nach vorne.
»Ich schaue mir an, was du mit meinem schönen alten Art-Deco-Tisch aus Eiche gemacht hast. Du hättest ihn abschleifen können. Wieso schmierst du da Farbe rauf? Der war doch noch gut«, klang seine Stimme dumpf an ihr Ohr.
»Der war noch gut? Der hatte Holzwurm und das Furnier war zum Teil schon abgefallen«, sagte sie ruhig und stellte die Hyazinthe neben ihn auf den Boden. Sie kniete sich hin und krabbelte unter den gleichen Tisch, unter dem Jean auf dem Rücken lag. Sie drückte mit dem Zeigefinger von unten gegen die Tischplatte. Ein paar Stückchen rieselten herunter.
»Naja, gut, hier ist er tatsächlich ein bisschen morsch«, gab er zu und robbte mühsam unter dem Tisch hervor. »Autsch, meine Knie. Man wird auch nicht jünger.« Jean war mindestens siebzig, schätzte Janine. Als sie den Tisch im Trödelladen gekauft hatte und Jean ihn zwischen den Kartons mit alten Landkarten und dem Bücherregal hervorholen musste, war ihr aufgefallen, dass er sich schwerfällig bewegte.
Nun sah sie ihn besorgt an. Jean strich den nicht vorhandenen Staub von seiner Kleidung, den er dort vermutete. »Du hättest mir die Tische niemals so günstig verkauft, wenn nicht irgendetwas mit ihnen gewesen wäre«, sagte sie ein wenig vorwurfsvoll.
»Ja, du hast ja recht, ich wollte mich auch nur nochmal versichern, dass ich kein schlechtes Geschäft gemacht habe und es meine Tische bei dir gut haben.« Er lächelte sie mit einem jungenhaften Grinsen an und sie erinnerte sich an ihren ersten Besuch in seinem Trödelladen.
Ziemlich genau sogar, denn er war alles andere als besonders freundlich gewesen. Nachdem sie eine Weile durch die Laden gestrichen war, die Möbel betrachtet hatte, die alten Lampen, die Gemälde an der Wand, sprach sie Jean an, um den Preise für fünf Tische, die sie sich ausgesucht hatte, zu erfragen. Sie hatte auf diejenigen gezeigt, die am wenigsten gut erhalten waren und gehofft, dass er ihr einen guten Preis machen würde.
Jean hatte sie fast ein wenig verächtlich angesehen. Es war ihr so vorgekommen, als wolle er seine Tische eigentlich gar nicht verkaufen und vor allem nicht an sie. Er hatte kaum gesprochen. »Sie wollen fünf Tische kaufen?«, war das einzige, was er über die Lippen brachte. Bei der Preisverhandlung hatte er ihr zwar einen einigermaßen akzeptabel günstigen Anfangspreis vorgeschlagen, aber als sie nachverhandeln wollte, war er ihr kein Stück entgegengekommen und hatte immer nur mit dem Kopf geschüttelt.
Sie hatte die Tische trotzdem gekauft, weil sie allemal günstiger waren als neue. Und der alte Trödel hatte natürlich viel mehr Charme. Nicht so, wie die neuen Tische aus Pressholz mit Plastikfurnier. Janine hatte eine genaue Vorstellung, wie die Einrichtung ihres Blumenladens aussehen sollte. Und Plastik hatte in ihrem Konzept keinen Platz. Also hatte sie den Trödel dennoch gekauft, obwohl der alte Kauz so unfreundlich zu ihr war.
Bei ihrem zweiten Besuch im Trödelladen, sie wollte zwölf alte Glasvasen kaufen, hatte er es doch glatt über sich gebracht und sie aktiv angesprochen. Er wollte wissen, warum sie von allem große Mengen kaufte. Fünf Tische und zwölf Vasen schienen ungewöhnliche Mengen für den Trödler zu sein. Also hatte sie ihm erzählt, dass sie in dem alten Tabac einen Blumenladen eröffnen wollte.
»Ah, im alten Laden von meinem Freund Victoire?« Er hatte sie mit einem etwas freundlicheren Blick bedacht. »Da wollen Sie Blumen verkaufen?« Sie wies auf die 25 Vasen, die er schon in einen Karton verpackt hatte.
»Ja, ganz genau.«
»Das finde ich eine gute Idee«, hatte er gesagt und plötzlich war so etwas wie ein Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen. »Ich hatte schon Sorge, dass das nächste Geschäft mit diesen tragbaren Telefonen in der Rue Cailloux Einzug hält. Es wäre dann das dritte. Wer braucht denn so viele Telefone? Man kann ja auch mal von Angesicht zu Angesicht mit den Menschen reden«, schwadronierte er vor sich hin, während er Zeitungspapier in den Vasenkarton stopfte.
Der Redefluss verwunderte Janine, immerhin war der Trödler bis jetzt nicht durch Gesprächigkeit aufgefallen und nun sprach er davon, dass Menschen miteinander reden sollten. Aber offensichtlich hatte die Bekanntgabe ihrer Pläne den alten Mann aufgetaut. Es war, als wäre ein Damm gebrochen, der die gut behüteten Worte des Mannes nun sprudeln ließ.
