Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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den Wind über die blutende Nase. Ich werfe einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die duftende Mahlzeit, als ich Marlena auch schon vom Stuhl hochhebe. Sie ist so erschöpft, dass sie sich keine Sekunde dagegen wehrt und fast sofort in meinen Armen einschläft.

      »Wo können wir schlafen?«

      »Die Treppe hoch«, der Mann nickt Richtung Tür, »oben findest du Stroh, Leintücher und Decken. Das muss genügen.«

      Ich nicke. »Danke. Für alles.« Und ich meine es genau so, wie ich es sage.

      Der Mann tut auch jetzt alles lediglich mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Ich schlafe im Erdgeschoss. Gleich im Zimmer nebenan. Wenn etwas sein sollte: Du kommst schon klar, Jungchen. Wehe ihr weckt mich.«

      Mit einem erneuten Nicken wende ich mich von ihm ab und der Tür zu, schiebe sie mit einem Fuß auf, trage Marlena so leise wie möglich die knarrenden Stufen hinauf und setze sie vorsichtig am Boden ab. Obwohl ich glaube, dass sie nicht einmal aufwachen würde, wenn neben ihr eine Feuerwehrsirene losginge. Ich habe sie noch nie so erschöpft erlebt.

      »So, und jetzt ruh‘ dich gut aus«, flüstere ich vor mich hin, davon überzeugt, dass sie kein Wort davon mitbekommt. Doch meine leisen Worte gelten nicht nur ihr, sondern sollen auch mir selbst dazu dienen, etwas runterzukommen. Ich sorge mich schon seit Tagen um sie, während ich versuche, mir keine Schwäche anmerken zu lassen. Und doch sind meine Kräfte auch nicht unerschöpflich. Vorsichtig streiche ich ihr die dichten braunen Haare aus der Stirn. Knoten haben sich darin gebildet. Ihre Haut ist trocken und rissig. Und doch hat sie immer noch eine beeindruckende Ausstrahlung.

      »Ich pass‘ auf dich auf, auch wenn du auch ohne mich stark bist.«

      Ich sehe mich um. Mein Blick sucht die Bettmaterialien, die ich auch fast sofort finde. Hier oben ist es zwar nicht beengt, es ist ausreichend Platz für eine Schlafstätte für zwei Personen, aber für recht viel mehr dann auch wieder nicht. Ich schnappe mir die Decken und Leintücher, wobei – ich mich korrigieren muss – die zwei Decken und das eine große Leintuch. Kurzerhand beschließe ich, lange genug auf dem Boden geschlafen zu haben. Vielleicht wird es Marlena nicht freuen, aber wir werden uns wohl oder übel ein »Bett« teilen müssen. Unter vollem Körpereinsatz forme ich einen rund halben Meter hohen und annähernd rechteckigen Haufen Stroh, spanne das Leintuch so gut es geht darüber und merke, dass diese provisorische Matratze unerträglich piekst. Da hilft das dünne Leintuch nur wenig. Ich kann mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, schüttle aber gleich wieder über mich selbst den Kopf. Doch ich bin schon gespannt auf Marlenas perplexen Gesichtsausdruck, wenn sie kapiert, dass wir uns nicht nur ein Bett, sondern auch eine Decke werden teilen müssen. Den alten Sturkopf frage ich nämlich sicher nicht nach einer weiteren Decke und ich hoffe einfach, dass sie mir so weit vertraut, dass sie mir glaubt, wenn ich ihr verspreche, sie nicht zu berühren, wenn sie das nicht will. Ich würde ihr nie etwas antun. Und sie nie gegen ihren Willen zu etwas zwingen. Niemals. Also nehme ich das Leintuch wieder weg, lege eine Decke darunter und drapiere das Tuch erneut auf dem Strohhaufen. Nachdem ich einigermaßen zufrieden mit dem Bett-Provisorium bin, schleiche ich zu Marlena hinüber, hebe sie vorsichtig hoch und lege sie dann auf unserem Lager ab. Sie hat sich keinen Moment gerührt, doch als ich sie loslasse und mich abwenden möchte, greift sie nach meinem Unterarm. Die zu Beginn von der Kälte kalkweißen Finger sind von der angenehmen Wärme hier drin knallrot geworden. Auf ihren Knöcheln befindet sich getrocknetes Blut. Die Haut auf ihrem Handrücken ist genauso aufgesprungen wie ihre vollen Lippen. Die Blutung ihrer Nase hat zum Glück schnell wieder gestoppt.

      Kurz flackern ihre Augenlider.

      »Valentin.« Ein verschlafenes Flüstern. »Bitte bleib hier.«

      Immer, denke ich, ich werde dir nicht von der Seite weichen.

      Doch stattdessen nehme ich die Decke, die ich eigentlich über sie alleine ausbreiten wollte, lasse mich neben ihr auf das Stroh nieder und decke uns beide zu.

