Sari Eis

Revenge


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du gerufen wirst“, entgegnete er ernst.

      „Man ruft mich Neyla.“

      Ihm war klar, dass auch das nicht ihr wahrer Name war. Doch immerhin war es besser als Kleine oder Mädchen. „Mich ruft man Dawer. Ab und zu aber auch Arsch oder Vollidiot.“

      Sie lachte auf. „Alles klar.“

      Auch Dawer lachte. Es freute ihn, wenn die Frauen so heiter waren. Und Neyla hatte offenkundig nicht mal mit Alkohol nachgeholfen, wie viele andere ihrer Zunft. Sie war herrlich erfrischend, in der doch recht eintönigen Welt eines Söldners.

      „Seit wann bist du hier?“, fragte er weiter, denn es war nicht sein erster Besuch in diesem Bordell. Doch die Kleine hatte er hier bisher nie gesehen.

      „Seit knapp einem Jahr.“

      „Und wo kommst du her?“

      „So neugierig, Herr Vollidiot?“, fragte sie frech zurück.

      Dafür bekam sie einen Klaps auf den Oberschenkel, der sie wieder zum Lachen brachte. „Woher?“, hakte er nach und strich über die Stelle, die er getroffen hatte.

      „Aus dem Süden. Von der Küste.“

      Er runzelte die Stirn, denn der Süden war auch seine Heimat. „Von wo genau?“

      „Helven“, sagte sie und ihr Lächeln verschwand.

      „Das tut mir leid.“ Mehr konnte er dazu nicht sagen. Helven war eine Hafenstadt gewesen, die vor knapp drei Jahren niedergebrannt worden war. Heute war es ein Fleck verkohlter Ruinen, nicht mehr.

      „Kennst du es?“, fragte sie nun ihn.

      „Ja. Ich war da.“

      „Wann?“, wollte sie neugierig wissen und hatte natürlich keine Ahnung, von seinem Besuch dort. „Vielleicht sind wir uns ja schon über den Weg gelaufen und wissen es nicht mehr.“ Sie lächelte wieder amüsiert.

      Kurz schwieg er und antwortete dann ehrlich: „Vor drei Jahren.“

      Erschrocken rutschte die kleine Neyla ein Stück weg und stemmte sich seitlich hoch. „Wann genau?“ Ihre Stimme war von jetzt auf gleich ernst.

      „Als es niedergebrannt wurde.“ Dawer hatte den Blick gesenkt, hob ihn jedoch wieder zu ihr. Ihre Augen waren groß und eine Mischung aus Unglaube, Zorn und Angst stand darin. „Ich war nicht daran beteiligt“, ließ er sie wissen und hatte einen flehenden Ton in der Stimme.

      „Das sagst du! Wer sagt mir, dass du nicht lügst?“, stieß sie aus, sprang auf und vom Bett runter. Sie zog eine Decke von einem der Sessel und hielt sie schützend vor sich.

      „Ich lüge nicht. Wir waren dabei, aber wir haben es nicht getan. Ich schwöre es!“ Von jetzt auf gleich war die ganze ausgelassene Stimmung zunichtegemacht. Er hätte nichts sagen sollen. Warum war er so dumm gewesen, ehrlich zu sein?

      Dawer sah Tränen in ihren Augen glänzen und wusste, sie glaubte ihm kein Wort. Warum sollte sie auch?

      Soweit er selbst wusste, hatte kaum einer aus der Stadt überlebt. Die Kleine aber wusste es mit Sicherheit, was sie zu dem Schluss brachte, dass er auf der Gegenseite gestanden haben musste.

      Die Angreifer hatten die Stadt umstellt und die Bewohner verständlicherweise die Tore der Stadtmauern geschlossen. Doch ein Attentäter vom Feind hatte sich in die Stadt schleichen können und mitten in der Nacht mehrere Feuer gelegt. Als die Leute es bemerkt hatten, hatten sie fliehen wollen, doch die Belagerer hatten die Tore in aller Heimlichkeit so versperrt, dass sie nicht mehr aufgingen. So waren fast alle Stadtbewohner in dieser Nacht qualvoll verbrannt.

      „Warst du da, als es geschehen ist?“, fragte Dawer leise.

      Neyla antwortete nicht. Ihre Miene zeigte einzig und allein Entsetzen.

