Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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in meinen Augen. Ich versuche sie hinunterzuschlucken, was mir aber nicht gelingt.

      »Was?« Die Frage kommt mir heiser über die zitternden Lippen.

      »Nicht«, ist seine außerordentlich wortgewandte Antwort. Es ist ein einziges Wort, mit dem Valentin mein Herz metaphorisch durch den Fleischwolf dreht. Ich zucke zurück, brauche Abstand von ihm. Doch ich kann jetzt nicht gehen. Kann ihn nicht alleine lassen. Vor allem aber werde ich solange hier bleiben bis ich endlich Klarheit erhalte.

      »Was meinst du damit? Dass ich dich nicht berühren soll? Oder dass du mich nicht liebst?«, ich schluchze und erst da merke ich, dass ich zu weinen begonnen habe, während auch in Valentins Augen ein verräterischer, wässriger Schimmer glänzt.

      »Du sollst mich nicht lieben.«

      »Bitte was?« Ich bin mir ziemlich sicher, mich verhört zu haben.

      »Du bist so gut. Und ich … ich bin ein Mörder. Ein Henker. Ein Verbrecher mit einer toten Seele.«

      Vielleicht habe ich so lange den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Doch nun begreife ich endlich, wie schlimm es wirklich um ihn steht. Mir war klar, dass er ein reines Herz hat, und dass jenes solche Gräueltaten nicht einfach so verkraftet. Unbewusst habe ich auf den Moment gewartet, in dem er zusammenbricht, seinen Emotionen endlich freien Lauf lässt und Schulgefühlen Raum gibt. Mir war jedoch nicht bewusst, wie tief sein Selbsthass wirklich wurzelt. Ich sehe in sein Gesicht und erschaudere vor dem Ekel den er vor sich selbst hat. Sein Blick spricht Bände: alles, was er je einer Menschenseele angetan hat, würde er sich am liebsten in zehnfacher Ausführung selbst antun. Das Schlimme ist, dass ich genau weiß, dass er mein Mitleid nicht will. Deshalb muss ich wohl eine andere Schiene fahren, um ihn aus der Reserve zu locken und ihn zu zwingen, mir zuzuhören.

      »Also du Verbrecher, jetzt sage ich dir mal was. Du hattest eine scheiß Kindheit. Du wurdest zu Taten gedrillt, die du nicht begehen wolltest, solange bis du viele schreckliche Dinge getan hast. Und doch sehe ich in deine Augen, tauche in dich ein und sehe die schönste und atemberaubendste Seele, die ich je gesehen habe.«

      Endlich sieht er mich wieder mit einem klaren Blick an, der seine Fassungslosigkeit widerspiegelt. Er scheint meine Worte abzuwägen und nicht so recht zu wissen, was er von dem Ganzen halten soll, doch immerhin ist der feuchte Glanz aus seinen Augen gewichen.

      »Weil du ja schon so viele andere Seelen vor der meinen gesehen hast«, grummelt er anklagend vor sich hin.

      »Seit wann bist du denn ein 13-jähriger, pessimistischer Teenager mit Komplexen? Ich sage das nicht, um dein Ego zu streicheln, sondern weil es die verdammte Wahrheit ist: In dem Moment, als ich deine Seele erblickt habe, hatte ich das Gefühl zu Hause – endlich angekommen – zu sein. Ich habe mich in meinem tiefsten Inneren geborgen gefühlt. Deine Seele ist zum Hinknien schön. Es ist als würde man flüssiges Gold mit dem warmen Schein eines Feuers verknüpfen und das Strahlen durch hunderte von Spiegeln verstärken.«

      Ungläubig starrt er mich an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er schon seit Minuten nicht mehr geschluckt hat und wenn er den Mund nicht sofort schließt, läuft ihm entweder Sabber raus oder er holt sich einen Gefrierbrand auf der Zunge. Erstaunlicherweise findet er dann doch relativ schnell seine Stimme wieder.

      »Aber … ich dachte immer, ich hätte gar keine richtige Seele mehr. Eher so etwas wie giftigen, schwarzen Rauch, der mich von innen heraus auffrisst.«

      Also so viel Dramatik wie am heutigen Tag hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

      »Das wäre zwar männlicher, aber die Kitsch-Version ist nun mal die Realität«, ziehe ich ihn auf. Ich schaffe es sogar wieder, ein klein wenig zu schmunzeln und wische mir mit dem Ärmel meines Mantels die letzten Tränen aus den Augenwinkeln. Ich versuche zwar, taff zu wirken und seine starke Seite wieder auf den Plan zu rufen, indem ich ihn weiter aufstachele, mein Herz blutet jedoch noch immer. Zwar hat er sich erklärt und nicht gesagt, dass er mich nicht liebt. Dass er aber einfach nichts mehr zu meinem Geständnis gesagt hat, ist für mich aber mindestens genauso schmerzhaft. Ich schüttle über mich selbst den Kopf, schlucke den traurigen Kloß in meinem Hals gewaltsam runter und werde mir dessen bewusst, dass es eiskalt ist und wir hier außerhalb der Barriere auf dem Präsentierteller sitzen.

