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Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten


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auch in späteren Zeiten noch rechtsschöpferisch tätig (für die Gegenwart verweist er u.a. auf die Beispiele des Genossenschafts- und Familienrechts); gleichzeitig entstehendes Juristenrecht kann dem Volksrecht dann unter Umständen feindlich gegenübertreten. Die dadurch aufgeworfene Frage nach dem Geltungsgrund dieses nicht durch den „Volksgeist“ legitimierten Juristenrechts beantwortet B. mit dem Hinweis auf die Macht des Juristenstandes, die das von ihm als Recht Erkannte allmählich zur Gewohnheit werden läßt. Gegenüber diesem Juristenrecht, das „nur äußeren, zufälligen Umständen seine Existenz verdankt“, möchte B. nun wieder das Volksrecht zur Geltung bringen, das ihm „viel bedeutender und achtungswerter“ erscheint, da es „von Haus aus auf der breiten, natürlichen Basis des Volkslebens erwachsen ist“. Die Rezeption des römischen Rechts hält er für ein „Nationalunglück“, das zur Herrschaft eines unvolkstümlichen Juristenrechts geführt habe. Er sieht das Hilfsmittel in einer verstärkten wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem deutschen Recht, das, soweit möglich, „nach Art eines Naturforschers“ im Volk beobachtet werden soll, in volkstümlicher Gesetzgebung (deren politische Schwierigkeiten |57|er nicht verkennt), in Prozeßreformen (Mündlichkeit, Öffentlichkeit, Anklageprinzip im Strafprozeß) und in einer Laienbeteiligung an der Rechtspflege, wobei er das Schöffensystem auch im Strafverfahren dem Geschworenensystem vorzieht.

      Als Rechtspolitiker, der B. immer auch war, hat er sich tatkräftig um die Verwirklichung dieser Vorstellungen bemüht: der Grundrechtsabschnitt der Frankfurter Verfassung von 1849, an dem B. maßgeblich mitgearbeitet hat, enthält eine Reihe seiner Forderungen – die freilich zum Teil schon seit fast einem halben Jahrhundert erhoben worden waren – nämlich in den §§ 178 (Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Prozesses), 179 (Anklageprinzip, Schwurgerichte) und 180 (Beteiligung sachkundiger Laien in der Zivilgerichtsbarkeit). Auch B.s Gesetzgebungsprogramm findet sich in der Verfassung (§ 64: Auftrag an die Reichsgewalt, durch Erlassung allgemeiner Gesetze im Bürgerlichen, Straf-, Handels- und Prozeßrecht „die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen“). Ein Schritt auf diesem Weg zur Rechtseinheit war das – später zur Grundlage für das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 gewordene – preußische Strafgesetzbuch von 1851, an dessen Ausarbeitung B. selbst (er war Vorsitzender der von der zweiten Kammer zur Beratung des Ministerialentwurfs eingesetzten Kommission) mitgewirkt hat.

      B.s politische Aktivität hat dazu geführt, daß man die Bedeutung von „Volksrecht und Juristenrecht“ vor allem in seiner rechtspolitischen Wirkung gesehen hat. Dazu mag die vernichtende Kritik des Buches durch die Romanisten (vor allem → PuchtaPuchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter, auch → MommsenMommsen, Theodor (1817–1903) und Wächter), die B. allenthalben theoretische Widersprüche vorwarfen, beigetragen haben. Tatsächlich hatte aber auch B.s, gegenüber seinen rechtspolitischen Vorschlägen relativ unterentwickeltes, Wissenschaftsprogramm erheblichen Einfluß u.a. auf die spätere Begründung einer soziologischen Rechtswissenschaft, von deren Theoretikern → Eugen EhrlichEhrlich, Eugen (1862–1922) an B.s „gewaltige Anregung“ erinnert hat, das Recht im Volksleben selbst zu erforschen.

