Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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mich nicht lange schlafen lassen. Ich hab mich etwas umgesehen, deine Nase verarztet, nachdem du meinen Pulli vollgeblutet hast und unsere Sachen heraufgebracht. Ich schätze es ist spätestens 21 Uhr. Der Alte schläft aber schon. Es könnte also auch schon später sein.«

      »Tut mir leid. Das mit dem Vollbluten. Aber immerhin hast du ein besseres Zeitgefühl als ich. Wenn du mir gesagt hättest, es sei drei Uhr früh, hätte ich das auch geglaubt.«

      »Geht es dir jetzt besser?«, wechselt er das Thema und betrachtet mich besorgt von der Seite. Er hat sich neben mich aufs Bett gesetzt und so verspeisen wir Seite an Seite die bereits kalt gewordene und doch immer noch köstliche Mahlzeit.

      »Ja, danke. Mein Kopf fühlt sich zwar nach wie vor ziemlich schwer an und schmerzt ein wenig. Die Nase pocht im Gleichklang mit meinem Herzen. Aber ich kann mich nicht beklagen«, antworte ich und mache eine ausschweifende Bewegung mit beiden Armen, um ihm zu verdeutlichen, dass das alles hier so viel besser ist als das Zelt in der morschen, zugigen Hütte.

      Er seufzt kurz und zwickt sich in seine Nasenwurzel. Direkt zwischen seine hellen Augen, die im Kerzenschein förmlich leuchten. Ich sehe ihm bereits an, dass er wieder ernst wird, bevor er den Mund aufmacht.

      »Was ist da mit dir passiert, Marlena? Was hat er mit dir gemacht?« Eine Sorgenfalte zeichnet eine tiefe Kerbe zwischen seine Augenbrauen. Schatten flackern über sein Gesicht. Und so erzähle ich ihm alles, was passiert ist. Alles, was ich gesehen habe. Auch, was ich in den letzten Wochen geträumt habe.

      »Jeder Traum war anders«, versuche ich zu erklären, »doch jeder war auf seine Art furchterregend.«

      »Du hast mir bereits ein wenig von den Träumen erzählt, weißt du noch? Doch ich war so dumm und habe dir nicht richtig zugehört.«

      »Ja. Das stimmt.« Ich will ihm nicht gleich von seiner Rolle in dem Ganzen erzählen und so starte ich damit, dass ich ihm vom Gebäude erzähle, von den Kleidern, von der Decke, die mich beim Konzert fast um den Verstand gebracht hat.

      »Also siehst du in den Träumen auch Dinge aus der Realität«, schlussfolgert er.

      Ich nicke. »Und nicht nur Dinge. Auch Menschen.«

      Jetzt nickt auch er. »Du hast erwähnt, dass auch ich schon mal in einem der Träume vorgekommen bin?«

      »Du bist in jedem einzelnen Traum vorgekommen«, erwidere ich leise. Irgendwie ist es mir peinlich, auch wenn ich nicht genau weiß, warum.

      Der Adamsapfel an seinem Hals hüpft einmal auf und ab, als er kräftig schluckt. »Und was habe ich in diesen Träumen getan? Oder wir?« Dieses Mal zeigt sich keine Anzüglichkeit auf seinem Gesicht, lediglich eine ernste Miene.

      »Das erste Mal, als du mir im Traum erschienen bist, standest du einfach nur da, in einem wunderschönen Ballsaal. Dann haben wir gesprochen und …«, kurz räuspere ich mich, bevor ich fortfahre, »als wir uns gegenseitig angenähert haben, hast du mich plötzlich so seltsam angeblickt. Es war, als wäre dein Blick gebrochen. Mit kalten Augen hast du einfach durch mich hindurch gestarrt. Bis du auf einmal den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet hast und warmes, dickes Blut herausschwappte. Da bin ich aufgewacht. Das zweite Mal …«

      »Was?«, unterbricht mich Valentin. Er ist kalkweiß geworden – soweit ich das im fahlen Kerzenschein erkennen kann.

      »Wann war das?«, fragt er gehetzt.

      Ich überlege. »Ich glaube, das war am Wochenende nach dem Vorfall beim Club.«

      Mit zittrigen Fingern wischt er sich mehrmals übers Gesicht, bevor er in seine Hand nuschelnd antwortet.

      »Ich erinnere mich gut an diese Nacht. Als ich mich zum ersten Mal seit Jahren weigern wollte, einen Auftrag auszuführen.«

      Mir stockt der Atem. Auf seinem Gesicht spiegelt sich Grauen, das auch von mir Besitz ergreift. »Was haben sie mit dir gemacht?«, hauche ich die Frage, vor deren Antwort ich mich fürchte.

