Ava Patell

Der Kronzeuge


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der Happy Street war um diese Zeit sehr viel los. Casinos, Hotels, Restaurants und Bars wechselten sich ab und die Leuchtreklame zog Aidens Aufmerksamkeit auf sich.

      Gabriel konnte die Nervosität Aidens fast mit den Händen greifen und kurz sah er zu dem jungen Mann hinüber. Natürlich hatte er Angst. Er hatte einen Mord mit angesehen. Für einen Menschen, der nicht aus diesem Milieu kam, musste das ziemlich erschütternd sein. Dennoch. Das Seelenheil dieses jungen Mannes war nicht sein Problem. Er musste nur dafür sorgen, dass er lebend zur Hauptverhandlung erscheinen würde. Und das möglichst unversehrt.

      Den Rest der kurzen Fahrt verbrachten sie schweigend, während Frank den Wagen sicher durch den Feierabendverkehr lenkte, hinein ins Hill-Valley. Einem Teil von Tribent, der sich durch High-Class-Wohngebäude und gediegene Shops auszeichnete, zusammen mit einem wundervollen Blick über die Stadt, da Hill-Valley auf einer Anhöhe gelegen war. Die Preise hier waren überirdisch, aber all das waren Dinge, über die sich Gabriel keine Gedanken machte, während er aus dem Wagen stieg und auf Aiden wartete.

      Dieser verließ das Wageninnere und nahm Frank seine kleine Tasche ab, lächelte dem Mann zu. Er hatte schütteres schwarzes Haar und kaum war der Mann wieder eingestiegen, umgab Aiden die kühle Distanz Gabriel Barones, der sich nun in Bewegung setzte und durch gläserne Türen das Foyer eines Hochhauses betrat. Es wunderte ihn kaum, dass Barone ausgerechnet in diesem Viertel wohnte.

      Gabriel nickte dem Portier kurz zu, welcher hinter einem Tresen saß und ging dann zum Fahrstuhl. In das Tastenfeld tippte er seinen Sicherheitscode ein und die Tür öffnete sich. Die Stille im Inneren des Fahrstuhls war einen Moment lang bedrückend. Bis Gabriel das Wort ergriff, während der Fahrstuhl in die oberste Etage fuhr.

      »Eine Frage. Werden wir Probleme miteinander bekommen?«

      Aiden erschrak beinahe, als Barone das Wort an ihn richtete. Bis jetzt hatte er auf die Tasche in seinen Händen gesehen, doch nun sah Aiden auf in das markante Gesicht neben ihm.

      »Probleme?«

      »Ja. Probleme. Wirst du versuchen abzuhauen? Zu telefonieren? Oder sonst irgendwelchen Mist anzustellen?«

      Aiden hielt dem eisigen Blick stand und erwiderte ihn, obwohl ihm ein kalter Schauder über den Rücken rann. »Das weiß ich nicht.«

      »Also muss ich dich an die Leine legen? Obwohl dein Leben davon abhängen kann?«

      Leicht reckte Aiden das Kinn vor. »Nein... Ich...« Er schnaubte leise über sich selbst. »Was ist irgendwelcher Mist? Was ist mit Emails, Briefen, Postkarten?« Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, seine Familie und seine Freunde zu erreichen!

      »Nichts dergleichen, Kleiner. Tote schreiben keine Briefe. Und genau das solltest du im Moment für deine Familie sein. Tot.«

      Ich bin aber nicht tot, wollte Aiden schreien. Sollte es ihm wirklich unmöglich sein, jemandem mitzuteilen, dass es ihm gut ging? Wenigstens das? Nur eine kleine Information wie diese... Fester schlossen sich seine Finger um die Henkel der Tasche und er senkte den Blick.

      »Nennen Sie mich nicht Kleiner«, protestierte er gegen das Einzige, was ihm übrig blieb.

      »Bei guter Führung können wir darüber verhandeln, Kleiner«, sagte Gabriel und stieg aus dem Fahrstuhl, dessen Türen sich in diesem Moment öffneten.

      Aiden biss die Zähne so fest aufeinander, dass es wehtat. Er sollte dankbar sein, dass ihn dieser Mann aufnahm, dass er ihn schützen würde, aber gerade verspürte er nur Wut, während er Barone folgte.

      Die Wut war jedoch mit einem Schlag verflogen, als Aiden den Eingangsbereich der Wohnung betrat und Barone den Lichtschalter betätigte. Sie standen auf dem dunklen Holzfußboden eines Luxus-Penthouses, das sich angesichts der Treppe, die man ein Stück entfernt sehen konnte, über mindestens zwei Etagen zog. Die hohen, weißen Decken waren mit Spotlights ausgestattet, deren Licht ein Ensemble aus Grau-, Creme- und Brauntönen beleuchteten. Aiden wusste nicht, wo er zuerst hinsehen sollte. Er konnte hier und da einen Blick in weitere Räume erhaschen, da die Räume hintereinander angelegt waren. Bodentiefe Fenster hinter hellen Vorhängen, klare Linien und dann wieder beinahe verspielte Raumtrenner, die wie Gitterfenster den Blick in dahinterliegende Räume preisgaben.

