denkst du auch, du darfst wieder zu ihr?“, wollte Océan wissen. „Ich kann’s mir nicht vorstellen. Wahrscheinlich hat sie nur so getan, als würde sie es verstehen, damit du endlich wieder gehst.“ Seine Worte hätten was Scherzhaftes haben können, wenn das Thema nicht so ernst gewesen wäre.
In Dawers Gesicht spiegelten sich verschiedene Gedanken, die Thrace quasi hören konnte, als würde der Anführer sie laut aussprechen.
Hat Océan recht? War sie nur freundlich, weil es ihre Aufgabe ist? Wird sie noch in Nordbrand sein? Werde ich sie wiederfinden?
Die Kleine musste echt was an sich haben, das Dawer fesselte. Normalerweise war er nicht so auf eine Hure fixiert und vor allem hinter ihr her. Allerdings musste Thrace auch eingestehen, dass er es nachvollziehen konnte.
Als er sie gesehen hatte, war es aber nicht das Verlangen nach Sex gewesen, dass ihn hatte aufstehen und zu ihr gehen lassen. Viel mehr war es eine Art Neugierde gewesen. Ihre Blicke hatten sich nur kurz getroffen, doch es hatte gereicht, um etwas in ihm hervorzurufen.
Was es genau war, würde sich hoffentlich noch zeigen, denn im Moment wusste Thrace überhaupt keinen Rat, warum gerade eine Hure, ein leichtes Mädchen, solche Gedanken bei ihm auslöste.
5
Ein Auftrag für eine Hure
Die Zelte waren schnell aufgebaut und die ersten Männer standen bereits in einiger Entfernung und warteten darauf, dass die Liebesdamen sich freigaben. Der Marsch hatte drei Tage gedauert und viele waren einfach nur froh, endlich angekommen zu sein.
Es war das erste Mal für Jamie, dass sie für ein Heerlager gebucht worden war. Bisher waren ihre Freier immer zu ihr gekommen. Nun, sie taten es auch jetzt, doch die Frauen waren mit den Männern gereist und nur für sie abgestellt. Der General bezahlte sie für alle Grundleistungen.
Es gab wohl auch einige Sonderbehandlungen für höhergestellte Männer. Jáne hatte veranlasst, dass diese Männer kleine Perlen bekamen, die sie den Frauen gaben, um anzuzeigen, dass sie eine Sonderbehandlung bekommen durften. Diese Perlen gaben die Frauen dann an Jáne weiter und die wiederum, holte den Lohn für die Dienste beim Kommandanten ab.
Auch wenn Jamie Jánes beste Frau war, hatte sie bei den Männern hier nun weniger Auswahl und würde auch auf welche zurückgreifen müssen, die ihr nicht gänzlich zusagten. Zumindest, wenn sie mehr verdienen wollte.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und Jáne ließ ihre Frauen die Zelte öffnen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis fast alle zu tun hatten. Jamie hielt sich noch im Hauptzelt auf, ließ den Blick schweifen und wartete auf einen, der ihr gefiel.
Einige drängten um sie herum und machten ihr Angebote, doch sie waren allesamt nicht das, was sie wollte. Sie wusste, sie konnte es sich leisten, nein zu sagen, und sie wusste, sie war damit nicht die Beliebteste bei den anderen. Die hatten weniger Freiheiten und damit weniger Freude.
Es gab nur zwei Mädchen neben Jáne, die Jamie wirklich wohlgesonnen waren, Ráya und Levi. Diese beiden und sie selbst waren mit 25, 20 und 21 Jahren, die drei die Jüngsten unter Jánes Hand. Ráya, die als Elfenfrau exotisch war und Levi, die die Naive vom Lande mimte und die Männer dann doch ausnahm, hatten als einzige kein Problem mit Jamie, die als einziges Kind des Erzmagiers von Helven, statt der Magie, die Hurerei als Beruf gewählt hatte.
Jamie hatte nie ein Händchen für die Zauberei gehabt und zum Schluss nicht mal mehr jemanden, der es ihr hätte beibringen können. Also war sie eben eine Dame der Liebe geworden, denn damit verdiente man wenigstens Geld. Zumindest, wenn man es richtig anstellte.
Das erste Jahr war teilweise wirklich schlimm gewesen, denn Jamie hatte keine Erfahrung gehabt und die Männer hatten sie nur als Mädchen gesehen, das man benutzen konnte. Mittlerweile wusste sie aber, wie man es anstellen musste, und hatte so unter Jáne schon die zweite Anstellung als bessere Hure bekommen.
