Ava Patell

Der Kronzeuge


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passiert, sondern, dass er dafür sorgt, dass du 24 Stunden am Tag überwacht wirst.«

      Aiden schluckte schwer. Nickte dann aber. Er war sich sicher, dass Amy ihm inzwischen geschrieben hatte. Ihre Verabredung heute Abend würde nicht stattfinden und damit würde innerhalb seiner Familie eine Chaoslawine losbrechen, das wusste er. Doch er erreichte sie nicht. Oder vielleicht doch? Er hob den Blick in Asalis Augen.

      »Darf ich telefonieren?«

      »Nein, Schätzchen. Das geht leider nicht.«

      Mit dieser Antwort hatte Aiden gerechnet. Er machte sich nichts vor, er würde das Chaos nicht abwenden können. Genauer gesagt befand er sich schon mittendrin. »Ich weiß nicht, ob ich was runter bekomme«, antwortete er viel zu spät auf die Frage nach einem Frühstück.

      »Einen Versuch ist es wert. Was möchtest du haben?« Ihre Stimme klang jetzt sanft, fast so als würde sie fühlen, was in dem jungen Mann vorging und dieser sanfte Unterton ließ Aiden schlucken.

      »Ich weiß nicht. Etwas Leichtes.« Er erhob sich mühsam und fühlte seinen Körper streiken, doch er konnte auch nicht länger sitzen bleiben. Aiden trat auf den Servierwagen zu, hob ein Glas nach oben, in das Initialen hinein graviert waren und betrachtete es abwesend.

      »Toast? Ein bisschen Rührei? Obst?«

      Aiden spürte Asalis Blick auf sich ruhen. »Toast reicht«, murmelte er und stellte das Glas vorsichtig wieder ab. Er musste sich irgendwie davon abhalten, zu viel nachzudenken. Noch war dafür nicht die Zeit und er wollte all seinen Gedanken noch keinen Raum lassen. Nicht vor dieser fremden Frau. Aidens Blick ging aus dem Fenster. Unter ihnen, weit unter ihnen, lag die Stadt, inzwischen geschäftig im Vormittagstrott. Dienstagmorgen.

      »Wie spät ist es?«, fragte er Asali und sah dabei über seine Schulter zu ihr.

      Sie griff nach dem Telefon und tippte eine Nummer ein. »Kurz vor 11.« Es wurde am anderen Ende beinahe sofort abgehoben und sie bestellte in der Küche ein kleines Frühstück.

      »Hm«, machte Aiden so leise, dass er Asali nicht störte und erst jetzt kam er dazu, seine Jacke abzulegen. Er hängte sie über die Stuhllehne, sah sich weiter um. Das Büro wirkte weniger angsteinflößend und klarer, beinahe beruhigte es ihn. Es kam ihm vor als wäre er bereits seit 48 Stunden auf den Beinen, dabei waren es gerade sieben einhalb. Aiden bemerkte gar nicht, dass er einen unsichtbaren Punkt an einer der Bürowände fixierte.

      Das Telefon landete wieder auf dem Schreibtisch und Asali richtete den Blick auf den jungen Mann. »Wie fühlst du dich?«, fragte sie.

      Aiden schreckte aus seinen Gedanken. »Ging mir schon mal besser.« Er sah über seine Schulter. »Ich will nicht darüber reden.« Asalis Blick folgte ihm, als er auf ein Kunstwerk zutrat und davor stehen blieb. Leicht legte er den Kopf schief.

      »Gut.« Sie war der letzte Mensch, der Aiden jetzt drängen würde. Dafür kannte sie ihn nicht gut genug und im Grunde konnte es ihr auch egal sein. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch und holte den PC aus dem Schlafmodus, rief das E-Mail-Programm auf und sah erneut auf den Zettel. Sie würde ein paar ihrer Kontakte anzapfen müssen, um etwas herauszubekommen.

      Noch einmal warf Aiden einen Blick über seine Schulter, doch da war Asali schon in ihre Arbeit vertieft und Aiden würde sie nicht davon abhalten. Je weniger sie ihn fragte, desto besser. Er vertiefte sich wieder in das Kunstwerk an der Wand, es war modern, wenig verspielt, dafür aber klar und bestand nur aus wenigen Farben, dennoch konnte sich Aiden kaum darauf konzentrieren und er war froh, als es an der Tür klopfte und jemand ein Frühstück auf einem silbernen Wagen hereinschob.

