Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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      »… dass es Lieb-«, setzt Silva fragend an, doch ich unterbreche ihn mit einem drohenden Funkeln, das ihn zum Schweigen bringt.

      »Ich denke, dass es aus Angst passiert ist.«

      »Angst wovor? Etwa vor mir?«, fragt mich nun Valentin. Unverständnis und Sorge spiegeln sich in seiner Miene wider.

      »Nicht Angst vor dir, sondern um dich«, hauche ich, da ich mich nicht dazu in der Lage fühle, es laut auszusprechen. Doch dann nehme ich allen Mut zusammen. »Ich hatte Angst, dass dir gerade etwas Schlimmes passiert. Dass du Schmerzen hast. Und dass ich nur untätig daneben sitzen und zusehen kann. Ich wollte dir helfen und habe mich gleichzeitig doch so unnütz gefühlt.«

      Begeistert klatscht Silva in die Hände, was mich hochfahren lässt, weg von den klaren blauen Augen. »Gut, sehr gut. Du kannst schon Mal Rückschlüsse auf deine Gefühlslagen ziehen, in denen du die Gabe wahrgenommen hast. Das ist gut. Damit können wir arbeiten. Sollen wir den ersten Versuch wagen?«

      Unsicherheit macht sich in mir breit, doch ich kämpfe sie krampfhaft nieder.

      »In Ordnung.« Ich atme immer wieder bewusst tief ein und aus, versuche meine Atmung und meinen Herzschlag möglichst ruhig zu halten, was mir nur begrenzt gelingt.

      »Also gut. Dadurch, dass ich die Gesamtsituation beobachten und analysieren möchte, müsstest du bitte versuchen, nochmals in Valentins Gefühlswelt einzutauchen. Natürlich nur, wenn das für dich in Ordnung ist, Jungchen?«

      »Ich tue alles, solange es zu Marlenas Unterstützung dient.« Wärme breitet sich in meinem Inneren aus, als ich Valentins Zustimmung höre, doch schnell versuche ich mich wieder auf meine Aufgabe zu besinnen.

      »Dann versuchen wir‘s. Setzt euch am besten direkt gegenüber hin, vielleicht auf den Boden, dann steht nichts zwischen euch.« Warum habe ich das ungute Gefühl, dass er gedanklich noch »und damit niemand vom Stuhl plumpst« hinzufügt? Doch wortlos leisten wir Silvas Worten Folge und setzen uns beide im Schneidersitz auf die Holzdielen. »Und jetzt blickt euch gegenseitig tief in die Augen.«

      Schon vor Silvas Aufforderung haben Valentins Augen mich in ihren Bann gezogen. Ich wage es nicht, auch nur eine Sekunde lange wegzublicken. Ehrlich gesagt, weiß ich auch gar nicht, ob ich das aus eigener Kraft schaffen würde.

      »Stell dir vor, du blickst durch seine Augen direkt auf Valentins Seele. Du fühlst, wie sie dich ruft, dich zu ihr zieht, bis du in seinen Augen versinkst.« Ich konzentriere mich auf das Gesprochene und nehme es doch immer weniger stark wahr, zu sehr zieht mich Valentin in seinen Bann.

      »Stell dir vor, wie sich Valentins Seele vor dir materialisiert. Sie hat eine Farbe, eine Form. Du streckst deine Hand aus, fühlst sie über deine Haut streifen.«

      »Das ist doch alles Unsinn!«, aufgebracht springt Valentin auf und reißt mich auf diese Weise aus einer Art Trance, in die mich Silvas Worte und meine Konzentration befördert haben. Mein Sichtfeld wird augenblicklich düsterer, nimmt das gedämpfte Licht in der Stube wahr, das warme Ziehen auf meiner Haut verschwindet innerhalb eines Wimpernschlags. Erschrocken und etwas perplex sehe ich zu Valentin auf, der zornig zwischen dem Alten und mir hin und her schaut, bis sein Blick schließlich an dem Mann haften bleibt und ihn förmlich durchbohrt.

      »Willst du dich über mich lustig machen? Mich vor Marlena bloßstellen?« Ich habe keine Ahnung, warum er plötzlich so aufgebracht ist oder was er damit meint.

      Auch Silva scheint ratlos. »Was meinst …«

      »Jetzt tu nicht so!«, unterbricht ihn Valentin aufgebracht, »Zuerst mein verkrüppeltes Eisherz und jetzt meine verdorbene Seele? Willst du sie vollkommen verjagen? Ihr immer deutlicher zeigen, was für ein Monster ich bin?«

      Verzweiflung und Schuld verzerren sein sonst so ebenmäßiges Gesicht. Schmerzhaft verkrampft sich mein Inneres bei seinem leidvollen Anblick. Jetzt stehe auch ich auf, will zu Valentin gehen und ihn … ja was eigentlich? Umarmen? Trösten? Küssen? Wie er gerade aussieht, würde er mich lediglich von sich stoßen. Außerdem habe ich kein Recht dazu, ihm einfach so nahe zu kommen. Also lasse ich meinen Arm, den ich nach ihm ausstrecken wollte, unverrichteter Dinge wieder sinken.