      »Ich glaub’, ich spinne«, entfuhr es ihm, als Barone ihn weiter in die Wohnung führte. Sitznischen und Salons schienen sich abzuwechseln und Aiden fragte sich, wofür man so viele Räume mit Sitzgelegenheiten brauchte - und sie befanden sich immer noch in der unteren Etage! Aidens Blick blieb an einem seltenen Farbtupfer hängen: Zwei senffarbene Sessel passten sich perfekt in die Erdtöne ein.

      Barone öffnete eine Tür und deutete in das Zimmer dahinter. »Dein Schlafzimmer. Das Bad ist en suite.«

      Jeder Raum strahlte für sich eine unglaubliche Eleganz aus. Kunstvoll gearbeitete, große Vasen und moderne Lampen auf Beistelltischen. Beinahe wäre Aiden in Barone hinein gelaufen, da er noch immer damit beschäftigt war, die vielen Eindrücke zu verarbeiten, die auf ihn einströmten. Doch er kam gerade noch rechtzeitig zum Stehen und trat an Barone vorbei in ein Schlafzimmer, das wohl als Gästezimmer diente.

      Hier mischten sich goldene und violette Farbtupfer in das Gesamtbild. Helle Vorhänge vor einer Glasfront. Von dem riesigen Bett aus konnte man aus dem Fenster sehen. Eine Bank und ein Sessel dienten als Ablage, außerdem gab es einen Flachbildfernseher an der Wand und ein großes Gemälde, von dem Aiden sicher war, dass es ein Original war. Von wem auch immer. Ein großer Kleiderschrank mit Schiebetüren aus hellem Holz und stilvolle, silberne Nachttischlampen. Eine Tür führte in das Bad, war aber zum jetzigen Zeitpunkt verschlossen. Aiden konnte nur starren. Selbst der Teppich und die Bettwäsche wirkten hochwertiger als alles, was er in seiner vergleichbar winzigen Wohnung hatte.

      »Du kannst hier tun und lassen, was du willst. Abgesehen davon, die Wohnung in Brand zu stecken oder versuchen, Kontakt zu deiner Familie aufzunehmen. Ich zeige dir noch das Wohnzimmer und die Küche. Der Rest der Wohnung ist Tabu für dich.«

      Er deutete mit einer Kopfbewegung hinter sich und führte Aiden dann hinaus zurück in den Flur und die Treppe hinauf in die obere Etage.

      Aiden folgte Gabriel. Die Treppe war mit Glaswänden gesichert. Auch in der oberen Etage setzte sich der Stil der Wohnung fort. An einer Stelle war Marmor in den Boden gearbeitet und die Küche war unbeschreiblich. Eine Arbeitsplatte aus Granit hatte Aiden noch nie gesehen. Ein Tresen, an dem man auch sitzen konnte, teilte die Küche der Länge nach. Dahinter befand sich ein Essbereich. Überall herrschte eine beinahe sterile Atmosphäre. Lediglich auf dem Wohnzimmertisch, an dem er lag eine Tageszeitung. »Also...« Aiden schluckte, aber er musste nachfragen.

      »Wohnzimmer, Gästezimmer und Küche?«

      »Und die Bibliothek. Aber stell die Bücher wieder dahin, wo du sie vorgefunden hast.«

      »Biblio... Ah.« Aiden spürte ein irrsinniges Lachen in sich aufsteigen, das er mit einem Räuspern unterdrückte. »Natürlich.« Unsinnigerweise trug er immer noch die kleine Reisetasche mit sich herum. »Also...« Seine Finger fühlten sich kalt an, als er sich durch das Haar strich. »Dann... pack ich mal aus.« Leicht hob er die Tasche an, sah zu Barone.

      Mehr als ein Nicken bekam er nicht zur Antwort.

      Aiden drehte sich auf den Hacken um und während er die Treppenstufen hinabstieg, spürte er Gabriel Barones Blick in seinem Nacken. Die Tür des Gästezimmers fiel leise ins Schloss und Aiden lehnte sich dagegen.

      »Ich glaub’, ich spinne«, wiederholte er. Wo zum Geier war er hierhin geraten? Mit ganz viel Glück verlief er sich nicht zufällig in einen der verbotenen Räume. Er ließ die Tasche zu Boden fallen. Musste er überhaupt auspacken? Er wollte sich hier nicht einrichten, denn immer noch wollte er nichts sehnlicher, als nach Hause zurückkehren. In diese Welt gehörte er nicht! Vermutlich würde er Blumen in ein Kunstwerk stellen oder das Arrangement von Kissen durcheinander bringen. Vorsichtig setzte sich Aiden auf die Bettkante und atmete tief durch. Okay. Er musste nur ein paar Tage durchhalten. Nur ein paar Tage, dann konnte er flüchten und nie, niemals wiederkehren. Seine Finger strichen über den weichen Stoff der Bettwäsche, die Matratze unter ihm gab im genau richtigen