Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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so wie er. So wie du. Meine ist nur etwas anders als seine. Aber keinesfalls so besonders wie deine.«

      Ich weiß nicht, ob ich gerade beschämt oder wütend sein soll. Diese ganzen Gefühle überfordern mich noch immer. Wie soll ein Mensch denn mit diesen Unmengen an Nervenreizungen und Hormonen umgehen können? Außerdem, wie sehe ich sie denn an?

      »Was meinen Sie damit, dass wir alle eine Gabe haben? Marlena doch nicht.« Ein kurzes Zucken in Marlenas Mimik lässt mich vermuten, dass mein Einwand sie ein wenig gekränkt hat, aber einer von uns muss schließlich versuchen, realistisch zu bleiben.

      »Ach Kinder«, seufzt der Alte. »Jetzt packt erst mal eure sieben Sachen zusammen und dann kommt ihr mit zu mir. In diesem zugigen Drecksloch kann doch keiner leben. Schnee und Wind alleine reichen wohl kaum aus, um Brendanus‘ Zorn von euch abzuwenden. Und dass er nicht gerade bester Laune sein wird, ist wohl allen klar.«

      »Aber warum sollten wir bei Ihnen sicher sein?« Ich bin mir nicht sicher, ob Marlena wollte, dass diese Frage so beleidigend wirkt und auch, wenn ich ihre Zweifel verstehen kann, sollten wir diese Chance nutzen.

      »Immerhin lebt er noch.« Erkläre ich mit einem Schulterzucken und scheine sie allein dadurch zu überzeugen, dass wir mit dem Alten gehen sollten. Natürlich vertraue auch ich diesem Mann nicht, gar keine Frage. Nicht nur, dass er viel zu viel zu wissen scheint. Ich verstehe immer noch nicht, was da mit Marlena passiert ist, aber er scheint seine Finger im Spiel zu haben und das gefällt mir gar nicht. Wer er sein könnte, weiß ich auch nicht. Außerdem schuldet er uns rein gar nichts. Es ist zwar verständlich, dass er uns nicht selbst ausliefert, immerhin ist er angeblich auch auf der Flucht vor den preditii iuveni, aber er könnte uns trotzdem einfach so hier auf unser Schicksal warten lassen. Warum also hilft er uns? Um das herauszufinden, müssen wir ihm wohl oder übel folgen. Jedoch nicht, ohne ihn zu beobachten.

      »Komm, packen wir unsere Sachen.« Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass der Mann noch immer gefesselt ist, nehme ich Marlena an der Hand und ziehe sie mit mir. Es ist nur wenige Tage her, seit wir hastig diese Sachen in die Rucksäcke gestopft haben und uns unter falschem Namen per Anhalter aus der Stadt hierher aufgemacht haben. Nun raffen wir schon wieder alles zusammen und machen uns erneut auf in die Ungewissheit. Doch keine Sekunde sehe ich Angst oder Zögern in Marlenas Blick. Mit bestimmten Bewegungen wickelt sie einen kleinen Kochtopf in einen schmutzigen Fetzen, den ich als ihre Hose wiedererkenne, die sie auf dem Weg anhatte, und knüpft das Bündel außen an ihren schwarzen Rucksack. Es dauert keine zehn Minuten bis wir bereit zum Aufbruch sind. Wir beide werden langsam ein eingespieltes Team, was zusammenpacken und abhauen betrifft. Mit wenigen geschickten Bewegungen befreie ich den Mann aus seinen provisorischen Fesseln und bedeute ihm, voranzugehen. Nach einem letzten Blick auf die halb verwitterte Holzhütte zwischen den Bäumen, lächle ich Marlena aufmunternd zu und stapfe neben ihr dem Alten hinterher. Mit ihr an meiner Seite ist das Leben eine einzige Aneinanderreihung von Überraschungen, Ungewissheiten und Kraftakten. Und doch kann ich mir kaum mehr vorstellen, wie ein Leben wäre, in dem ich sie nie kennen gelernt hätte. Und möchte das auch gar nicht. Habe ich das gerade wirklich gedacht?

      Kapitel 6 – Marlena

      Wir stapfen nun seit circa einer halben Stunde durch den sonnenbeschienenen Schnee, der unter jedem unserer Schritte vor Kälte knirscht. Ich fühle mich völlig ausgelaugt, jedoch nicht körperlich, sondern geistig. In etwa so, wie ich mich manchmal gefühlt habe, wenn ich den ganzen Tag lang nichts anderes getan habe, als zu lernen. Doch diese mentale Erschöpfung ist gerade um ein Vielfaches schlimmer. Immer wieder entgleitet mir mein Blick, wird unscharf und meine Augen drohen, zuzufallen. Und so versuche ich standhaft, mich auf den alten Mann vor mir zu konzentrieren, während ich viel zu oft blinzle, doch meine Augen brennen trotzdem wie verrückt.

      »Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst erschöpft aus.« Vorsichtig streift Valentins Arm den meinen. Unsere Schultern berühren sich durch die dicken Jacken hindurch und ein beruhigendes Wärmegefühl lullt meine Gedanken ein. Ich bin sogar zu müde, um ihn auf Abstand zu halten.

