Mira Schwarz

Liebe auf Französisch - Küsse niemals einen Anwalt


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fahren. Da wohnt mein Vater jetzt.« Henry ließ sich ohne eine Aufforderung abzuwarten in einen der Besuchersessel fallen lassen und hatte laut aufgestöhnt.

      Obwohl Paul den dicken, schwitzenden Mann, der wie ein Schluck Wasser in seinem neuen Lederfauteuil hing, irgendwie mochte, war er doch ärgerlich gewesen. Erst stand er ohne Termin vor seinem Schreibtisch, dann begrüßte er ihn noch nicht einmal und wollte zu guter Letzt seinen Vater sprechen, der alle seine Klienten in einem freundlichen Schreiben davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass sein Sohn die Kanzlei übernehmen würde, da er jetzt in die wohlverdiente Rente ging.

      Er bot Henry ein Glas Wasser an, das dieser kopfschüttelnd ablehnte. »Ein Cognac wäre besser.« Er nickte in Richtung der großen Globuskugel, die vor dem bodentiefen Fenster stand. Es war zehn Uhr dreißig morgens. Paul öffnete die Nordhalbkugel und holte eine Cognacflasche und ein Glas aus dem Globus, das er einige Sekunden später gefüllt vor Henry auf dem Glastisch absetzte.

      Der Mann kannte das Büro offensichtlich, denn er wusste, wo der Cognac versteckt war. Wieso wusste er dann nicht, dass er die Kanzlei übernommen hatte? Er setzte sich ihm gegenüber, schlug die Beine übereinander und wartete, was ihm der Mann erzählen würde. Dieser leerte das Glas in einem Zug. »Sie sind dann also Paul junior?«

      »Richtig. Und Sie sind...?«

      »Henry Descartes – wie der Philosoph. Nur offensichtlich nicht so schlau.« Henry hatte ein Haus auf dem Montmartre gekauft, was an sich eine gute Investition war, denn die Immobilienpreise im ehemaligen Pariser Rotlichtviertel stiegen rasant.

      Offensichtlich war er dabei an einen windigen Geschäftsmann aus dem Gewerbe geraten und seine Investitionsentscheidung drohte in ein finanzielles Desaster abzurutschen, da der Eigentümer von notwendigen Formalitäten nicht viel hielt und Henry ohne notarielle Bestätigung der Verträge bereits einen Haufen Geld als Anzahlung abgenommen hatte.

      Der Verkäufer weigerte sich die notwendigen Gutachten ausführen zu lassen, die Henry dann auf eigene Faust durchführen ließ. Der Gebäudekomplex wies einige eklatante Mängel auf, die sich preismindernd ausgewirkt hätten, hätte Henry auf die übliche Prozedur bestanden und den Vorvertrag notariell abgeschlossen, bevor er eine Anzahlung an den Verkäufer übergab. Hatte er aber nicht.

      Nun saß er jammernd vor Paul. »Dach- und Kellerrenovierung kosten mich einige Hunderttausend zusätzlich. Wie komme ich bloß aus dieser Nummer heraus?« Er rieb sich mit den Händen die Augen und Paul sah, dass er einen dicken Goldring mit einem roten Stein am kleinen Finger trug. Sicher ein Rubin. Schlecht konnte es dem Mann nicht gehen. »Ihr Vater hätte sicher eine Idee, wie ich jetzt vorgehen sollte.«

      »Ich bin meines Vaters Sohn und ich hab auch eine Idee«, sagte Paul kühl. Henry musterte ihn erstaunt und fing dann an zu lachen.

      »Ja, tatsächlich. Sie sind der Sohn Ihres Vaters, so hätte der Senior sicher auch reagiert.« Henry entspannte sich und lehnte sich im Sessel zurück. »Sie wissen nicht, wer ich bin, oder?«

      »Henry Descartes, sagten Sie.«

      »Der Senior und ich haben eng zusammen gearbeitet, als das Landgericht umziehen sollte und ihr Vater im Etablissement Public den Vorsitz hatte.« Paul erinnerte sich dunkel an ein lang vergangenes Debakel: Der Justizpalast war zu klein geworden, das Landgericht sollte auf die Rive Gauche umsiedeln.

      Pauls Vater hatte das Projekt geleitet. Er hatte gehofft, dass das Ministerium und die Gerichtstätten weiterhin im Zentrum von Paris zusammen bleiben würden. Aber der Pariser Oberbürgermeister legte ein Veto ein und die Behörden und Verantwortlichen begannen, das Projekt auseinander zu nehmen. Paul senior hatte frustriert den Vorsitz abgegeben. Erst Jahre später war dann endlich ein Entschluss getroffen worden und das Gericht zog nun in den Nordwesten von Paris.