      »So und jetzt hoch mit deinem bestimmt arschkalten Hintern und auf zur Hütte, bevor ich noch einen Zeh verliere.«

      Missmutig versuche ich nacheinander meine zehn Zehen zu bewegen, die in den nassen Socken so klamm geworden sind, dass jede Bewegung schmerzt wie Nadelstiche.

      »Wenn du weißt, wie wir da wieder reinkommen, Marlena?« Valentin hat sich inzwischen tatsächlich aufgerafft und deutet mit einer ausschweifenden Handbewegung die Schutzbarriere an.

      Von mir selbst enttäuscht, schlage ich mir die flache Hand auf die Stirn und lasse meine derbsten Flüche durch den Wald schallen.

      »Bitte sag mir, dass du weißt, wie wir da wieder reinkommen, Marlena«, versucht es Valentin erneut.

      Verzweifelt schüttle ich den Kopf, greife mir eine Hand voll Schnee, knete ihn zu einem unförmigen Haufen und werfe ihn frustriert in die Richtung, in der ich die Begrenzung erwarte, um zumindest etwas Dampf abzulassen. Wie konnte ich nur so dumm sein und alleine hier raus gehen? Und warum hat Silva uns einfach alleine gelassen?

      Zum zweiten Mal an diesem Tag schrecke ich hoch, als plötzlich Silva neben mir steht. Schnee klebt in seinen Haaren.

      »Ich gebe ja zu, dass es nicht gerade meine beste Idee war, euch alleine hier zu lassen und zurück in den Schutz der Barriere zu gehen. Zu meiner Verteidigung: ich bin es schlichtweg nicht gewohnt, Gäste zu haben. Aber das ist noch lange kein Grund, mich mit einem Schneeball zu bewerfen!«, schnauzt er mich an. Ich kann jedoch nicht anders, als zu lachen. Die abfallende Sorge gepaart mit Silvas Erscheinungsbild lassen mein Herz gerade amüsiert hüpfen. Silva hingegen findet das alles nicht besonders lustig und zieht eine genervte Miene.

      »Jetzt kommt endlich«, meint er nur, nimmt mich bei der Hand und als Valentin meine andere ergreift, treten wir drei gleichzeitig über die Begrenzung und auf die wie aus dem Nichts auftauchende Hütte zu.

      Kapitel 11 – Valentin

      Den restlichen Tag haben wir damit verbracht, unsere Körper am Feuer zu wärmen, während jeder seinen ganz eigenen Gedanken nachgehangen ist. Ich habe gespürt, dass Marlena enttäuscht von mir ist und sich von mir distanziert. Ich kann es ihr nicht verübeln. Sie hat mir ihre Liebe gestanden und ich habe es ihr untersagt. Ihre Liebe, die ich nicht verdient habe, egal was sie auch behaupten will. Ihre Liebe, die ich mir doch so sehr wünsche und herbeisehne. Ich blicke über die Schulter, sehe wie ihre dunklen Haare im Schein der Kerzen glänzen, wie ihre Hände geschickt mit den Stricknadeln hantieren, als würde jede junge Frau im 21. Jahrhundert als Freizeitbeschäftigung Mützen stricken, und ein kleines, trauriges Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als sie sich gedankenverloren eine Haarsträhne aus dem Gesicht pustet, ohne meine Musterung zu bemerken. Ich rutsche auf dem Strohlager ein Stück zurück, sodass ich direkt neben ihr sitze. Noch immer würdigt sie mich keines Blickes. Ich halte das nicht mehr aus.

      »Marlena?«

      »Hmm?« Ihr Blick ist fest auf den braunen Wollfaden gerichtet, der über die Stricknadeln gleitet. Immerhin hat sie reagiert. Das nehme ich einfach mal als Aufforderung, weiterzusprechen.

      »Weißt du noch, als du mir damals erzählt hast, dass du dir manchmal vorstellst, wie es wäre, wenn dein Leben wie ein Film mit Musik untermalt wäre?«

      Sie hält in ihrer Bewegung inne, blickt jedoch immer noch nicht auf. Ich sehe trotzdem, wie sich ihr Hals und ihre Wangen röten. Ich habe keine Ahnung, weshalb ihr diese Erinnerung peinlich sein sollte, doch so scheint es zu sein.

      Sie nickt.

      »Natürlich weiß ich das noch«, haucht sie so leise, dass ich sie kaum verstehe.

      »Darf ich dich noch etwas fragen?«