Ava Patell

Der Kronzeuge


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im ganzen Staat, wenn nicht sogar im ganzen Land. Er geht sprichwörtlich über Leichen, was Sie ja selbst gesehen haben. Und ihm habhaft zu werden, ist nahezu unmöglich. Er weiß genau, wen er schmieren muss, um unbeschadet aus der Sache herauszugehen. Das wäre nicht das erste Mal. Aber mit einem Zeugen wie Ihnen und dem Video dazu... Da kann er sich nicht rausreden. Und darum kann ich es nicht riskieren, den normalen Weg zu gehen. Was, wenn ein Beamter, den ich zu Ihrem Schutz abstelle, für Cortez arbeitet? Dann wären Sie tot. Oder wenn die Adresse herauskommt. Noch dazu hat die Polizei nach den letzten Umstrukturierungen gar nicht die Möglichkeiten, Sie so zu bewachen, wie es nötig wäre. 24 Stunden am Tag. Sie haben keine Ahnung, was da alles dazu gehört.« Sam seufzte. »Es muss schnell gehen. Und er kann das leisten.«

      Aiden hatte, während Wilkins sprach, den Kopf gedreht und den Beamten beobachtet. Es schien ihm ernst zu sein und vielleicht, wenn Aiden Glück hatte, dann konnte er ihm vertrauen. Wenn nicht... Daran wollte er lieber nicht denken, aber im Moment blieb ihm nichts weiter übrig, als diesem Mann zu folgen. Ohne ihn zu kennen, war er Aidens einzige Hoffnung auf Sicherheit. Erneut überlief den jungen Mann ein Schauder.

      »Verraten Sie mir seinen Namen?«

      »Gabriel Barone.« Der Polizist kam nicht umhin, das Gesicht zu verziehen, als er den Namen aussprach.

      Aidens Augenbrauen flogen nach oben. Ein starker Name, so viel stand fest. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie Ihren Bekannten nicht sonderlich leiden können.«

      Das brachte den Detective zum Lächeln. »Nun. Da liegen Sie gar nicht so falsch.« Es gab sogar eine ganze Menge Menschen, die er mehr mochte als diesen Mann. Und nur sehr wenige, die er weniger mochte.

      »Und dennoch bringen Sie mich zu ihm.« Steckte dahinter nur, dass sich die beiden unsympathisch waren oder mehr? Und was war das für ein Mann, der ihn angeblich besser beschützen konnte als die Polizei? Es gab so viele Fragen in Aiden, so viele, die nichts mit Gabriel Barone und mit Sam Wilkins zu tun hatten, die er aber nicht greifen konnte oder für den Moment verdrängte.

      »Ja.« Sam fuhr auf eine große Kreuzung zu und reihte sich in die Linksabbiegerspur ein, die ihn auf den Hampshire-Boulevard bringen würde. Der Verkehr hier war zäh und zahlreich. Man nannte diese Straße, die eine beachtliche Länge aufwies, auch die Happy Street. Hier gab es alles, was man brauchte, um sich im Nachtleben zu vergnügen. Bars, Clubs, preiswerte Restaurants mit bunter Neonbeleuchtung, Restaurants ohne Neonbeleuchtung, die man sich nur im Traum leisten konnte, Bordelle und vor allem Hotels und Casinos. Und hier kam Gabriel Barone ins Spiel.

      Denn ein Großteil dieser Casinos gehörte ihm. Genau wie das dazugehörige Nachtleben. Und das machte ihn zum Erzfeind von Cortez. Ein Umstand, den Sam Wilkins jetzt ausnutzen würde. Er hoffte, dass sein Plan aufging, denn normalerweise war er eher darauf bedacht, diesen Mann hinter Gitter zu bringen, der seine Casinos dazu nutzte, Geld zu waschen. Nicht sein Geld, sondern das Geld von Steuerhinterziehern, Dieben und Betrügern. Ein ganz besonderer Service, den er sich gut bezahlen ließ und das Schlimmste an dem Mann war, dass er verflucht intelligent war. Beinahe genau wie Cortez. Bisher hatte die Polizei ihm nichts nachweisen können. Es war verrückt, was in dieser Stadt abging. Doch etwas fehlte Barone, was Cortez ausmachte. Gabriel Barone war berechnend und kühl, geldgierig und arrogant. Aber er war nicht grausam.

      Cortez hingegen fehlte jede Menschlichkeit. Sofern der Detective Barone jedoch einschätzen konnte, hatte der sich einen Teil seiner Menschlichkeit erhalten können. Er mochte Geld waschen im großen Stil und damit Betrügern das Leben leichter machen und vermutlich ging auch der ein oder andere Mord auf sein Konto aber dennoch war dieser Mann kein Vergleich zu Cortez. Cortez war eine Reinkarnation des Teufels. Er ging sogar so weit, seine Opfer oder Feinde grausam zu foltern. Es gab einen ganzen Ordner voller Fotos von Leichen, die auf das Konto von Cortez gingen und das war etwas, das jeden Horrorfilm übertraf. Aufnahmen aus der Hölle selbst.