      »Ich habe 2005, nach dem Veto, beschlossen, ein paar Jahre ins Übersee-Departement zu wechseln und bin erst vor einigen Monaten aus La Reunion zurückgekommen.« Das erklärte, warum er nichts davon wusste, dass Paul junior die Erbfolge angetreten hatte. »Wenn Sie mir noch einen Cognac anbieten, dann sehe ich allerdings keinen Hinderungsgrund, warum ich nicht auch mit Ihnen vertrauensvoll zusammen arbeiten sollte.«

      Das konnte ja heiter werden. Paul war zum Globus gegangen, um Henrys Glas ein zweites Mal zu füllen. Die Verträge, die Henry bereits abgeschlossen hatte, waren alle sauber gewesen und es hatte viel Zeit in Anspruch genommen, ein juristisches Schlupfloch zu finden und Henry aus den Klauen der Immobilienmafia des Montmartre zu befreien. Doch Paul hatte ihm tatsächlich einen Ausweg aufzeigen können und Henry hatte mehrere hunderttausend Euro nicht verloren.

      Zum Dank oder vielleicht auch aus alter Freundschaft zu Paul senior hatte Henry den jungen Anwalt zu einem Abendessen nach Hause eingeladen. Marlene, Henrys Frau, hatte zwar eine ähnliche Figur wie ihr Mann, unterschied sich aber ansonsten himmelweit.

      Wo Henry laut war, war sie ruhig. Wo Henry schnell war, war sie bedacht. Es hätte kaum ein unterschiedlicheres Paar geben können. Henry war der Draufgänger, Marlene der eher mütterliche Typus. Und sie hatte Paul im Moment seines Ankommens quasi adoptiert. Er hatte den Mantel noch nicht abgelegt, da drückte sie ihn schon an ihren runden Körper, teils aus Dankbarkeit, weil er ihren Mann vor einer Dummheit bewahrt hatte, teils, weil ihr Naturell es ihr gar nicht anders erlaubte. Und Paul, der das ungleiche Paar zunächst mit Distanz beobachtet hatte, konnte nicht anders und hatte die herzliche Umarmung Marlenes erwidert.

      Damit war er offiziell zum Teil der Familie geworden und war mindestens einmal im Monat zum sonntäglichen Mittagessen eingeladen worden. Da Paul nach Manus Tod sowieso nichts mit seinen Sonntagen anfangen konnte, hatte er sein Befremden vor der stürmischen Familienaufnahme überwunden und war mit jeder Einladung lieber in das schöne Anwesen im 16. Arrondissement gekommen.

      Er hätte ja auch gar nicht anders gekonnt: Wenn er einmal die Einladung absagen musste, weil er andere Verpflichtungen hatte, dann stand Marlene ein paar Tage später in seinem Büro und sah ihn an, als wenn er ihr gesagt hätte, der Coq au Vin wäre ihr nicht gelungen. So war aus der geschäftlichen Beziehung eine Freundschaft und Henry war für Paul eine Art Ersatz für den Vater geworden, den er nur noch selten traf.

      »Na, mal sehen, was jetzt wieder anliegt«, dachte Paul und beschleunigte seinen Schritt. Er passierte die Metroschranke und erwischte gerade noch eine Bahn in Richtung La Defense. In diesem modernen Hochhausviertel hatte sein Vater in den frühen Siebzigern ein Grundstück erworben und seine Kanzlei aufgemacht, allen Unkenrufen zum Trotz, die dem Geschäftsviertel keine Zukunft gaben.

      Während der Ölkrise war das Projekt La Defense durch den damaligen Premier Valéry Giscard d’Estaing fast gekippt worden. Aber Pauls Vater hatte Recht behalten, das Viertel hatte sich bestens entwickelt. Über 2500 Firmen hatten sich mittlerweile angesiedelt, die gerne auf die Beratungen der alteingesessenen Anwälte zurückgriffen. Die Kanzlei hatte viel Geld in den vergangenen Jahren verdient.

      Paul würde für den Rest seines Lebens finanziell abgesichert sein. Aber was nützte all das Geld, wenn er niemanden hatte, mit dem er es teilen konnte. Glück war manchmal eine viel zu flüchtige Bekanntschaft, dachte er und atmete aus.

      Er verließ die Metro und eilte zwischen den modernen Gebäudekomplexen entlang zu seiner Firma. Der Wind wehte eisig die breiten Prachtstraßen entlang und rieb sich die Hände warm. La Defense unterschied sich architektonisch gewaltig von den Straßen im Zentrum von Paris. Alles war groß und kühl, nicht nur wegen des Windes. La Defense war unpersönlich und hatte keinen Charme.

      Die Menschen hasteten durch die Straßen, blickten auf ihre Telefone oder stur geradeaus, die Menschen waren in schwarze Businessanzüge oder –kostüme gekleidet, alle sahen genau gleich aus. Paul sah an sich hinunter: »Wie ich«, stellte er fest.

      Er schlug den Mantelkragen hoch und betrachtete eine Dame, die in viel zu hohen Schuhen über die Straße eilte. Kein Baum säumte die Gehwege, die Grünanlagen waren mit weißem und grauen Schotter gefüllt, vereinzelt gepflanzte Gräser schauten aus den unnatürlichen Beeten. Er dachte an die Kletterpflanze vor dem Eingang seines Hauses.

      Er