Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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Training?«, fragen Valentin und ich wie aus einem Mund.

      »Ihr seid gut. Willste mit einer Gabe durch die Gegend laufen, ohne sie endlich beherrschen zu können, ganz so, als wäre es das Normalste der Welt? Oder wie stellst du dir das vor?«

      Ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich darüber noch gar nicht nachgedacht habe. Und dass ich noch keine halbe Stunde munter bin.

      »Ähm … Keine Ahnung?«, erwidere ich zögerlich.

      Der resignierte Gesichtsausdruck des Alten zeigt bestens, dass er gerade am liebsten seinen Kopf aus Verzweiflung darüber, wie dumm und unwissend wir »Kinder« doch sind, auf die Tischplatte schlagen würde. Das tut er aber glücklicherweise nicht. Stattdessen atmet er einmal tief durch, um sich einigermaßen beherrschen zu können.

      »Kindchen, traurigerweise hatte ich schon vermutet, dass du dir keinerlei Gedanken darüber gemacht hast.«

      »Ist ja nicht so, als hätte ich neben der Bewusstlosigkeit und meiner Erschöpfung noch so wahnsinnig viel Zeit gehabt, über meine Zukunft nachzudenken. Mal abgesehen davon, dass ich vollkommen unruhig geschlafen habe, weil mir meine eigene ›Gabe‹, wie Sie es nennen, mehr als einfach nur unheimlich ist. Also unterlassen Sie bitte ab jetzt diesen vorwurfsvollen Klang in Ihrer Stimme oder ich werde hier und jetzt zum seelischen Wrack!«, kreische ich durch das halbe Haus.

      Als würde ich ihm hier nicht gegenübersitzen, wendet sich der alte Mann von mir ab und schenkt seine volle Aufmerksamkeit Valentin.

      »Welche Laus ist der denn über die Leber gelaufen? Oder sollte ich lieber fragen, was du angestellt hast?«

      Valentin stopft sich währenddessen genüsslich ein Stückchen Brot in den Mund und zuckt unschuldig mit den Schultern. »Morgenmuffel würde ich sagen.«

      Verständnisvoll nickt der Alte und diese stille Übereinkunft unter den beiden macht meine Laune nicht gerade besser.

      Wortlos verstreiche ich Butter auf der Brotscheibe auf meinem Holzbrett. Mein Magen brummt und doch lasse ich mir viel zu lange Zeit, um auch ja alles so gleichmäßig wie möglich zu verteilen. Die beiden Männer würdige ich währenddessen keines Blickes. Zu viel schwirrt mir gerade durch den Kopf. Und das auch noch so früh am Morgen. Was hat es wirklich mit meiner Gabe auf sich? Kann man das überhaupt eine Gabe nennen? Und warum habe ich so etwas? Außerdem: Hätte mir das nicht früher schon mal auffallen müssen? Fragen über Fragen stapeln sich in meinem Hirn, sodass sich meine Aufmerksamkeit auf das Gespräch, das gerade zwischen Valentin und unserem Gastgeber abläuft, auf das Minimum reduziert. Wie in Trance verspeise ich mein Frühstück. Doch ein Satz reißt mich dann doch aus meinen Überlegungen.

      »Irgendwas ist heute anders an dir Jungchen«, stellt der Alte mit grübelnder Miene fest. »Doch ich komm‘ einfach nicht darauf, was es ist.«

      Unauffällig hebt Valentin den Blick von seiner Müslischüssel und sucht den meinen.

      »Aha. Also daher weht der Wind«, faselt der Mann nun wieder.

      Kann er etwa fühlen, was ich mit der Eisschicht um Valentins Herz gemacht habe? Möglich wäre es. Schließlich wissen wir nicht, welche Gabe er besitzt. Wir wissen ja nicht einmal seinen Namen!

      »Jungchen, du hast aber echt lange gebraucht, um endlich einzusehen, dass ihr zwei ineinander verliebt seid.«

      Ich weiß nicht, wer als erstes fast am Essen erstickt. Valentin oder ich. Beide versuchen wir hustend und prustend zu Wort zu kommen, um dem Alten zu erklären … ja was eigentlich? Dass wir mal etwas miteinander hatten, ich aber von der Tatsache abgeschreckt wurde, dass er vor meinen Augen einen Mann ermordet hat? Oder dass die Flucht jede Energie von uns abverlangt hat und wir nie so richtig über das alles … über uns … gesprochen haben? Dass ich manchmal Angst vor ihm habe und mich doch unumstößlich zu ihm hingezogen fühle und er mir dann doch auch wieder Geborgenheit schenkt?

      Wieder sieht Valentin zu mir auf. Ein fragender Ausdruck ziert sein Gesicht. Doch was will er von mir hören? Will er wissen, ob ich in ihn verliebt bin? Oder wie wir diese Situation dem Alten erklären sollen? Oder aber möchte er einfach, dass ich ihm die Butter zu meiner Linken reiche?

