Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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wenn er tot ist!«, zische ich zynisch durch meine zusammengebissenen Zähne. »Ich dachte, du wolltest nicht mehr töten?«

      Der Vorwurf sitzt und trifft genau das, worauf ich gezielt habe: sein Herz. Ein Schatten legt sich über Silvas Augen.

      »Na gut«, gibt er sich geschlagen. »Ich wollte ihn sowieso irgendwann wieder reinlassen, aber dann startet die Sturkopf-Suchaktion eben schon früher.« Mit scheinbar vor Schmerzen verzogenem Gesicht erhebt er sich vom Holzstuhl und hinkt Richtung Tür.

      »Alles in Ordnung?«, frage ich verwundert. Bei unserem Marsch hierher hat er viel mobiler gewirkt.

      »Man wird eben nicht jünger«, meint er bloß, als würde das erklären, dass er in nur wenigen Tagen dem Anschein nach um Monate gealtert ist. Ladies and Gentlemen: ich präsentiere Ihnen »Das psychisch labile Mädchen und die zwei suspekten Ordensbrüder«. Immerhin weiß ich jetzt einen Titel für meine Autobiografie. Doch mein Humor vertschüsst sich sofort wieder als ich an Valentin denke und mein Magen sich vor Sorgen schmerzhaft zusammenkrampft. Natürlich weiß auch ich irgendwo dort, wo sich mein klarer Verstand hin verabschiedet hat, dass Valentin sicher nicht innerhalb von nicht mal einer Stunde abgekratzt ist. Wir zwei haben Tage alleine in der Schneelandschaft verbracht. Ohne mich würde er es wahrscheinlich noch leichter haben. Keine Marlena, die heulend und zitternd in einem Zelt gammelt. Und doch sind meine Sorgen allumfassend.

      »Können wir dann?« Silva hebt fragend eine grau-weiße Augenbraue. Während meines gedanklichen Sorgen-Monologs hat er sich in eine dicke Wolljacke gehüllt und ist in warme Lederstiefel geschlüpft.

      »Ah ja! Sofort!« Ungeachtet dessen, dass meine Socken von meiner vorangegangenen Verfolgungsjagd noch vollkommen durchnässt und meine Füße dadurch eiskalt sind, ziehe auch ich mir einfach meine Winterstiefel darüber und schnappe mir rasch einen Mantel. Schon husche ich vor Silva durch die bereits geöffnete Tür hinaus. Es ist sowieso nur eine Frage von Minuten bis die Feuchtigkeit einen Weg durch meine abgetragenen Kunstlederstiefel gefunden hat, da kann ich auch jetzt schon frieren. Ein kalter Windstoß peitscht uns in die Gesichter, als Silva neben mich tritt und ich in die Richtung zeige, in die Valentin abgehauen ist.

      »Na weit kann er ja noch nicht gekommen sein, hoffe ich zumindest«, murrt Silva unmotiviert vor sich hin.

      »Ich weiß.« Die Sorgen lassen trotzdem mein Herz schwer werden. Unerwartet zieht mich der Alte zu sich. Überrascht presst es mir die Luft aus den Lungen, als er mich wie ein großer Bär in seine Pranken nimmt. Ich denke, das soll eine Umarmung sein, doch er wirkt dabei ziemlich unbeholfen.

      »Ach komm, Kindchen, alles wird gut. Wenn du weiterhin so finster dreinschaust, bekommst du noch Falten und das wollen wir doch nicht, oder?«

      »Nein, natürlich nicht«, schniefe ich. Er drückt mich noch mal aufmunternd, dann lässt er mich los und die Kälte umfasst nicht nur meinen Körper, sondern auch mein Herz erneut.

      Wir stampfen vor uns hin, durch den beträchtlich hohen Schnee und kommen der Begrenzung immer näher.

      »Ich verstehe ja, dass man durch den Schutzschild nicht herein sehen kann. Aber warum sieht man nicht raus? Ist das nicht irgendwie etwas kontraproduktiv? Immerhin könnte es dann passieren, seinen Feinden direkt in die Arme zu laufen, falls diese sich knapp hinter der Begrenzung aufhalten«, überlege ich laut.

      »Das stimmt schon und ist tatsächlich ein Problem, aber wie heißt es so schön? Alles hat seinen Preis und nichts ist perfekt. Es handelt sich hier zwar um eine Art Magie oder Realitätsverzerrung, aber es ist trotzdem nun mal nicht alles möglich.«

      »Okay. Menschen mit Musikinstrumenten töten und Gefühle beeinflussen: ja. Einen vernünftigen Schutzschild erschaffen: nein. Check.«

      »Gut zu wissen, dass du schon wieder zu sarkastischen Kommentaren imstande bist, Kindchen.«

      Silvas Augenbrauen ziehen sich tadelnd zusammen, doch ich bemerke trotzdem, dass sein rechter Mundwinkel für einen kurzen Augenblick etwas gezuckt hat.

