguards‘, dachte sie, während ihr Blick wieder tiefer wanderte. Er hatte ein blaues Hemd an und die Arme vor der Brust verschränkt.

      ‚Was hat der für Oberarme! Das kann ja alles nicht echt sein‘, dachte sie und lachte. Langsam wanderte ihr Blick wieder höher und sie sah, dass er quasi in ihrem Tempo den rechten Arm hob und die Sonnenbrille abnahm. Er hatte unglaubliche blaue Augen.

      Ihr Herz setzte aus. Um sie herum wurde es still und sie sah nur noch ihn.

      ‚Quatsch, das kann ich doch von hier aus gar nicht sehen – oder doch?‘ Warum klopfte nur ihr Herz so schnell? Er war es scheinbar, der sie die ganze Zeit anstarrte. Sie wandte den Blick ab. ‚Scheiße‘, dachte sie. ‚Scheiße!‘ Aber sie musste noch mal hinsehen. ‚Das ist doch eine Halluzination!‘ Nein, er war immer noch da und – warum auch immer – er machte den Eindruck, als würde er ihr was sagen wollen. Gerade, als sie fast einen Schritt in seine Richtung gemacht hätte, packten ihre Freundinnen sie und zogen sie weiter. „Komm Em“, riefen sie. „Wir wollen auf die wilde Maus und was essen.“

      „Wartet mal, wartet mal“, wollte Emily rufen, während ihre Freundinnen sie an den Typen vorbei zogen. Im Vorbeigehen konnte sie ihm wirklich in die Augen sehen. Ja, sie waren blau, unglaublich blau. Wie das Meer. Und sie verlor sich in ihnen.

      „Wartet mal, wartet mal“, schrie Emily und drückte die Fersen in den Boden. Nach einigen Metern blieben ihre Freundinnen endlich stehen und zerrten nicht mehr an ihr. „Was ist denn los?“, wollten sie wissen, doch als Emily sich diesmal umdrehte, konnte sie ihn nicht mehr sehen.

      „Oh . . . ach . . . nichts. Dann los Mädels, wir wollen heute noch was erleben!“ Sie drehte sich noch zweimal um, aber sie fand ihn nicht mehr und ihr Herzklopfen ließ einfach nicht nach.

      Drake

      Sie sah ihn an.

      Sie sah ihm direkt in die Augen.

      Und er konnte ihr in die Augen sehen, während die Mädels an ihnen vorbei gingen. Sie waren grün. Nein, nicht nur grün, sie waren smaragdgrün. Wie der Wald zu Hause. Und es fühlte sich an, wie . . . versinken, ertrinken, nach Hause kommen. Sein Herz, es schien aus dem Takt zu kommen, nur um dann doppelt so schnell zu schlagen. Er war auf einmal total heiß. Sein Schwanz schwoll an und pochte in der engen Jeans. Und sein Kiefer schmerzte.

      Ja, sie war es. Mit Sicherheit! Die Eine! Die, mit der er . . .

      Maddox und Tristan hatten ihn gepackt, gaben ihm 'ne Kopfnuss und grölten. Sam stand in der Reihe und war nun fast am Fahrkartenschalter.

      „Los“, brüllte er. „Kommt jetzt sofort hierhin oder ich fahre allein!“.

      „Wartet mal“, sagte Drake.

      „Nee, los jetzt, Sam wartet auf uns. Wir suchen Dir und uns nachher noch was Nettes zum Bumsen. Vielleicht finden wir die Mädels auch wieder. Aber schau mal, hier läuft so viel rum und wir ziehen heute Nacht noch durch die Altstadt.“ Die Worte, die Jared auf ihn losließ, verschwammen.

      Die Fahrt auf der Achterbahn dauerte nicht lang, auch wenn sie Drake wie eine Ewigkeit vorkam. Wieso war er überhaupt mitgefahren? Warum hatte er sich nicht abgesetzt? Um sie zu suchen? Ja, um sie zu suchen. Nach der Achterbahn lenkte er seine Freunde hinter ihr her. Er konnte ihren Duft immer noch schwach wahrnehmen, was zwischen all den anderen Gerüchen ziemlich schwer war. Aber er war noch da. Nur: Wo war sie?

      Nachdem Drake und die Jungs ihre Runde über die Kirmes gedreht hatten, folgten sie ihrem Geruch und der Masse über die Rheinbrücke in die Düsseldorfer Altstadt. Dort stellten sie sich zu den hunderten Menschen auf den Burgplatz an die Rheintreppen, um sich das Feuerwerk anzusehen. Aber Drake hatte keine Augen dafür. Er sah sich ständig um und hielt die Nase in die Luft. Doch mittlerweile war ihr Geruch verschwunden oder er konnte ihn bei all diesen Menschen einfach nicht mehr wahrnehmen.

      Ungekannte Traurigkeit überfiel ihn, sein Herz wurde schwer.

      Sie war fort.

      Weg.

      Nur noch eine Erinnerung.

      Wie sollte er sie finden?

      2.

      Emily

      Es war jetzt schon einen Monat her, seit Emily an ihrem Mädelsabend auf der Rheinkirmes gewesen war. Sie stand, nur mit einem großen Badetuch bekleidet, vor dem Spiegel. Sie sah sich an, aber sie sah nicht sich. Sie sah . . . ihn. Immer noch. Seine Augen. Und sie bekam immer noch extremes Herzklopfen, wenn sie nur an ihn dachte. Wie sich wohl seine Lippen auf ihrer Haut anfühlten oder seine Hände? Wie gern würde sie mit ihren Händen durch seine zottelige, schwarze Mähne fahren. Sie schüttelte den Kopf. Sie musste ihn endlich loswerden. Sie würde ihn nie wiedersehen. Er war sicherlich doch nur eine Einbildung gewesen. Es war Zeit, sich fertig zu machen. Heute hatte sie mit ihrer Band „Waterfalls“ einen Probeauftritt. Und wenn sie gut waren, dann könnten sie vielleicht den Job als Bargruppe bekommen.

      *****

      Drake

      „Drake, wir müssen reden.“ Jared ließ die Bemerkung beim Frühstück fallen. Sam und Tristan standen sofort auf. „Wir haben noch was zu erledigen“, und weg waren sie. Maddox blieb ungerührt am Frühstückstisch sitzen, bestellte sich noch einen Kaffee und nahm sein viertes Brötchen. Drake sah fragend von Jared zu Maddox und zurück, während Jared Maddox leicht genervt ansah.

      „Nöp, ich bleibe hier. Ich kann sicherlich auch was dazu sagen“, brummelte Maddox mit vollem Mund und biss noch einmal in sein Brötchen.

      Langsam dämmerte es Drake. Er ahnte, worauf die Beiden hinaus wollten. „Ich kann noch nicht weg“, sagte er. „So einfach ist das.“

      „Erzähl doch erst mal, was genau los ist.“

      Drake schluckte. Er wusste nicht genau, wie er es sagen sollte oder wollte. Einiges konnte er sich ja selbst noch nicht eingestehen und es jetzt laut aussprechen, das ging einfach noch nicht. Aber er war sich auch bewusst, dass seine Hinhaltetaktik nicht mehr funktionieren würde und er wusste auch, dass die Jungs weiter wollten.

      „Es tut mir leid, aber ich muss SIE finden. Ich muss. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich MUSS sie finden!“, brach es aus ihm heraus.

      „Na, jetzt mal langsam mit den jungen Pferden. Wen musst Du finden?“

      „SIE. Die Frau. Die von der Kirmes.“

      „Die Frau von der Kirmes? Welche Frau?