      »Aber, Valentin …«, setze ich an, doch ich komme nicht weit.

      »Lass einfach! Verteidige ihn nicht auch noch!«

      Ungläubig blicke ich ihn an. Das wollte ich doch gar nicht tun. Ich wollte dir nur von deiner unglaublichen Seele erzählen …

      Mir bleibt keine Sekunde, um mich zu erklären, denn schon stürmt er in den Flur hinaus. Durch die nun sperrangelweit offene Tür erhasche ich gerade noch einen Blick auf ihn, als er sich seine Jacke schnappt, und durch die Haustüre schreitet. Er kann doch nicht … Ich stürme ihm kopflos nach, Kälte hin oder her. Meine besockten Füße versinken sofort im beinahe kniehohen Schnee, ich renne so schnell ich kann, doch es ist mehr ein unbeholfenes Herumstapfen – ich hole ihn nicht ein.

      »Valentin!«, schreie ich durch die sonst so ruhige Winterlandschaft. Verzweiflung lässt meine Stimme höher klingen.

      »VALENTIN!« Ich bleibe frustriert stehen. Er läuft weiter, ohne sich umzudrehen. »BLEIB HIER!« Lass mich nicht alleine. Doch es ist zu spät, er scheint die Schutzbarriere zu durchqueren, denn plötzlich ist er weg. Sein trainierter Rücken ist das Letzte, was ich sehe, bevor er einfach verschluckt wird und außerhalb meines Sichtfelds von hier verschwindet.

      »Aber ich brauche dich doch …«, murmle ich. Eine leise Träne kullert über meine Wange und zieht eine eiskalte Spur über meine Haut, als ich auf die Knie in den Schnee sinke. Ich kann einfach nicht glauben, dass er weg ist. Was soll ich bloß ohne ihn tun? Doch was viel wichtiger ist: Was, wenn ihm etwas zustößt?

      Kapitel 10 – Marlena

      »Du musst ihn zurückholen!« Aufgebracht husche ich in der alten Stube auf und ab, während mir Silva – die Ruhe selbst – vom Tisch aus dabei zusieht.

      »Müssen tu ich gar nichts, Kindchen. Nur damit das mal klar ist. Ich denke, es sollte genügen, dass ich euch ein Obdach biete, euch durchfüttere und dir sogar beim Training helfe. Der Junge hat sich selbst dazu entschieden, zu gehen. Jetzt muss er eben mit den Konsequenzen leben.« Mit einem Schulterzucken untermalt er seine Gleichgültigkeit.

      »Natürlich weiß ich, wie viel du für uns tust und bin dir dafür unglaublich dankbar. Aber ich brauche diesen Dickschädel doch«, seufze ich.

      Ein schiefes Grinsen ziert auf einmal die Züge des Alten.

      »Was ist das eigentlich zwischen euch? Du magst ihn. Er begehrt dich mindestens genauso sehr – und doch« – er fuchtelt wirr in der Gegend herum – »Das hier. Weder Fisch noch Fleisch. Da kennt sich doch keiner aus.«

      Natürlich hat Silva Recht, Gefühle verschwinden nicht, meine sind vielleicht sogar noch stärker geworden, aber – Verdammt! Ein ganz anderer Gedanke schiebt sich in den Vordergrund und platziert sich allumfassend in meinem Hirn.

      »Silva!«, rufe ich verzweifelt, obwohl der Angesprochene maximal einen Meter entfernt von mir sitzt und trotz seiner Erscheinung keinesfalls schwerhörig ist. »Die Schutzbarriere! Das Haus ist doch nicht sichtbar von außen. Wie soll Valentin da wieder zurückfinden?!«

      »Gar nicht«, lautet die knappe Antwort, die mir augenblicklich das Blut in den Adern gefrieren lässt. Schon schiebt sich ein Bild vor mein geistiges Auge. Valentins blassblauer Körper, er liegt erfroren im Schnee. Eiskristalle in seinen Haaren, seinen Augenbrauen, ein paar kleine an seinen Bartstoppeln … Mich fröstelt es.

      »Was?!«, kreische ich.

      »Ach Kindchen«, seufzt der Alte, »man kann diese Hütte nur finden, wenn man mit mir unterwegs ist. Der Schutz ist auf mich geprägt und ich habe keine Ahnung, wie ich das ändern könnte. Und ehrlich gesagt will ich das auch gar nicht. Das soll dem Jungen eine Lehre sein, dass