      »Dann schauen wir mal, wo das Jungchen steckt.« Wenn Silva nichts gesagt hätte, hätte ich gar nicht bemerkt, dass wir uns bereits kurz vor der Grenze befinden. Was ich jedoch nur an dem kurzen Holzstumpen erkenne, den ich sonst nur von Grundstücksbegrenzungen kenne. Ansonsten gibt es nichts, was auf eine Barriere hindeuten könnte. Keine Verzerrungen, kein Flimmern – und ich hätte gedacht, dass mir vielleicht wenigstens hier meine Liebe zu ›Die Tribute von Panem‹ weiterhelfen würde, aber: Fehlanzeige.

      Zögerlich mache ich einen Schritt nach vorne. Als nichts passiert, mache ich noch einen. Auf einmal fühle ich ein energetisches Kribbeln, das mir für den Bruchteil einer Sekunde durch Mark und Bein geht, bis es ruckartig aufhört und ich draußen bin. Ungeschützt zu sein, wieder Angst haben zu müssen, fühlt sich furchtbar an. Doch ich reiße mich zusammen und konzentriere mich darauf, was zu tun ist. Ich bin wohl etwas zu fokussiert, denn als Silva eine seiner Hände auf meine linke Schulter legt, springe ich vor Schreck fast an die nicht vorhandene Decke. Diese Tatsache ignorierend, flüstert mir Silva ins Ohr. »Ich lass euch das am besten alleine klären. Aber keine Sorge, ich warte direkt hinter der Begrenzung.« Erst als er mit dem Finger zu einem Baum etwas rechts von mir zeigt, verstehe ich, was er meint. Ich nicke bloß stumm, nicht dazu fähig, meinen Blick von Valentins zusammengesunkenen Schultern abzuwenden, während er weiterhin mit dem Rücken zu uns am Stamm einer alten Eiche lehnt. Er hat unsere Anwesenheit noch nicht registriert. Untypisch für ihn. Vor allem so alleine hier draußen sollte er aufmerksamer sein. Ich drehe mich nicht um, merke trotzdem, dass Silva wieder hinter der sicheren Barriere verschwunden ist. Es hat sich angefühlt, als würde ich spüren, wie sein Geist oder wohl eher seine Seele sich von mir entfernt. Ich schiebe diese neuen, aufwühlenden Gedanken beiseite und schreite langsam auf Valentin zu. Ich will ihn nicht erschrecken, will aber auch nicht lautstark durch den Wald trampeln.

      »Valentin?«, frage ich vorsichtig. Jetzt ist er es, der wie von der Tarantel gestochen hochzuckt, sich jedoch gleich wieder mit dem Rücken gegen die Baumrinde zu Boden gleiten lässt.

      Und sich Tränen aus den Augen wischt? Hat er gerade geschnieft? Dieser Anblick, Valentin weinen zu sehen, erschüttert mich zutiefst. Immer war er der Fels in meiner Brandung. Nie hat er Schwäche gezeigt. Mir ist zwar klar gewesen, dass dieser Moment irgendwann kommen wird, dass auch er nicht unverwüstlich ist und irgendwann eine Grenze erreicht sein wird, an der er schlichtweg nicht mehr kann. Und doch hätte mich nichts auf der Welt auf diese ziehenden Schmerzen vorbereiten können, die wild an meinem Herz reißen.

      »Marlena!« Wieder versucht er sich die Spuren seiner Unsicherheit aus dem Gesicht zu reiben. Er sieht mich beschämt an. Ertappt, wie ein kleines Kind, das etwas kaputt gemacht hat. Niemals sollte er mich so ansehen. Nicht jetzt und nie mehr. Als hätte es klick gemacht, ergreift mich eine plötzliche, unfassbar starke Gewissheit. Die Gewissheit, was er für mich bedeutet, wie ich zu ihm stehe, was meine Gefühle mir schon so lange sagen wollten, mein Kopf aber immer wieder zu verneinen versucht hat. Überwältigt lasse ich mich vor ihm auf die Knie fallen. Lande im eisigen Weiß, Schneekristalle schmelzen auf meiner Hose. Inzwischen hat er den Blick gesenkt. Schaut beschämt zu Boden. Ich sammle jedes kleine Fünkchen Mut und lege meine durchgefrorenen Hände auf seine Wangen, die aufgeheizt von den Tränen auf meiner unterkühlten Haut brennen. Oder vielleicht liegt diese Hitze auch einfach an ihm? An dieser Berührung? Ich weiß es nicht, und es tut auch gar nichts zur Sache. Endlich blickt er auf. Eis blitzt in seinen Augen auf, als sie auf die meinen treffen. Schwer schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter, konzentriere mich auf seine Anwesenheit. Seine dunklen Haare, die einen so starken Kontrast zu unserer Umgebung darstellen. Seine breiten Schultern, an die ich mich gerade am liebsten lehnen würde, um Halt zu finden. Das klitzekleine Muttermal an seinem markanten Kieferknochen, das ich am liebsten küssen möchte. Seine zu Fäusten geballten Hände, die ich lösen und in meine nehmen möchte. Seine Augen, in denen bei meinem Anblick das Eis schmilzt und droht, erneut über die Augenwinkel zu fließen.

      Und dann tue ich es. »Ich liebe dich.« Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. »Ich liebe dich von ganzem Herzen und mit jeder Faser meines Körpers, Valentin.« Ich möchte ihn küssen, bin seinen Lippen bereits ganz nah. Seine Iriden wirken