      Ihre kühle Hand lässt meinen Unterarm los und legt sich stattdessen sanft auf meine Brust. Von meiner bloßen Haut durch die dicke Wollschicht meines Pullovers getrennt. Und doch verkrampfe ich mich unter dieser Berührung, denn schon diese kleine Geste erzeugt in meinem Körper und meinem Geist eine viel zu starke Reaktion.

      »Danke«, murmelt sie in die Decke. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie schon ins Land der Träume abdriftet und morgen nichts mehr von der kleinen Kuscheleinlage weiß. Und doch liege ich hier einfach still und genieße ihre Nähe. Ich bekomme noch mit, dass ihre Atemzüge immer tiefer und regelmäßiger werden, als der Schlaf auch mich umgarnt.

      Kapitel 8 – Marlena

      Ich erwache ruckartig, als hätte ich schlecht geträumt, doch ich kann mich an keinen Albtraum oder Ähnliches erinnern.

      »Wo bin ich hier?«, murmle ich vor mich hin und verziehe sofort vor Schmerz mein Gesicht, was wiederum mit einem Schmerzimpuls gestraft wird. Ich taste zu meiner Nase, die geschwollen wirkt und scheiß weh tut. Doch schnell merke ich auch, dass eine Art Pflaster darauf klebt. Sieht aus, als wäre ich verarztet worden. Dann fällt mir auch wieder ein, dass wir uns im Zuhause des alten Mannes befinden.

      »Lass das bloß drauf! War gar nicht so leicht, irgendetwas zu finden, damit du nicht alles vollblutest«, tadelt mich Valentins Stimme. Es ist stockdunkel um mich, doch ich erkenne einen Kerzenschein von der Treppe her. Und Valentins Silhouette, die normalerweise nur so vor Kraft und Dominanz strotzt, doch heute wirkt seine Haltung gebeugt, sein Körper erschöpft. In seiner Hand hält er eine Kerze auf einem Halter wie ich es schon in so manchem Geschichtsdrama gesehen habe. So etwas gibt es noch? Wundert mich das gerade wirklich, obwohl ich sozusagen in einer unsichtbaren Hütte sitze?

      »Was genau ist passiert?«

      »Dein Gesicht wollte neben der Hasenkeule schlafen. Stattdessen musst du dich wohl mit meiner Wenigkeit zufriedengeben.« Er kratzt sich am Hinterkopf, während er näher auf mich zukommt und ich ihn nun immer besser im Kerzenlicht erkennen kann. Seine schwarzen Haare sind etwas gewachsen, doch es steht ihm. Genauso wie der Bartschatten, der sein kantiges Gesicht nur noch mehr betont. Ich bin seit Tagen mit ihm unterwegs und mir fällt gerade jetzt wieder ein, wie gut er eigentlich aussieht? Als ich merke, dass ich ihn gerade anstarre, während ich unkontrolliert auf meiner Unterlippe herumkaue, will ich sofort etwas erwidern, habe aber vergessen, was er mir eben mitgeteilt hat.

      »Entschuldige was?«, schieße ich etwas zu forsch heraus.

      »Es tut mir leid, aber es geht nicht anders, wir haben nicht genug Decken und Leintücher. Ich schlafe auch am äußersten Rand des Bettes. Wenn du willst, können wir auch mit dem Kopf an der jeweils anderen Bettseite liegen. Ganz wie du willst …«, versucht er sich zu erklären und mir fällt wieder ein, was er vorher über die Hasenkeule und sich selbst gesagt hat. Warte – war das gerade Unsicherheit in seiner Stimme? Und in seinem Blick? Und seit wann kratzt er sich denn verlegen am Hinterkopf?

      Ich schüttle den Kopf darüber und lächle ihn kurz einfach nur an. Doch dann versuche ich ihn wieder zu beruhigen.

      »Alles gut, ich habe keine Angst, dass du mich begrapschst, oder so. Ich glaube irgendwelche Mackersprüche sind da eher dein Ding. Du hast genauso ein Recht darauf, endlich einigermaßen gemütlich zu liegen und zu schlafen, wie ich. Wenn du es nicht sogar etwas mehr verdienst, immerhin hast du lange genug auf dem Boden schlafen müssen.«

      Jetzt stiehlt sich auch auf seine Züge ein Lächeln.

      »Ich habe uns was zu essen geholt. Es ist zwar jetzt kalt, aber mir ist schon langsam übel vor Hunger.«

      »Mir auch«, gestehe ich, was von einem Gegrummel meines Magens nur noch bekräftigt wird. Er reicht mir ein Holzbrett mit kaltem Fleisch und ein paar wenigen Kartoffelstücken.

      »Wie spät ist es eigentlich?«, frage ich mit vollem Mund, weil ich sowohl meine Neugier als auch meinen Hunger gleichzeitig stillen möchte.

      »Sehr