      »Sie haben mir so lange Gehorsam eingeprügelt, bis ich nur noch röchelnd Blut erbrochen habe«, flüstert er, ohne mich dabei ansehen zu können. Er schämt sich dafür. Er schämt sich für die grausamen Taten anderer. Das Opfer sollte nie Scham empfinden.

      Aufgebracht springe ich vom Bett hoch. Greife jedoch sofort Halt suchend nach seiner Schulter, als mir kurz schwarz vor Augen wird.

      »Diese Menschen sind Tiere! Und du schämst dich auch noch dafür, was die dir angetan haben?«, fahre ich ihn empört an.

      »Du vergisst, dass ich genauso zu ihnen gehöre.« Verzweiflung und Wut vermischen sich in seiner Mimik. »Oder gehört habe.«

      »Aber du bist nicht einfach kopflos losgerannt und hast ihnen gehorcht wie ein trainierter Hund«, entgegne ich.

      »Doch, jahrelang habe ich das getan. Mehr noch: Ich war stolz auf meine Stärke. Ich war stolz darauf, Bedeutung für sie zu haben. Und in diesem Moment hätte ich auch gehorchen sollen. Dann wäre mir einiges erspart geblieben.«

      »Aber das hast du nicht getan. Du hast dich ihnen widersetzt. Weil du im Gegensatz zu ihnen ein Gewissen besitzt!« Mit jedem seiner selbstanklagenden Worte werde ich wütender.

      »Nein. Das habe ich nicht. Du weißt doch gar nicht, wie viele Bestrafungen anderer ich selbst durchgeführt habe! Wie viele Geister und Körper ich gezüchtigt habe. Und all die Leben … ich habe so viele getötet.« Seine anfänglich laute, gereizte Stimme hat mit jedem Wort an Nachdruck verloren.

      »Und doch glaube ich keinen Moment, dass du das alles getan hast, weil du es tun wolltest. Vielleicht wolltest du dich gebraucht fühlen. Nützlich, bedeutend, respektiert. Doch du hast es keine einzige Sekunde genossen, jemandem Schmerzen zuzufügen. Da bin ich mir sicher.«

      Ich greife nach seiner Hand. Er sieht auf. Blickt mir geradewegs in meine Augen. Und in diesem Moment liegt so viel Schmerz und Reue in seinem Blick, dass ich mit Sicherheit sagen kann, dass er genauso wie ich weiß, dass ich Recht habe mit meiner Feststellung. Er hat jeden einzelnen Moment, in dem er Leid zugefügt hat, gehasst. Doch er wollte es sich keinesfalls eingestehen. Denn er wollte keine Schwäche zulassen. Und Gefühle bedeuten immer auch Verletzlichkeit.

      Ich kapiere erst, was ich da gerade mache, als meine Lippen sich verzweifelt auf die seinen drücken. Er erwidert den Kuss zuerst genauso aufgewühlt, doch schon verkrampft er sich. Will mich von sich stoßen.

      »Vergiss die Vergangenheit bitte nur für wenige Momente. Lass es doch einfach zu, gemocht zu werden«, hauche ich an seine Lippen.

      Als sie die meinen verschließen, weiß ich, dass ich ihn für den Augenblick überredet habe, zu vergessen. Oder zumindest kurz zu ignorieren, was er getan hat, und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Und jetzt hält er mich nun mal gerade in seinen Händen, die warm über meinen Rücken zu meinem Nacken wandern und im Kragen meines Shirts so sanft über meine Haut streifen, dass sich dort die kleinen Härchen aufstellen. Vorsichtig tastet sich seine Zunge in meinen Mund vor und wird begierig von mir eingelassen und von meiner Zunge liebkost. Ich kralle mich in seine dunklen Haare, spüre gleichzeitig körperlich, wie sehr er mit seinen Gefühlen kämpft. Wie die Verzweiflung, die Zuneigung und auch Erregung ihn überwallen. Ich dränge mich dichter gegen ihn. Will ihn mit positiven Gefühlen vollpumpen und die negativen verscheuchen. Doch von einer Sekunde auf die andere beginnt sein ganzer Körper zu beben. Zuerst denke ich, er weint. Doch als ich mich von ihm löse sind seine Wangen trocken. Seine Lippen jedoch – sie sind blau. Und sie zittern. Wie der Rest von ihm. Ich streiche ihm besorgt über die Wange. Seine Bartstoppeln kratzen über meine Haut, doch das bekomme ich kaum mit. Denn er ist eiskalt. Wie schockgefroren.

      »Was ist mit dir los? Valentin? Valentin! Sie mich an!« Sein Blick verliert immer wieder den Fokus, als er mich anschaut. Seine Hände klammern sich an mir fest.

      »Ich hole jetzt den Alten! Vielleicht kann er helfen«, beschließe ich. Doch Valentin lässt mich nicht los.

      »Nein. Bleib … hier. Ich … ich … Wärme«, presst er zwischen klappernden Zähnen hervor.

      Den