Jetzt gerade langweilte sie sich aber, denn noch immer kamen keine Männer, die ihrer Dienste wert gewesen wären.
„Mädchen“, sprach sie einer an und streckte eine Hand aus. Seine Finger fühlten sich rau an, als er ihr über die Wange strich. „Ich habe Geld dabei. Komm mit mir.“
Sie musterte ihn kurz und fragte dann mit einem koketten Lächeln: „Wir werden bezahlt, aber nicht von dir. Wofür also das Geld, mein Guter?“
„Ich habe gehört, für ein paar extra Münzen macht ihr es mit dem Mund.“
„Was du alles so hörst“, säuselte sie.
„Wie steht’s?“, wollte er wissen und grinste. Einer seiner Schneidezähne war abgebrochen und alle anderen standen krumm und schief. Jamie packte fest in seinen Schritt. Sein Lächeln verschwand und sein Mund öffnete sich.
„Mmm. Also im Moment steht nichts, würde ich sagen.“ Sie ließ ihn los und sein Grinsen kam zurück.
„Du kannst das sicher ändern. Komm schon.“
„Ich bedauere, dich enttäuschen zu müssen“, ließ sie ihn wissen und stand auf. „Aber ich bin leider schon anderweitig beschäftigt.“ Damit wandte sie sich ab und verließ das Zelt. Sie würde einen Spaziergang machen. Bei der Gelegenheit konnten die Männer sie sehen und Jamie konnte ausmachen, ob es hier überhaupt etwas Besseres für sie gab.
Die Truppe unter Dawer hatte ihre Zelte am Rand des Heerlagers aufgeschlagen und ein Feuer entfacht um das herum nun alle auf Baumstämmen saßen. Lys hatte gefühlt nur drei Worte gesprochen, seit sie aufgebrochen waren, und er schwieg noch immer, was Thrace mehr und mehr Sorgen machte. Der Junge würde im Kampf keinen vollen Einsatz bringen und wenn er das nicht tat, war er eine Gefahr für sich und alle anderen.
„Dawer“, sprach Thrace den großen Mann gegenüber an.
Der hob nur fragend den Blick.
„Was willst du tun?“, fragte Thrace und nickte Richtung Lysján.
„Nichts“, war Dawers schlichte Antwort.
„Es wird gefährlich werden“, gab Thrace zu bedenken, doch der Anführer zuckte nur mit den Schultern.
„Bevor es so weit kommt, schlage ich ihm den Kopf eigenhändig ab.“ Er grinste, weil es nicht mehr als eine leere Drohung war, doch Lys schaute auf und wurde kreidebleich. Noch bevor Thrace etwas dazu sagen konnte, wurde ihm selbst anders. Allerdings auf eine angenehme Weise. Aus dem Dunkel hinter Dawer tauchte eine Frau auf, deren Augen belustigt funkelten.
„Werter Herr Vollidiot“, kam es Jamie über die Lippen, als sie ihn entdeckte. Sie grinste, als sie abbog und von hinten auf ihn zu trat. „Na schau mal einer an.“
Dawer wandte sich ihr zu und ein überraschtes aber breites Lächeln stellte sich auf seinen Zügen ein. „Neyla!“ Er streckte den Arm aus, als sie nah genug war, packte sie um die Mitte und zog sie auf seinen Schoß. „Welche Freude, Milady.“
Sie lachte und ließ den Kuss auf ihren Hals zu. „Milord, ich bitte Euch. Wir sind nicht allein.“
Er lachte ebenfalls, ließ locker, hielt sie aber auf seinem Schoß fest. „Du bist eine willkommene Überraschung.“
„Gibt es denn auch Unwillkommene?“
„Durchaus. Hinterhaltangriffe und derart.“
„Ahh. Stimmt. Die sind wirklich nicht schön.“
„Da spricht jemand aus Erfahrung“, meinte einer der anderen Männer und grinste ihr zu.
Sie schaute zu ihm und erkannte einen alten Elfen in ihm. Weißgraue Augen, die sehr viel Lebenserfahrung zeigten, lächelten sie freundlich an. Mit geübtem Blick - und damit unauffällig - musterte sie ihn. Groß, schlank aber nicht hager. Etwas längere, dunkle Haare, die schon viele graue Strähnen aufwiesen und zu einem Zopf gebunden waren. Sein genaues Alter konnte Jamie nicht ausmachen. Sie wusste, dass