      Auch an diesem Mitarbeiter konnte Aiden keinen Makel feststellen. Wie schon Sam Wilkins war auch Aiden das perfekte Äußere aller Mitarbeiter hier längst aufgefallen. Auf dem Servierwagen stand eine kleine Frühstücksauswahl. Aiden griff nach einem Toast, der noch warm in einem Brotkorb lag, und schob sich eine Ecke in den Mund. Er fing immer mit einer Ecke an, während seine Schwester immer an einer Kante zuerst abbiss. Früher hatte sie deshalb immer Marmelade oder Nougatcreme in den Mundwinkeln gehabt. Aiden musste lächeln bei diesem Gedanken. Er setzte sich wieder und kaute langsam auf dem Toast herum. Das leise Klackern der Tastatur unter Asalis Fingern klang regelmäßig an seine Ohren. Nach dem Toast pickte Aiden noch etwas im Rührei, doch viel bekam er nicht hinunter.

      Es dauerte eine gute Stunde, bis Asalis Telefon klingelte und die Ankunft von zwei Mitarbeitern von Pavel ankündigte. Sie ließ sie heraufschicken und kurz darauf klopfte es an der Tür. »Ja«, rief sie deutlich und zwei Personen traten ein. Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit blondem Haar und eine junge Frau mit kurzen, schwarzen Haaren und sehniger Statur.

      »Mrs. Sorkov. Wir kommen von Pavel.«

      Asali strich sich eine Strähne hinter das Ohr. »Wunderbar. Zuverlässig wie immer.« Sie lehnte sich im Stuhl zurück. »Pavel hat Sie bereits über die Grundlagen informiert?«

      Beide nickten knapp.

      »Gut. Kein Kontakt. Zu niemandem außer zu mir und Mr. Barone. Es sei denn, er oder ich sagen etwas anderes.«

      Wieder nickten beide.

      »Es geht um Cortez. Wir wissen noch nichts Genaues, aber ich informiere Sie, sobald ich weitere Informationen habe. Für heute geht es erst einmal hauptsächlich darum, Mr. Miller von allem abzuschirmen. Wir werden dann sehen, was die Zeit bringt.«

      »Ja, Ma’am.«

      »Gut.« Asali erhob sich und nickte zu Aiden. »Komm Schätzchen. Bringen wir dich dahin, wo du es gemütlicher hast.«

      Sie zog eine Schublade ihres Schreibtisches auf und nahm eine Chipkarte heraus. Dann lief sie zur Tür und sah sich nach Aiden um.

      Aiden blieb nichts weiter übrig als zu folgen. In seinem Magen rumpelten Toast, Rührei, Whisky und Aspirinlösung durcheinander. Er trug seine Jacke über dem Arm und erinnerte sich an das Beruhigungsmittel, das er in einer Jackentasche verstaut hatte. Die beiden Personenschützer, die ihnen folgten, gehörten jetzt wohl zu ihm. Er sollte sich wichtig fühlen und schützenswert, aber alles, was er wollte, war sein einfaches Leben zurück. Zurück nach Hause. Und das alles hier vergessen.

      »Wo bringen Sie mich hin?«, fragte er Asali.

      »In ein Zimmer.« Sie drückte den Rufknopf des Fahrstuhls und gemeinsam stiegen sie in die großzügige Kabine. »Da kannst du dich ausruhen, vielleicht etwas schlafen.«

      »Hm.« Aidens Blick fiel auf die beiden Personen, die noch mit ihnen im Fahrstuhl waren. Noch mehr Fremde. Ob sie mit ins Zimmer kommen würden? In Filmen und Serien blieben sie immer vor der Tür stehen und dann kam jemand durchs Fenster ins Zimmer und brachte die darin befindliche Person doch um. Aiden wusste nicht, ob es ihm lieber wäre, wenn sie im Zimmer oder davor blieben.

      Der Fahrstuhl hielt nur zwei Stationen später wieder an und entließ sie in einen geräumigen Flur. Asali führte die Truppe an, den Flur hinunter, um eine Ecke und dann zu einer Zimmertür. Sie zog die Karte durch das Schloss und ein grünes Licht zeigte an, dass die Tür nun zu öffnen war. Sie betrat das geräumige Zimmer, das eher eine Junior-Suite war als ein normales Hotelzimmer. Die Sicherheitsleute folgten ihr und sahen sich kurz um, während Asali ihren Blick auf den jungen Mann hielt, der unsicher vor ihr stand.

      »Mach es dir gemütlich, komm etwas zur Ruhe. Hier kann dir nichts passieren.«

      Nur kurz hatte Aiden seinen Blick durch das Zimmer gleiten lassen, das sich in einer erstaunlichen Größe vor ihm ausbreitete, bevor Asalis Stimme seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

      »Gut«, hörte er sich antworten, »danke.«

      »Wir bekommen das schon hin, Schätzchen. Keine Sorge.« Sie lächelte Aiden noch einmal aufmunternd zu und verließ dann das Zimmer, gefolgt von den beiden Personenschützern.

      ***

      Gabriel hob nicht einmal den Blick, als es an der Tür klopfte, welche gleich darauf aufging. Es gab nur eine Person, die sich das erlaubte. Asali. Und sie war wohl auch die einzige, die mit solch einem Verhalten durchkam.