      Kurz ging sein Blick zu dem jungen Mann neben ihm. Er würde dieses junge Leben auf keinen Fall Cortez überlassen. Dafür würde er sorgen. Er bog in die Happy Street ein und kämpfte sich erneut auf die linke Spur, was alles andere als einfach war. Das Bel Amare war schon zu sehen. Ein großes Hotel, elegant und teuer, mit einem hauseigenen Casino. Ein Etablissement für die oberen Zehntausend aus aller Welt, die hierherkamen, um dem leichten Leben in Tribent zu frönen. Bei Gabriel Barone fanden sie Zerstreuung. In den Restaurants herrschte Anzugpflicht für die Herren und Abendgarderobe für die Damen.

      Sam war bereits häufiger hier gewesen. Um zu observieren. Es war das Hotel, in dem Barone seine Büroräumlichkeiten eingerichtet hatte. Und in dem er am Häufigsten anzutreffen war. Sam setzte darauf, dass es so auch jetzt sein würde, trotz der frühen Stunde. Barone war ein Arbeitstier. Aber vermutlich waren das alle Verbrecher.

      Aiden war sich nicht sicher, ob die Happy Street das Ende oder nur ein Zwischenstopp auf ihrer Reise war. Er kannte sie - jeder in Tribent City tat das. Und doch war Aiden noch nie hier gewesen. Er gehörte weder zur obersten Gesellschaftsschicht, noch besaß er einen Anzug oder auch nur genug Geld, um sich hier zu vergnügen. Auch nicht in den preiswerteren Etablissements.

      Detective Wilkins zog auf die linke Spur, wurde dafür einmal angehupt, aber er ließ sich nicht beirren und bog schließlich auf die Einfahrt zu einem großen, nobel aussehenden Hotel ein. Bel Amare stand auf dem Schild, das nachts durch seine Beleuchtung auch in weiter Entfernung zu sehen sein würde, da war sich Aiden sicher. Er war sich jedoch nicht sicher, wieso sie hier hielten.

      »Sind wir da?«

      »Ja. Wir sind da.« Sie steigen aus und der alte Dodge wirkte in dieser Einfahrt sehr fehl am Platz. Ein junger Mann kam angerannt und er tauschte seinen Autoschlüssel gegen eine kleine Parkplakette ein. »Machen Sie keinen Kratzer rein«, mahnte Wilkins und er bemerkte den Seitenblick durchaus, mit dem der Parkplatzangestellte seinen Wagen bedachte, dessen Lack schon deutlich bessere Tage gesehen hatte. Normalerweise parkte dieser hier wohl Bentleys, Porsches oder Ferraris. Aber sicher nicht so etwas. Dennoch war er bemüht, seine Professionalität zu wahren.

      »Natürlich nicht, Sir.«

      Aidens Blicke flogen trotz der angespannten Situation umher. Gepflegte Grünanlagen, in denen sich perfekt arrangierte Gräser und Kiesplätze abwechselten, unter dem überdachten Vorplatz warteten Portiers und ein weiterer Mitarbeiter des Parkservice. Ein Gepäckwagen stand bereit, golden glänzend, selbst in dem morgendlichen Licht, das sie umgab. Aiden fühlte sich völlig deplatziert. Jeans und Langarmshirt hatte er nicht nur gestern, sondern schon vorgestern getragen und ihn überkam das Gefühl, sich dreckig fühlen zu müssen ohne es zu sein. Ganz abgesehen davon, dass der Fleck auf seinem Turnschuh noch immer da war.

      Allein seine Kleidung, die zwar nicht aus einem Walmart stammte, aber eben auch nicht maßgeschneidert war, wirkte falsch und unpassend. Aiden rief sich ins Gedächtnis, dass er nicht hier war, um Urlaub zu machen. Hinter Sam Wilkins, dessen Namen er sich immer wieder ins Gedächtnis rief, um ihn nicht zu vergessen, trat er in ein Foyer, das er so noch nie gesehen hatte - nicht einmal im Urlaub.

      »Heilige Scheiße...«, entfuhr es ihm, Gott sei Dank leise genug, sodass es nur der Detective zu hören bekam. Seine Blicke flogen umher, völlig überfordert mit all dem, was es zu sehen gab. Prunk und ja, Protz, aber nicht auf eine hässliche Art und Weise. Marmorfußboden, da war er sich ziemlich sicher, schwere Teppiche in den Lounge-Ecken, teure Möbel. Man sah es ihnen an. Ein großer Kronleuchter hing von der Decke, der für stimmungsvolles Licht sorgte. Der Tresen, auf den Wilkins zusteuerte, sah schwer aus und war aus dunklem Holz. Für einen Augenblick vergaß Aiden völlig, weshalb sie eigentlich hier waren.

      Sam Wilkins trat an die Rezeption. Sie bot vielen Gästen gleichzeitig Platz, um einzuchecken. Auch die Oberfläche des Tresens bestand aus Marmor. Hier jedoch dunkler als der des Fußbodens. Er konnte verstehen, dass Aiden Miller überrumpelt war. Das hier war etwas, was Normalsterbliche sonst nur im Fernsehen zu Gesicht bekam. Oder wenn man im Lotto oder einem Preisausschreiben gewann. Die junge Dame hinter der Anmeldung lächelte ihn an. Ihre Frisur saß perfekt. Leichte Locken, eine dezente Spange an einer Seite. Ein dunkler Blazer zu einem passenden Rock und eine makellos weiße Bluse darunter. Dazu eine unter dem Kragen gebundene Schleife in einem leichten Ockerton. Dezent. Elegant. Sie war schlank