Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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den Kopf. Er lässt alles widerstandslos über sich ergehen. Sein Gesicht ist bleich wie der Tod höchstpersönlich.

      »Muss von uns beiden eigentlich immer irgendwer ein Wrack sein und halb abkratzen?«, fluche ich in Zimmerlautstärke vor mich hin. Ich drücke seinen nackten Oberkörper auf die Heu-Matratze und wickle ihn in die Wolldecke, während ich versuche, nicht daran zu denken, wie sich seine nackten Muskeln gerade noch unter meinen Handflächen angefühlt haben. Also mir wird gerade schön warm. Fokus, Marlena! So schnell wie möglich ziehe auch ich mich bis auf die Unterwäsche aus und dränge mich unter die Decke so nah an seinen frierenden Körper, dass kein Blatt Papier mehr zwischen uns passt. Was Jacob kann, kann ich schon lange. Wenn es in Twilight hilft, um Bella warm zu halten, hilft es in der Realität hoffentlich auch. Zusätzlich schnappe ich mir Valentins Hände, reibe mit meinen darüber und hauche immer wieder warmen Atem dagegen. Wir wollen ja nicht, dass er eines seiner musikalischen Fingerchen verliert.

      Ich weiß nicht, wie lange wir so engumschlungen daliegen und ich mich darauf konzentriere, so heiß wie möglich zu sein – in rein physikalischer Art und Weise, versteht sich. Wahrscheinlich sind es nur ein paar Minuten. Doch meine Muskeln sind so verkrampft, dass auch bereits eine Stunde vergangen sein könnte. Und doch fühlt es sich unleugbar gut an, in Valentins Nähe zu sein. Er und ich. Haut an Haut.

      »Danke«, flüstert er mir ins Ohr.

      Ich bemerke erst jetzt, dass sein Gebiss endlich zu klappern aufgehört hat.

      Ich warte noch ein paar Minuten, bis ich mir ganz sicher bin, dass es ihm auch wirklich wieder gut geht. Als er sich ein Stück von mir entfernt, sehe ich diesen Moment gekommen.

      »Möchtest du mir vielleicht erklären, was mit dir los war?« Es mischt sich mehr Vorwurf in diese Frage, als es von mir beabsichtigt war. Doch die Sorge um ihn drängt mich dazu.

      Ich liege mit dem Rücken zu ihm, kann sein Gesicht nicht sehen. Doch es genügt schon, zu spüren, wie er kurz zusammenzuckt, um zu wissen, dass ihm dieses Gesprächsthema Unwohlsein bereitet.

      »Hast du bemerkt, wie der Alte reagiert hat, als er seine Hand über mein Herz gelegt hat?«

      Ich nicke. »Er war total komisch und meinte, du solltest einfach vergessen, was er gesagt hat.«

      »Ich weiß nicht, welche Gabe er genau trägt«, erklärt er mir. Ich drehe mich ihm zu, da ich es ungut finde, wie er mir ins Genick flüstert, auch wenn sich sein Sixpack verboten gut in meinem Rücken anfühlt. »Aber,« fährt Valentin mit seiner Erklärung fort, »er hat es sofort gespürt.«

      »Was hat er gespürt?«

      »Dass mein Herz nicht … normal ist.«

      Ich strecke meine Hand nach ihm aus. Als er nicht wegrückt, lege ich meine Handfläche auf seine linke Brust. Ich warte kurz. »Für mich fühlt sich das ganz normal an.«

      Dum-dum …. Dum-dum. Doch plötzlich, als würde mein Geist aus meinem Körper gerissen werden, blicke ich auf eine fremde Umgebung. Vor mir schlägt ein Herz. Träge und doch mit so viel Kraft wie es nur aufbringen kann, pocht es vor sich hin, umgeben von einer dicken Schicht aus Eis. Darunter glänzt seine Oberfläche ungesund in den verschiedensten Violett-Tönen. Ich sehe mir das Organ genauer an und entdecke den ein oder anderen Riss im klar schimmernden Eis. Ich konzentriere mich darauf, wie es aussehen würde, wenn die Risse größer würden. Breiter. Flächiger. Wie es wäre, wenn ein Teil des Eises herausbrechen und vom Herz abfallen würde.

      »Mach schon!«, fordere ich in meinen Gedanken. Doch meine Stimme schallt laut von allen Seiten wider, ohne, dass ich auch nur kurz meinen Mund geöffnet hätte. Mir bleibt jedoch keine Zeit für weitere Überlegungen, denn ich ducke mich gerade noch rechtzeitig, als ein kleiner Eisbrocken weggesprengt wird und mich beinahe trifft. Ich blicke erneut forschend zum Herzen und finde schnell die Stelle, die nun frei liegt. Das Herz darunter färbt sich vom sauerstoffreichen Blut rot. Doch bevor ich mich über diesen kleinen Erfolg freuen und weitermachen kann, reißt mich ein Rütteln unvermittelt in die Realität zurück.