      Gabe hin oder her. Seine Gedanken lesen kann ich trotzdem nicht.

      Können wir ihm trauen? Kann ich ihm von meinem Herzen erzählen? Von dir, Marlena? Mit einem Klirren fällt das Messer aus meiner Hand zu Boden. Ich würdige es keines Blickes. Valentins Stimme huscht durch meine Gedanken, in dem Moment, in dem ich ihm direkt in seine kristallklaren Augen blicke. Eine Gänsehaut überzieht meine Arme, kriecht hinauf in meinen Nacken und jagt einen Kälteschauer über meinen Rücken. Mit aller Kraft versuche ich ruhig zu bleiben und dem Drang zu widerstehen, mich am ganzen Körper zu schütteln. Verdammt, ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass sich Valentins Lippen gerade nicht einmal für eine Millisekunde bewegt haben. Da war nichts. Nada. Niente. Ich werde verrückt! Dieses Haus hat vermutlich magische Kräfte und ich mutiere gerade zu einer Hexe! Panik macht sich in mir breit und die unsinnigsten Gedanken machen mir auf einmal furchtbare Angst. Meine Atmung wird immer hektischer und doch fühle ich mich, als würde meine Lunge nicht mal das kleinste Bisschen Sauerstoff aufnehmen, während ich gerade viel zu viel davon in meinen Körper pumpe. Eine kühle Hand legt sich auf meinen inzwischen mit Schweiß benetzten Unterarm und holt mich durch die Berührung schlagartig in die Realität zurück.

      »Ruhig, Kindchen. Ganz ruhig«, flüstert der Alte einfühlsam, während er weiterhin meinen Arm tätschelt. »Wir bekommen das alles hin. Kein Grund eine Panikattacke zu bekommen und hier herumzuhyperventilieren. Ich kann euch helfen. Und ich werde das auch tun. Jedoch nur, wenn ihr auch kooperiert. Sonst bin auch ich mit meinem Latein am Ende. Deshalb beruhigst du dich jetzt, konzentrierst dich auf eine ruhige Atmung und anschließend erzählt ihr zwei mir Schritt für Schritt, was ihr mir verheimlicht.« Ich warte einen Moment. Als sich meine Atmung wieder normalisiert hat, stelle ich eine Forderung.

      »Zuerst möchte ich wissen, was es mit meinen seltsamen Träumen auf sich hat? Haben Sie mich das letzte Mal gewollt in diese Traumwelt geschickt? Wie haben Sie das gemacht? Ist das Ihre Gabe? Erst wenn Sie mir diese Fragen beantwortet haben, erklären wir Ihnen alles«, stelle ich klar.

      Der Alte nickt. »Das sind aber viele Fragen…«, grummelt er, überlegt dann aber kurz und beginnt seine Erklärung.

      »Welche Gabe ich genau besitze, tut zum jetzigen Zeitpunkt nichts zur Sache. Was ich euch aber sagen kann, ist, dass ich Veränderungen in Körpern, wie beispielsweise Krankheiten, Verletzungen, aber manchmal eben auch Gaben, fühlen und bis zu einem gewissen Grad beeinflussen kann. Immer, wenn dein Geist geruht hat, du ruhig geschlafen hast, vielleicht sogar besonders erschöpft warst, hat deine Gabe versucht, an die Oberfläche zu kommen. Die Träume waren ihr Ventil. Nur so kann ich mir das erklären. Eigentlich wollte ich mit deinem jüngsten Ausflug in diese Träume bezwecken, dass sich die Gabe endlich befreien kann, aber ein Teil davon schien bereits erweckt gewesen zu sein. Hast du einmal etwas noch Seltsameres als sonst geträumt? Etwas bei dem du Dinge getan oder Entscheidungen gefällt hast, wie du es bei vollem Bewusstsein niemals getan hättest? «

      Ich muss nicht lange überlegen. »In einem meiner letzten Träume habe ich jemanden getötet und wollte auch Valentin beseitigen. Dabei habe ich eine unbändige Wut und Aggression gefühlt. Aber am schlimmsten war die Zufriedenheit, die ich verspürt habe, wenn ich jemandem in diesem Traum Leid zugefügt habe. Ich hatte Angst und erkannte mich selbst nicht wieder, als ich schweißgebadet aufgewacht bin. «

      »Das dürfte dann wohl der Moment gewesen sein, als deine Gabe es fast ganz an die Oberfläche geschafft hat. Doch warum das erst so spät passiert, kann ich mir nicht erklären. Bei den meisten Begabten passiert das bereits im Zuge der frühen Pubertät oder manchmal sogar schon als Kind. «

      »Wenn meine Gabe also jetzt gänzlich erwacht sein sollte … dann müssten die Träume also aufhören? «

      »Wenn meine Theorie stimmt – ja. «

      »Gut«, murmle ich, will mir aber noch nicht zu viele Hoffnungen machen.