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Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten


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1591 Studium in Tübingen, zunächst in der philosophischen Fakultät, 1593 Magister; dann Studium der Rechte; aus der Studienzeit rührt seine Freundschaft mit Johannes Kepler (dessen Mutter durch ein wahrscheinlich auf B. zurückgehendes Gutachten der Tübinger Juristenfakultät vor dem Feuertod wegen „Zauberei“ gerettet wurde); 23.8.1598 Promotion, Betätigung als Advokat am Hofgericht; 1600 Vermählung mit Barbara Breitschwert, der Tochter eines vermögenden badischen Beamten; 1610 Professor Pandectarum in Tübingen; 1614 bis 1635 siebenmal Rektor der Universität; 1622 und 1626 Inquisitionsverfahren gegen B., Vorwürfe: Fanatismus, Neigung zum Katholizismus 1628 und 1629 verfaßt B. zwei im Ergebnis gegensätzliche Gutachten zur Frage, |60|ob die württembergischen Klöster der katholischen Kirche zurückerstattet werden müssen oder ob sie beim Herzogtum Württemberg bleiben sollen, B.s Meinungsänderung ist zu erklären durch das dazwischen ergangene Restitutionsedikt von 1629; 1630 wird B., nach bis dahin kinderloser Ehe, eine Tochter geboren; er tritt daraufhin, einem Gelöbnis entsprechend, zum Katholizismus über. Öffentlich bekannt macht er diesen Schritt aber erst 1635 nach Eintritt in die österreichisch-württembergische Regierung (Württemberg war nach der Schlacht v. Nördlingen 1634 an Österreich gefallen); B.s Festhalten an der Forderung nach Rückgabe der Klöster an die Kirche macht ihn nun bei Österreich unbeliebt, da das klösterliche Gebiet ein Drittel des Herzogtums Württemberg ausmacht und Österreich einen solchen Verlust nicht will; 1636 nimmt B. einen Ruf an die Universität in Ingolstadt als Professor des Codex und des Jus publicum an; zu seinem Titel eines kurbayerischen Rats kommt 1638 noch der eines kaiserlichen Rats hinzu; Angebote des Kaisers und des Papstes (Ruf an die Universität Bologna) kann B. wegen Krankheit nicht mehr annehmen; er ist am 15.9.1638 in Ingolstadt gestorben.

      B.s Übertritt zum Katholizismus ist weit über seinen Tod hinaus zu einem Streitpunkt geworden: Handelte er als Opportunist oder als tiefgläubiger Mystiker, dem die lutherische Orthodoxie nicht genügend Möglichkeit zur Versenkung in den Glauben bot? Die Uneinigkeit hierüber geht so weit, daß man seinen offiziellen Übertritt zu verschiedenen Zeitpunkten ansetzt. Immerhin kann man B.s Verhalten während seiner Tätigkeit für die österreichisch-württembergische Regierung zu seiner Verteidigung anführen. Die durch das Restitutionsedikt geänderte Rechtslage brachte ihn 1629 dazu, die Rückgabe der Klöster an die Kirche zu fordern. Und an dieser für das württembergische Gebiet ungünstigen Ansicht hielt B. fest, auch als sie den Interessen Österreichs zuwiderlief und ihn in Mißkredit brachte.

      B., der zu den angesehensten Gelehrten seiner Zeit gehörte, hat in weniger als drei Jahrzehnten über 90 Werke veröffentlicht. Neben juristischen finden sich auch bedeutende volkswirtschaftliche – Roscher nennt B. „den wohl größten Staatsgelehrten, den Deutschland in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts besessen“ habe – und historische sowie theologische Arbeiten. Unter dieser großen Materialfülle mußte die wissenschaftliche Durchdringung im einzelnen leiden. Dieser Vorwurf ist oft erhoben worden, meistens verbunden mit dem Hinweis darauf, daß B. seine Werke teilweise von Studenten ausarbeiten ließ, die er in seinem Haus aufgenommen hatte.

      |61|Größte Berühmtheit hat sein „Thesaurus practicus“ erlangt, der übrigens auch von einem seiner Schüler zusammengestellt wurde. Es handelt sich dabei um ein Reallexikon für die juristische Praxis, das neben Begriffserklärungen auch eine Reihe staatsrechtlicher, geschichtlicher und sprachwissenschaftlicher Abhandlungen enthält.