      Ich nicke. »Alles okay. Aber ja du hast recht. Ich bin, warum auch immer, ganz schön geschafft. Ich hoffe, wir haben keinen Tagesmarsch vor uns.«

      Der Mann hat nicht gesagt, wie weit es zu seinem Unterschlupf sein würde. Nachdem Valentin ihn losgebunden hatte, hat er uns lediglich zu erkennen gegeben, dass wir ihm folgen sollen, und dann ist er auch schon schweigend losgestapft.

      Ich weiß nicht, woran es liegt, doch weder Valentin noch ich, haben genauer nachgefragt. Valentin wirkt generell gerade sehr in sich gekehrt. Ich mustere ihn von der Seite. Keinesfalls unauffällig. Doch er scheint meinen analysierenden Blick nicht zu bemerken. Auf seinen Zügen liegt eine hilflose Gleichgültigkeit, die mir überhaupt nicht gefällt. Nicht nur, weil ich mich bislang immer auf sein Durchhaltevermögen und seinen Kampfgeist verlassen konnte, sondern auch, weil man Gefühle nun mal nicht einfach so abschalten kann. Es waren nur wenige Tage, in denen wir uns nähergekommen sind. Und doch haben mir diese Tage so viel bedeutet. Er hat mir viel bedeutet. Und auch jetzt ist er mir alles andere als egal. Ich konnte früher nie verstehen, wie Menschen immer noch zu ihren Lieben halten können, wenn diese schreckliche Dinge getan haben. Doch jetzt befinde ich mich in einer ähnlichen Situation und auch ich schaffe es nicht, Valentin als kaltes Monster zu sehen. Ich meine, ja, ich kann mich nicht selbst belügen: Er hat Menschen getötet. Doch ich sehe so viel mehr in ihm: ich sehe seine Fürsorge, mit der er sich um mich gekümmert hat, als ich ihn immer und immer wieder von mir gestoßen habe. Ich sehe die Angst um mich in seinen Augen, als ich mich selbst beinahe aufgegeben habe. Ich sehe den Blick, den er mir zugeworfen hat, bevor wir uns das erste Mal geküsst haben, so voller Glück und Zuneigung. Ich sehe in ihm einen Beschützer, doch ich sehe auch ein egozentrisches Arschloch. Und ich sehe, wie er Menschen das Leben raubt. Und doch kann ich immer noch nicht sagen, was davon er ist, und zwar sein wahres Selbst, und was davon die Marionette der praeditii iuveni ist, zu der sie ihn über die Jahre geformt haben. Hin und wieder stelle ich mir vor, wie ich ihre Fäden durchschneide und ihn von ihrem Einfluss befreie. Und doch weiß ich nicht, ob das noch möglich ist, oder ob er dieses grausame und gewaltreiche Leben nicht bereits viel zu sehr verinnerlicht hat, als dass man es gänzlich von ihm entfernen könnte. Ich muss an einen Parasiten in seinem Körper denken, der sich schon viel zu stark ausgebreitet hat. Ein Schütteln jagt durch meine Glieder beim Versuch dieses eklige Bild aus meinen Gedanken zu verdrängen.

      »Kommst du, Marlena?« Valentins Stimme reißt mich aus meinen Grübeleien. Ich habe wohl immer mehr getrödelt und so schließe ich nun hastig zu den beiden Männern auf.

      »Wo führen Sie uns überhaupt hin?«, fragt der jüngere den Alten.

      »Das habe ich euch doch bereits gesagt, Jungchen: zu mir. Du solltest wirklich besser aufpassen, wenn jemand mit dir spricht«, tadelt der Ältere ihn.

      Valentin seufzt genervt auf, verkneift sich aber einen beleidigenden Kommentar, auch wenn ich mir sicher bin, dass er ihm bereits auf den Lippen lag.

      »Ich wollte doch nur wissen, wo es langgeht und wie weit es dorthin ist.«

      »Kinder, folgt mir einfach, ich weiß schon, wo wir hinmüssen. Und quengelt bloß nicht herum, wir sind da, wenn wir eben da sind.«

      Ich hasse dumme Antworten auf ernst gemeinte Fragen. Kurz berühre ich Valentins Arm, um still seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich verdeutliche ihm so gut es geht mit einem Schulterzucken und gleichzeitigem Kopfschütteln, dass er es bleiben lassen soll. An diesem alten Mann beißt er sich sonst noch die Zähne aus. Alles verschwendete Energie. Energie, die wir sicherlich brauchen werden.

      Auch ich frage mich, wie lange wir noch weiterwandern sollen. Inzwischen ist die Nässe des Schnees durch das Kunstleder meiner Stiefel gedrungen und meine Socken und Zehen sind starr vor feuchter Kälte. Mit Verbissenheit versuche ich, meine Zähne am Klappern zu hindern. Unvermittelt komme ich ins Straucheln, fange mich aber wieder. Es ist als würde mein Gehirn einfach nur noch schlafen wollen und meinen Körper gegen meinen Willen dazu drängen, schlapp zu machen,