      Unter B.s Arbeiten zum deutschen Recht haben „Die Lehre von den Erbverträgen“ und das „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ besondere Bedeutung. Die „Lehre von den Erbverträgen“ hat → Otto v. GierkeOtto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland als „epochemachende Leistung“ bezeichnet und als die neben Wilhelm Eduard Albrechts Buch über die „Gewere“ bedeutendste unter den älteren germanistischen Monographien. B. weist hier – wobei er erstmalig auch Urkunden heranzieht – nach, daß im deutschen Recht immer an dem Satz, der menschliche Wille könne keinen Erben schaffen, festgehalten worden ist, die Ausbildung des „mißlungenen |58|Instituts“ der Erbverträge also ganz als das Ergebnis eines romanistisch orientierten Juristenrechts angesehen werden muß. – Das „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ war das führende deutschrechtliche Lehrbuch seiner Zeit. In seiner Methodik bleibt es allerdings weitgehend von der pandektistischen Begriffsjurisprudenz (→ PuchtaPuchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter) abhängig, es hat sich wie diese auch von den ursprünglichen Vorstellungen der historischen Rechtsschule – hier: von → EichhornsEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854) Theorie des deutschen Privatrechts – fast ganz gelöst. Immerhin gelingt es B., „ganze Provinzen, die bisher vorbehaltlos den Romanisten überlassen worden waren … der germanistischen Betrachtungsweise zurück“ zu erobern (O. v. Gierke), ein Erfolg, der freilich nur aus der etwas begrenzten Sicht zeitgenössischer germanistischer Habgier, weniger aus der eines Gesamtfortschritts der Privatrechtswissenschaft bemerkenswert erscheint. Sachlich hat vor allem der von B. (auch bereits in „Volksrecht und Juristenrecht“) erstmals fixierte Begriff der „Genossenschaft“ großen Einfluß gehabt. „Genossenschaften“ sind für B. z.B. die Deich- und Sielverbände, die kirchlichen Sekten, die Bergbaugesellschaften, die religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Vereinigungen, die Reedereien, Aktien- und Versicherungsgesellschaften, in gewissem Sinne sogar die Gemeinden und der Deutsche Bund. Soziologisch erklärt er das Institut aus dem „Assoziationsgeist“ der Deutschen, dogmatisch weist er ihm eine Mittelstellung zwischen den römischen Formen der „universitas“ (reine juristische Person) und der „societas“ bzw. „communio“ (reine Personenvereinigung ohne eigene Rechtsfähigkeit) zu. → O. v. GierkeGierke, Otto v. (1841–1921) hat diese Genossenschaftstheorie weiter ausgebaut und historisch begründet.

      Hauptwerke: Über die Stellung des römischen Rechts zu dem nationalen Recht der germanischen Völker (Rede), 1836 (auch in: Erlebtes, s.u. und in: K.H. Scheidler [Hrsg.]: Deutscher Juristenspiegel, 1842, 142ff.) – Die Lehre von den Erbverträgen, 3 Bde. 1835–1840. – Volksrecht und Juristenrecht, 1843, Ndr. 2011. – Commentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, 1851, Ndr. 1991. – System des gemeinen deutschen Privatrechts, 3 Bde., 1847–1855, 41885, Ndr. 2009. – Zur Geschichte der deutschen Ständerechte, 1860. – Erlebtes und Erstrebtes, 1884 (Selbstbiographie, Ndr. 2011). Bibliographie bei B.-R. Kern: Georg Beseler. Leben und Werk, 1982, 558–562.

      Literatur: G. Dilcher u. B.-R. Kern: Die juristische Germanistik des 19. Jh.s und die Fachtradition der Deutschen Rechtsgeschichte, in: ZRG (GA) 101 (1984), 1–46. – S. Gagnér: Die Wissenschaft des gemeinen Rechts und der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jh., hrsg. von H. Coing und W. Wilhelm, I, 1974, 1–118 (82–85). – O. v. Gierke: Georg Beseler, |59|in: ZRG (GA) 10 (1889), 1–24. – E. Heymann: Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät, in: DJZ 1910, 1103ff. (1141–1143). – T. Holm: Georg Beseler als Politiker 1848–1850, Diss. Tübingen, 1935. – H.H. Jakobs: Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht, 1983, 79ff. – B.-R. Kern: Georg Beseler (s.o.). – B.-R. Kern: Georg Beseler – ein Leben für das deutsche Recht, in: JuS 1988, 598–601. – B.-R. Kern: Germanisten versus Romanisten, in: J. Lege (Hrsg.): Greifswald – Spiegel der deutschen Rechtswiss., 2009, 113–127. – J.-D. Kühne: Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985. – O. Pöppelmann: Georg Beseler und seine Tätigkeit für die Grundrechte des deutschen Volkes im Jahre 1848, 1907. – Jan Schröder: Zur älteren Genossenschaftstheorie, in: Quad. Fior. 11/12 (1982–1983), 399–459. – Jan Schröder: Savignys Spezialistendogma und die „soziologische“ Jurisprudenz, in: Rechtstheorie 7 (1976), 23–52 (28ff.). – Stintzing-Landsberg: GDtRW III 2, 507–519. – Wieacker: PRG, 408–410. – ADB 46 (1902), 445–472 (R. Hübner). – HRG2 I (2008), 545–547 (B.-R. Kern). – Jur., 82f. (M. Stolleis). – Jur.Univ. III, 235–237 (I. Núñez Paz). – NDB 2 (1955), 174f. (D. Lang-Hinrichsen). Bibliographie bei B.-R. Kern: Georg Beseler (s.o.), 567–570.

      S.

       [Zum Inhalt]

      Christoph BesoldBesold, Christoph (1577–1638)

      (1577–1638)