Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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Gabe bereits in für dich wahrnehmbarer Weise? Raus mit der Sprache. «

      Also tue ich, was er sagt. Ich erzähle ihm von dem, was ich gesehen und gehört habe, als ich wieder in meine Traumwelt geschickt wurde, dass es Valentin gestern Nacht auf einmal so schlecht ging und wie ich bei der Berührung seines Herzens auf einmal wirklich sein Herz vor Augen hatte. Ich schildere ihm, wie es ausgesehen hat, wie es sich angefühlt hat. Nur die kleine halbnackte Kuscheleinlage lasse ich weg. Die ganze Erklärung über hängen beide Männer an meinen Lippen. Als ich ende, sieht Valentin leicht verstört aus, während der Alte mit einer tiefen Falte zwischen seinen Augenbrauen immer und immer wieder nachdenklich nickt, als wäre er einer dieser komischen Wackeldackel, die einem durch die Heckscheiben so mancher Autos zunicken.

      »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Noch nie miterlebt. Es hat hin und wieder Gerüchte gegeben … aber ich hab‘ sie nie geglaubt.« Gedankenverloren murmelt der Alte vor sich hin, während sein Blick unaufhaltsam über die Tischplatte huscht. Von einem Eck zum anderen und wieder zurück.

      »Hast du eine Erklärung für dein … Problem, Valentin?« Kein Jungchen. Keine blöde Meldung. Der Alte hat ihn tatsächlich bei seinem richtigen Namen genannt. Dann muss es wohl doch was Ernstes sein.

      Valentins Brust hebt sich einmal unter einem kräftigen Atemzug. Dann beginnt er zu sprechen. Seine Aufmerksamkeit ist währenddessen jedoch nicht auf den Alten, der ihm eigentlich die Frage gestellt hat, gerichtet. Sondern auf mich. Ganz allein auf mich.

      »Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich habe das Gefühl, als würde jeder Mensch, der – metaphorisch betrachtet – durch meine Hand stirbt, einen Teil meiner Körperwärme mit sich auf die andere Seite nehmen. Und das jedes Mal. Es ist meist nur ein kleines Bisschen, macht sich kaum bemerkbar. Doch mit der Zeit hat sich das angehäuft. Aber nicht nur wenn ich töte … es scheint jedes Mal zu passieren, wenn ich jemandem Schaden zufüge oder negative Gefühle die Oberhand gewinnen. Und so ist meine Körpertemperatur inzwischen schon einige Grad kühler als die von anderen, gesunden Menschen. Wie das genau funktioniert und ob das überhaupt daran liegt, weiß ich nicht so genau. Das alles ist nur eine Vermutung.«

      Kälte überzieht jedes kleine Fleckchen meiner Haut bei dem Gedanken daran, wie viele Menschen er bereits auf dem Gewissen haben muss. Wie viele Aufträge er erledigt hat.

      Der Alte nickt zustimmend. »Ich kann dir leider auch nicht mit Sicherheit sagen, ob das so richtig ist oder woran es sonst liegt. Aber ich muss zugeben, es klingt logisch.«

      Entgeistert blicke ich zwischen den beiden hin und her. Valentin hat sich mittlerweile wieder seinem Gesprächspartner zugewandt, nachdem er meine Reaktion auf seine Worte genauestens studiert hat. Ich hoffe, dass es mir ganz gut gelungen ist, meine Miene so neutral wie möglich zu halten. Auf keinen Fall möchte ich ihm weh tun, in dem ich aussehe, als würde ich ihn als Person verabscheuen. Auch, wenn ich verurteile, was er getan hat, will ich nie vergessen, dass er nicht anders konnte. Dass er es irgendwann einfach nur noch aus Selbstschutz getan hat. Egal was er sagt oder wie sehr er bekräftigt, ein schlechter Mensch zu sein. Für mich steht fest, dass er nicht von Natur aus ein dunkles Herz hat. Er wurde gebrochen, zu einem Mörder gemacht. Und doch hat er mir nie auch nur ein Haar gekrümmt. Er ist mein Begleiter. Mein Beschützer. Und hin und wieder, so scheint es mir, muss ich auch ihn beschützen. Vor sich selbst.

      Keine zwei Stunden nach dem Frühstück sitzen der Alte, Valentin und ich erneut am Esstisch. Immer wieder wischt Valentin sich Schweißperlen von der Stirn, die die körperliche Arbeit ihm aus den Poren getrieben hat. Die letzte Stunde hat er damit verbracht, Holz zu hacken, während ich zuerst abgewaschen und dann grübelnd die Decke angestarrt habe. Eigentlich wollte ich ja nur das Bett machen. Doch weder das bevorstehende Training noch Valentins allgegenwärtiger Duft, der sich im Strohlager festgesetzt hat, haben mir sonderlich dabei geholfen, zu entspannen. Ganz im Gegenteil. Vor lauter Grübeleien pochen meine Schläfen nun im Takt meines Herzens. Jedenfalls hat mich der Alte irgendwann gerufen und so sitzen Valentin und ich nun hier und warten darauf, dass der Hausherr erklärt, wie dieses ›Training‹ aussehen soll.