      »Marlena!«, brüllt mir Valentin aufgebracht ins Gesicht.

      »Wo warst du denn jetzt schon wieder mit deinen Gedanken?«

      Auch wenn es ihn scheinbar nur noch mehr irritiert, grinse ich ihn triumphierend an.

      »Na, wie fühlst du dich? Ein wenig erleichtert vielleicht?«

      »Ich fühle mich gerade vor allem überrumpelt und irgendwie auch etwas verarscht oder hintergangen. Ich weiß nicht so recht, wie ich es am besten ausdrücken sollte.«

      »Mach die Augen zu und konzentrier dich gefälligst auf deinen Herzschlag, Klugscheißer!«, herrsche ich ihn lautstark an. Zu meiner Verwunderung tut er sofort, was ich von ihm verlange. Keine zwei Atemzüge später reißt er überrascht die Augen auf und blickt mich vor Glück strahlend an. »Warst du das?«, fragt er mich.

      »Ich glaube schon.«

      Er zieht mich schwungvoll in seine Arme und drückt mir einen Schmatzer auf die Wange.

      »Danke«, haucht er zum zweiten Mal an diesem Abend. Er lässt sich wieder zurück auf das Leintuch sinken und zieht mich mit sich. »Vielleicht hat der Alte doch Recht und du trägst eine Gabe in dir. Aber wir sollten jetzt wirklich schlafen. Wer weiß, was uns morgen erwartet. Aber bitte erzähl mir morgen Früh alles, was es noch über deine Träume zu wissen gibt. Und dann finden wir heraus, was es mit dem Ganzen auf sich hat.«

      »In Ordnung.« Mit einem Atemstoß lösche ich die Kerze, die inzwischen ziemlich heruntergebrannt ist, und lege mich hin. Jedoch rücke ich ein Stück von Valentin ab. Seine Nähe macht mich ganz unruhig. Und ich bin mir sicher, dass mir zur Abwechslung mal etwas mehr oder minder sorglose Ruhe nicht schaden würde.

      »Wir sind auf der Flucht und du trägst zum BH passende Unterhosen?« Kurz erschrecke ich, da ich davon ausgegangen bin, dass er schon schläft. Ich habe gerade keinen Nerv für so ein Gespräch.

      »Halt einfach die Klappe und schlaf«, weise ich ihn in die Decke nuschelnd zurecht und schließe meine erschöpften Augen. Das Stroh unter mir vibriert, als Valentin zu lachen beginnt.

      Kapitel 9 – Marlena

      »Aufstehen, Kamerad!«

      Grummelnd kuschle ich mich tiefer in die kratzige aber wohlig warme Decke.

      Im nächsten Moment quieke ich wie ein Meerschweinchen, als mir eine Hand in die Seite piekst und setze mich ruckartig auf, lasse mich jedoch gleich wieder schlapp zurück aufs Bett fallen.

      »Guten Morgen«, begrüßt mich Valentin mit einem Schmunzeln. Das wird er noch bereuen. Ich bin von Haus aus eher ein Morgenmuffel. Aber nach so einer Attacke am frühen Morgen kann ich erst recht für nichts garantieren.

      »Lass mich«, murre ich. Doch da wird mir auch schon die Decke mit einem kräftigen Ruck weggezogen. »Gib die wieder her! Ich bin halb nackt!«, empöre ich mich.

      Valentin jedoch zeigt sich davon herzlich unbeeindruckt.

      »Ja, so wenig Stoff wie gestern Abend. Nichts Neues also.« Er zuckt mit den Schultern. »Komm, zieh dir was über und setz dich zu uns in die Stube. Es gibt Frühstück«, fügt er etwas versöhnlicher hinzu.

      Widerwillig leiste ich seinen Worten Folge. Schnell wasche ich mir das Gesicht mit lauwarmem Wasser, das in einer kleinen Waschschale neben dem Bett für mich bereitsteht. Beim zweiten Mal hinsehen entdecke ich sogar meine Zahnbürste, die mir Valentin wohl bereits zurechtgelegt hat. Nach wenigen Minuten bin ich fertig mit der Katzenwäsche und steige die morsche Treppe nach unten.

      Valentin ist bereits vorgegangen und so erwarten mich zwei Männer in der Küche, die sich und dann auch mich anschweigen. Ich habe keine Ahnung, wo der Alte all das Essen herhat, aber frische Milch, Butter, Brot und diverse Getreidekerne warten einladend auf dem Holztisch in der Mitte des kleines Raumes darauf, verspeist zu