Mira Schwarz

Liebe auf Französisch - Küsse niemals einen Anwalt


Скачать книгу

      Sie öffnete die weiße Kiste aus Holz, in die sie ihre Einnahmen zukünftig hineintun wollte und hing ihren Gedanken nach. Was für ein interessanter Mann - gutaussehend, charmant und auch ein bisschen geheimnisvoll. Sie legte das Geld in die Geldkassette, die sie natürlich ebenfalls beim Trödler erstanden hatte. Dann erstarrte sie für einen Moment.

      »...und er ist verheiratet. Du bist ja unmöglich, Janine. Denk nicht mal dran«, flüsterte sie leise und schlug den Deckel mit einem Knall zu.

      Kapitel 2 – Schatten der Vergangenheit

      Paul trat aus dem kleinen Blumenladen und schloss die Tür hinter sich.

      Wie beiläufig hörte er eine kleine Glocke bimmeln. Ruhig wandte sich nach links zur nächsten Eingangstür, die etwas versteckt hinter einer großen Kletterpflanze lag. Er tippte die Nummer in das elektronische Schloss, drückte die Tür auf und überquerte den Hof, der hinter der unscheinbaren Tür lag.

      Am gegenüberliegenden Ende des Hofes schloss er eine weiße Tür mit einem Schlüssel auf und betrat das helle, freundliche Treppenhaus. Die Holzstufen knarrten, als er die Treppe emporstieg. Im zweiten Stock musste erneut eine Tür aufschließen. Er stand mit dem kleinen Mäusejäger im Flur seiner Wohnung. »Da kann man sich schon fragen, wie du es immer wieder hier hinaus schaffst«, knurrte er den Kater gutmütig an. »Drei Türen!«

      Der kleine Kater sprang mit einem Satz von seinem Arm und lief in die Küche. Er hatte Hunger. Paul ging ihm hinterher, holte aus einem der Schränke einen Karton mit Katzenfutter und füllte den Napf. Der Stubentiger fraß mit einem tiefen Gurren. Danach sprang er auf das dicke gemütliche Kissen, das Paul ihm in die Fensterbank gelegt hatte, leckte seinen Pfoten und rollte sich zusammen, so dass er mit dem Rücken zur Küche lag und das Treiben auf der Rue Cailloux gut beobachten konnte.

      Paul streichelte ihm noch einmal über den Kopf und ging dann zurück in den Flur. Er schloss die Tür sorgfältig hinter sich und ging denselben Weg, Treppenhaus, Hof, Eingangspforte, kopfschüttelnd wieder zurück. Wie kam der Kater aus diesem Hof, verdammt?

      Er hatte keine Ahnung. Gut, oben im Treppenhaus war er durch die Tür entwischt. Da hatte er ihn noch gesehen. Aber dann?

      Auf der Rue Cailloux wandte er sich nach links und ging auf dem Gehweg entlang in Richtung Metro. Als er seine Monatsfahrkarte aus der Tasche ziehen wollte, bemerkte er, dass er die weiße Rose noch immer in der Hand hielt. Er hatte sie ganz vergessen. Erstaunlich, dass er sie gekauft hatte. Er zog sein Mobiltelefon aus der Tasche, drückte eine Tastenkombination und hielt sich das Gerät an sein Ohr. »Ah, ja, Claudine, hier ist Paul. Ich komme heute später... ja, das macht nichts, diesen Termin kannst du ein bisschen nach hinten schieben... ...nein, das wird Henry nichts ausmachen, ruf ihn doch einfach an. Ja. Bis später.«

      Er steckte das Telefon zurück in die Innentasche seines Mantels und verließ die Vorhalle der Metrostation wieder. Nach einigen Minuten Fußmarsch auf der Rue Cailloux erreichte er das schmiedeeiserne Tor. Er drückte es auf und ließ das Alltagstreiben der Pariser Straßen hinter sich.

      Paul hörte zwar noch den Lärm der Autos, die Worte der Menschen, die hinter der hohen Granitsteinmauer entlang gingen und sich unterhielten. Aber diese Geräusche waren auf einmal sehr weit weg. Die wunderbare Stille, die von diesem Ort ausging, umfing ihn, ließ ihn alles andere vergessen.

      Er ging einen Kiesweg entlang. Ohne Probleme fand er sich zwischen den hunderten von Steinen, die rechts und links der Wege dicht an dicht standen, zurecht, obwohl er Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen war. Er schlenderte durch die Gänge und fand den einen Stein, den er suchte.

      Er sah auf die Inschrift - Manuela Santini, geboren am 3. Mai 1981 - gestorben am 8. August 2012 - und besah sich die Gedenktafeln, welche die Trauergäste damals aufgestellt hatten.

      Mit leicht zittrigen Fingern legte er die Rose auf die Platte aus Marmor und trat wieder einen Schritt zurück. Dann besann er sich und schaute sich um. Gab es hier keine Vasen für echte Blumen? Die Gräber links und rechts waren mit künstlichen Blumen, manchmal aus Plastik, meist aus Porzellan, geschmückt.