      »So, Kinder, dann lasst uns beginnen.« Mit diesen auffordernden Worten läutet nun der Alte die erste Trainingsstunde ein.

      »Warten Sie«, unterbreche ich ihn, bevor er zu weiteren Erklärungen ansetzen kann. Ganz zu seinem Leidwesen, wie mir sein sofort grimmiger Gesichtsausdruck verrät. »Ja?«, fragt er etwas gereizt.

      »Noch eine Sache, bevor wir beginnen …«

      »Und die wäre?« Eine seiner buschigen, grauen Augenbrauen huscht nach oben.

      »Verraten Sie uns doch endlich Ihren Namen. Ich denke, wir sollten uns alle gegenseitig vertrauen können. Und ich finde, das ist etwas viel verlangt, wenn wir nicht einmal wissen, wie wir Sie nennen sollen.« Ich weiß nicht wieso, aber ich bin ganz hibbelig und will endlich seinen Namen erfahren.

      »Meinen Geburts-Namen oder den aus der Gemeinschaft?« Okay, jetzt bin ich verwirrt. Mir war nicht bekannt, dass die Mitglieder dieser Gemeinschaft ihre Namen ändern. Wobei das nicht so abwegig ist, wenn ich genauer darüber nachdenke. Immerhin nehmen sie doch auch ein neues Leben an. In Klöstern bekommt man doch auch einen neuen Namen, oder nicht?

      »Beim Eintritt in die Gemeinschaft legt man seinen Namen ab. Vorerst ist man einfach Novis – der Neue. Mit der Zeit erhält man dann jedoch einen neuen Namen. Einen Namen, der zu einer bestimmten Charaktereigenschaft, einer Verhaltensweise oder der jeweiligen Gabe passt«, erklärt mir Valentin mit ruhiger Stimme, als er meine Verwirrtheit erkennt.

      »Das heißt … du …?«, stammle ich irritiert vor mich hin. Nie ist mir der Gedanken gekommen, dass Valentin gar nicht Valentin ist. Mein Blick wandert über sein Gesicht. Ist er vielleicht ein David? Ein Christoph? Oder doch eher ein Manuel? Nein. Valentin passt wie die Faust aufs Auge.

      »Ja«, nickt er, »Valentin ist nicht mein richtiger Name. Sie entschieden, dass ich Valentinus heißen soll – der Starke. Ich habe meinen Namen erst nach einigen Monaten erhalten.« Er schluckt krampfhaft. Es fällt ihm sichtlich schwer, darüber zu reden. »Ich war lange der namenlose Neue.«

      »Und dein richtiger Name …?«, frage ich nach.

      »Ist mir nicht bekannt.« Er schüttelt den Kopf. Die Sache scheint für ihn zur Genüge besprochen zu sein. Ich jedoch setze mir in diesem Moment in den Kopf, dass ich herausfinden werde, wie er heißt. Egal wie. Ich werde es erfahren. Sofern ich diese Flucht hier heil überstehe und irgendwann in die Zivilisation zurückkehre, versteht sich.

      »Aber zurück zu Ihnen«, wende ich mich an den Alten, »es ist mir gleich, welchen Namen Sie uns verraten. Nennen Sie uns einfach jenen, mit dem Sie angesprochen werden wollen.«

      »Man nannte mich Silva.« Ein wehmütiger und doch vor Wut getrübter Ausdruck legt sich auf seine Augen.

      »Der Wald«, hauche ich. Eines der ersten Worte, die ich im Lateinunterricht gelernt habe. Ich fühle, dass sich ein Grinsen in meine Mundwinkel stehlen will, als ich genauer über die Bedeutung dieses Namens im Zusammenhang mit unserer jetzigen Situation nachdenke. Als mein Blick auf Valentin fällt, ist mir jedoch nicht mehr nach Lächeln zumute. Jede einzelne Faser seines Körpers ist zum Zerreißen angespannt.

      »Brendanus‘ Sohn … Sie lügen! Silva ist tot! Sie sind ein verdammter Lügner!« Der Stuhl fällt krachend zu Boden, als Valentin aufspringt. Als wüsste mein Körper noch vor mir, was gleich passiert, schnelle auch ich hoch und stelle mich beschützend vor den Alten … vor Silva.

      »Geh aus dem Weg, Marlena!« Valentins Stimme ist eine geknurrte Drohung.

      »Ich denke gar nicht daran! Was willst du denn machen? Ihm den Hals umdrehen? Er ist unsere einzige Hilfe. Und wenn er der Teufel persönlich ist, du lässt ihn auf der Stelle in Ruhe!« Mein Tonfall ist noch schärfer als beabsichtigt und doch scheint Valentin kaum beeindruckt davon. »Lass ihn!«, setze ich noch einmal nach, bis schließlich ein Teil seiner Anspannung von ihm abfällt.

      »Er ist zwar nicht der Teufel, aber er ist beinahe schlimmer. Sein Vater, sein Bruder und er. Alle drei.«

      Den Blick starr auf