»Früher ging es hier in der Rue Cailloux beschaulich zu. Da war Victoire mit seinem Tabac, die zwei Bäckereien, ein Milchmann, viele kleine Handwerksbetriebe, das Antiquariat von der Maria und die Galerie von Xavier.« Er schmunzelte. »Er gestaltete Postkarten für die drei Touristen, die sich manchmal in diese Straße verliefen. Jeder kannte jeden, man konnte immer mal einen Plausch halten. Oft haben wir die Waren einfach getauscht: Ein Bild gegen ein Buch. Ein Buch gegen zwei Pfund Kartoffeln und so weiter. Und dann kamen die Ein-Euro-Läden aus China mit ihren Blinkesternen im Fenster. Als ob jeden Tag Weihnachten wäre.« Jetzt echauffierte er sich.
»Und dann diese Läden mit den ganzen Telefonen, wer braucht die denn alle? Anschließend noch so ein neumodischer Kram - Café to go...« Er holte tief Luft und redete weiter.
»… alles rennt mit dem Telefon am Ohr und einem Kaffeebecher in der Hand durch die Straße. Niemand grüßt und keiner hat Zeit. Keiner kennt den anderen, die Verkäufer wechseln ständig – also auch kein Plausch mehr zwischendurch.«
Janine kannte diese Diskussionen um den Verfall der Innenstädte, um den Niedergang der angestammten Einzelhändler, die ihren Platz für unpersönliche Geschäftsketten räumen mussten, weil die Mieten für die Ladengeschäfte zu teuer wurden oder aber die Besitzer keinen Nachfolger für ihre traditionellen Gewerbe fanden. Offensichtlich war es auch in der Rue Cailloux zu einem solchen Prozess gekommen. »Sie haben Recht«, stimmte sie ihm nachdenklich zu. »Es ist schade, wie sich die Geschäftsstruktur verändert hat. Ein-Mann-Betriebe haben es heute schwer, mitzuhalten.«
Jean hatte sie erstaunt angeblickt, als wenn er nicht vermutete, dass jemand wie sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Ein Lächeln umspielte die Lippen des Mannes. »Oder Ein-Frau-Betriebe, oder, junge Dame? Ist ja schön, dass sie sich aufmachen, wieder Kultur in unsere Straße zu bringen. Na, ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg mit ihrem Grünzeug!«
Als Janine das nächste Mal zu ihm gegangen war, um alte Lampen für »Les fleurs« zu erstehen, hatte er sie auf einen Kaffee eingeladen. Sie durfte auf einem der antiken Sofas in der hinteren Ecke des dunklen Ladens Platz nehmen, während er hinter einer Tür mit einer offensichtlich neumodischen Kaffeemaschine kämpfte.
Sie hörte nur ab und zu ein ärgerliches Gegrummel. »Wieso blinkt jetzt dieser Knopf, soll ich da drauf drücken?« Das Knallen von Tassen und anderen Dingen und hatte Zeit gehabt, sich ein wenig umzusehen.
Bis unter die Decke war der Brocante vollgestellt mit alten Möbeln. Kein Platz fand sich in den Schränken, die mit Büchern, alten Häkeldeckchen, Stoffen, Karten, Schallplatten, Gläsern und anderen Kostbarkeiten vollgestopft waren. An den Wänden hingen so viele alte Ölschinken, dass nicht ein Stück Tapete zu erkennen war. Sogar ein paar ausgestopfte Wildtiere hingen dort. Aber damit konnte Janine nichts anfangen. Sie liebte Tiere und ausgestopfte Jagdtrophäen passten einfach nicht in ihr Weltbild.
Die Glasvitrinen waren mit altem Geschirr dicht besetzt, dazwischen spiegelte sich das Licht in Schmuckvitrinen aus Glas. Trotzdem es etwas staubig roch und sie ein bisschen fror, fühlte sie sich wohl. Zumindest, wenn sie den Wildschweinkopf an der ihr gegenüberliegenden Wand ignorierte. Sie hatte das Gefühl, er starrte sie an.
Endlich kam Jean mit dem Kaffee zurück, der aus hübschen antiken Tässchen im Widerschein des Kronleuchters, der über dem Tisch hing, dampfte. Er brachte auch ein paar Plätzchen, die er sorgsam auf eine alte, mit Blumen bemalte Porzellanuntertasse gelegt hatte. Der Mann stellte die Untertasse und die Kaffeetassen auf das Tischchen, ging noch einmal in die Küche und kam mit einem Milchkännchen und einer Zuckerdose zurück.
Sie bewunderte das schöne Porzellan. Die einzelnen Teile passten zwar nicht zusammen, aber das Gesamtarrangement war herrlich. Jean hatte einen Blick für das Schöne, das war offensichtlich. Noch einmal drehte er sich weg, kramte hinter irgendeiner alten Vitrine in einem Koffer und zog etwas heraus.
»Wenn