      „Darf ich dir erzählen, wie es war?“

      „Ich weiß es“, hauchte sie fast unhörbar. Eine Träne löste sich und rollte ihr über die Wange. „Ich weiß das alles. Ich habe es gesehen. Ich ...“ Sie verstummte und starrte ihn einfach wieder an. Dann holte sie Luft und warf ihm lautstark Vorwürfe an den Kopf: „Fast keiner hat überlebt! Ich kannte alle dort! Es war meine Heimatstadt! Dich habe ich dort nie gesehen! Wer sonst solltest du sein, wenn nicht einer der Bastarde, die das getan haben?!“ Den letzten Satz rief sie nun voller Wut.

      „Ich war dabei!“, sagte er ebenso laut, doch nur, um sie zur Ruhe zu bringen. „Aber ich habe das nicht getan! Glaube mir!“

      „Wie soll ich dir das glauben? Wie könnte ich?“

      „Ich bin Söldner! Meine Freunde und ich sind es. Wir wurden angeworben und ...“

      „Also doch!“, unterbrach sie ihn. „Wo liegt denn der Unterschied, ob bezahlt oder freiwillig?“, fuhr sie ihn an und nun rollte eine Träne nach der anderen.

      „Wir haben den Auftrag nicht zu Ende gebracht!“, rief er aus, damit sie verstand. „Als wir erfuhren, was sie vorhatten, haben wir uns verweigert. Wir haben auch den Sold nicht angenommen, der uns geboten wurde. Wir waren da, aber wir haben nichts getan! Bitte, glaube mir!“

      Neyla stand nur da, den Mund leicht geöffnet, als wolle sie etwas sagen, doch kein Wort kam über ihre Lippen. Sie schüttelte leicht den Kopf und wandte dann den Blick ab. Dawer sah ihre Tränen auf den Boden fallen.

      „Geh“, flüsterte sie. „Bitte geh einfach.“

      „Neyla.“

      „Ich kann nicht ...“ Sie schaute auf und Dawer hätte es nie für möglich gehalten, aber in diesem Moment brach sein Herz für die Kleine. Für eine Fremde, ein leichtes Mädchen, das ihm eigentlich Zerstreuung verschaffen sollte. Da stand sie, unbeholfen und verloren und sah aus, als würde die Welt um sie herum zerfallen.

      Sie ging in die Knie und begann bitterlich zu weinen. Dawer schnellte hoch und zu ihr. Für einen Moment wehrte sie sich, doch schließlich ließ sie seinen Trost zu und lag weinend in seinen Armen. Die Tränen rannen über ihr Gesicht und tropften auf seine Schulter. Sie zitterte wie Espenlaub und er konnte nicht mehr tun, als sie zu halten.

      „Es tut mir leid“, sagte er leise, wusste, dass es nichts gutmachte, hoffte aber ebenso, sie gäbe ihm keine Schuld an dem, was passiert war.

      Sie brauchte eine ganze Weile, um zur Ruhe zu kommen. Dawer hatte die Decke von vorn um sie geschlungen, denn das Feuer brannte langsam herunter. Er hätte Holz nachlegen können, doch er wollte sie nicht loslassen. Als sie endlich aufhörte zu weinen, schob er sie ein Stück von sich und nahm ihr Gesicht in die Hände. „Was kann ich tun?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Nichts. Nichts mehr.“ Dann senkte sie den Blick. „Bitte entschuldige. Das hätte nicht passieren dürfen.“ Sie wischte sich über die Wangen und die Tränenspuren damit weg. „Ich denke, es ist in Ordnung, wenn du nicht bezahlen musst. Ich werde es erklären. Ich ...“

      Dawer schüttelte den Kopf. „Deine Dienste hast du erbracht. Ich werde zahlen.“

      Sie nickte. „Aber nur 10. Die Nacht fällt wohl aus.“

      Wieder schüttelte er den Kopf und lächelte dann. „Ich würde gern bleiben, wenn ich darf.“

      „Aber meine Gesellschaft ist nicht ...“

      „Egal“, unterbrach er sie. „Ich bin ja selbst schuld. Ich hätte nicht so viel fragen dürfen.“

      Nun lachte sie wieder ein kleines Bisschen. „Ja. Ihr seid immer so neugierig. Das werde ich nie verstehen.“

      „Lass es mich erklären“, bat er, stand auf und hielt ihr die Hand hin. Sie nahm sie, ließ sich hoch- und zum Bett zurückziehen.

      3

      Frühstück ans Bett

      Der Duft von frischem Brot weckte Jamie, während ein einzelner Strahl