      Ewige Lichter brannten, nicht selten gab es Bilder der Verstorbenen, die in wetterfesten Rahmen auf den die Gräber deckenden Marmorplatten standen. Doch Vasen sah er keine. Er ging den Weg noch einmal zurück und schaute sich um. Aber überall dasselbe Bild. Es gab auf diesem Friedhof keine frischen Blumen und demnach auch keine Vasen.

      Verwundert stellte er fest, dass es ihm noch nie so aufgefallen war. Aber selbst wenn: Er hätte ja wohl auch kaum eine Vase von einem anderen Grab nehmen können, um seine Rose dann darin auf ihrem Grab zu posieren. Also ging er wieder zurück und stellte sich vor das schlichte Grab, auf dem die weiße Rose lag. »Hallo Manu, lange her...« Er räusperte sich und kam sich wie immer ein bisschen dumm vor. Er sprach laut mit einer Steinplatte. Erneut. Überhaupt, was sollte er denn jetzt sagen?

      »Hm. Ich habe dir eine Rose mitgebracht. Ich hab sie heute Morgen in Victoires Laden gekauft.« Er hielt inne. Das musste er erklären. Sie war ja nicht auf dem neusten Stand. »Victoire ist zurückgegangen. Er meinte, er hätte jetzt genug gearbeitet und wolle endlich mal wieder Sonne und Wärme genießen. Und ich kann ihn gut verstehen. Der Winter war dieses Jahr lang und kalt.« Paul atmete tief und blickte sich um, ob ihn jemand beobachtete.

      »Nun ja, auf jeden Fall hat eine junge Frau den Laden von Victoire übernommen und ein Blumengeschäft darin eröffnet. Es sieht ganz anders aus als vorher, freundlich und hell, nicht so düster.« Und gammelig, fügte er in Gedanken hinzu. Schnell sagte er, als meinte, er könne sie beleidigt haben: »Victoire hat auch schon lange nichts mehr gemacht. Er wusste wohl schon, dass er bald abreisen wollte. Mir hat er natürlich erst ein paar Tage vorher gesagt, dass er Paris verlässt. Typisch.« Erneut eine Pause. Er räuspert sich.

      »Der Kater war drin. Im Laden meine ich... heute Morgen. Also bin ich auch hinein gegangen, um deinen Tiger wieder nach Hause zu holen. Er scheint sich da ganz wohl zu fühlen.« Seine Stimme wurde leiser. »Und ich auch. Anders kann ich mir nicht erklären, warum ich dort eine Blume gekauft habe. Du weißt, für so etwas war ich nie der Typ.« Er war lange nicht mehr hier gewesen. Anfangs nicht, weil er nach ihrem Tod mit sich selbst nichts mehr anzufangen wusste und vor lauter Trauer auch nicht dazu fähig gewesen wäre. Später nicht, weil er es überflüssig fand, eine Steinplatte zu besuchen. Und Blumen hatte er hier auch noch nie hingestellt. Sie würde sowieso immer in seinem Herzen sein.

      »Die junge Frau ist sehr nett zum Kater, keine Sorge.« Er stockte und trat von einem Fuß auf den anderen. Es tat ganz gut, hier zu sein, überlegte er. »Ich habe keine Vase für die Rose gefunden, Manu. Ich fürchte, ich muss morgen nochmal mit einer Vase vorbeikommen.« Und mit einer neuen Blume, die er bei Janine kaufen würde. Diese hier würde morgen nämlich verwelkt sein oder vom ständigen Ostwind fortgetragen.

      »Bis morgen dann, Manu.« Er knöpfte seinen Mantel ordentlich zu und ging die Reihen durch die Gräber zurück zum schmiedeeisernen Tor. Aus der Stille trat er auf die lebendige Rue Cailloux und machte sich auf den Weg ins Büro zu seinem Termin. Als die Leute um ihn herum gingen, blieb er noch eine kurze Sekunde stehen und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Paul zog die Nase hoch und atmete durch.

      Der letzte Besuch war viel zu lange her. Viel zu lange …

      ***

      Während er die Rue Cailloux entlang ging, zurück zur Metro-Station, dachte er an Henry, seinen besten Freund. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Henry, knapp 60 Jahre alt, und immer noch ein kleines Kind. Er war laut und hatte den Charme eines Vorschlaghammers. Gestern am Telefon hatte er ziemlich aufgeregt geklungen. Er war sicher wieder in irgendwelche Schwierigkeiten geraten. Henry hatte einen Riecher für gute Geschäfte, geriet aber immer mal wieder an windige Geschäftspartner. Wie oft hatte er ihm in den letzten Jahren aus der Patsche geholfen?

      Vor etwa vier Jahren, Paul hatte gerade die Kanzlei seines Vaters