      In seinen staatsrechtlichen Werken vertritt B. die Lehre von der doppelten Souveränität. Aus der Gesellschaft (societas), die auf naturgegebenem Zusammenschluß einzelner Individuen beruht, entsteht durch die Bildung eines Gemeinwillens (maiestas realis) der Staat. Er hat die Aufgabe, das Gemeinwohl der Bürger zu sichern. Diese so weit an die Volkssouveränitätslehre (→ AlthusiusAlthusius, Johannes (1557–1638)) angelehnte Auffassung steht jedoch im Widerspruch zu der nun folgenden Theorie von der maiestas personalis. Sie wird bei B. nämlich aufgefaßt als endgültig dem Herrscher übertragen, und zwar nicht durch einen Wahlakt, sondern direkt von Gott (hier klingt die Herrschersouveränitätslehre Bodins an). Eine Monarchie liegt nach B. vor, wenn die maiestas personalis nur einer Person, eine Polyarchie (Aristo- oder Demokratie), wenn sie mehreren Personen zusteht. Das deutsche Reich kann – wie B. als einer der ersten erkennt – keinem dieser Begriffe ausschließlich zugeordnet werden, es hat vielmehr einen aus monarchischen (Kaiser) und aristokratischen Elementen (Reichsstände) bestehenden „status mixtus“.

      Auch das bis dahin in der staatsrechtlichen Literatur kaum beachtete Problem der „vertikalen“ Machtverteilung im Reich wird von B. sehr deutlich gesehen. Er versucht es durch Einführung des neuen Begriffs „subalterner Staat“ zu lösen: Es könne Staaten geben, die nach unten absolute Gewalt haben, nach oben in ihrer maiestas personalis durch ein übergeordnetes Staatswesen beschränkt sind. Solche subalternen Imperien seien z.B. die Herrschaften der deutschen Reichsstände (Fürsten, Herzöge, Grafen, Freie und Reichsstädte) im Hinblick auf die übergeordnete Reichsgewalt; das Reich sei eine „respublica composita“ aus Subalternstaaten. So deutet B. die Territorialgewalt (sachlich angemessen) als eine eigenartige Form der Staatlichkeit und gibt einen wesentlichen Anstoß für die Ausformung der Lehre von den Staatenverbindungen, wie sie sich z.B. bei Ludolf HugoHugo, Ludolf (1630–1704) und → PütterPütter, Johann Stephan (1725–1807), der den Bundesstaatsbegriff vorweggenommen hat, findet.

      Hauptwerke: Synopsis politicae doctrinae, 1623, 51643 (= Extrakt aus einer Reihe politisch-staatsrechtlicher Arbeiten B.s, meist Sammlungen von Disputationen und Dissertationen, seit 1614; unter ihnen besonders: Politicorum libri II, 1618, 1620). Dt. Übers. der Ausg. von 1637: Synopse der Politik, hrsg. von L. Boehm, 2000. – |62|Delibata juris, 2 Bde. 1627/29, 3 Bde. 1632 (Pandektenkommentar). – Thesaurus practicus, continens explicationem terminorum atque clausularum in aulis et dicasteriis Romano-Germanici lmperii usitatorum, 1629, 1643 bearb. v. J.J. Speidel, weit. Ausg. 1659, 1666, 1679, 1697 hrsg. v. C.L. Dietherr, letzte Aufl. 1740. – Consiliorum Tubingensium sive illustrium juris responsorum et consultationum Pars I–IV, 1628, 21634, 31659–1661 (P. I–VI). Bibliographie: K. Neumaier: Ius publicum. Studien zur barocken Rechtsgelehrsamkeit an der Universität Ingolstadt, 1974, 261–268 (Versuch einer Sachbibliographie); Jugler: Beiträge zur juristischen Biographie I, 1773, 85–124; Friedel Walter Meyer: Christoph Besold als Staatsrechtler, Diss. jur. Erlangen, 1957 (masch.).

      Literatur: L. Boehm: Christoph Besold und die universitäre Politikwissenschaft seiner Zeit, in: Synopse (s.o.), 291–332. – R. v. Friedeburg: Between Scylla and Charybdis? Evidence on the conversion of Christoph Besold from his letters and his legal and political thought, in: J. de Landtsheer u.a. (Hrsg.): Between Scylla and Charybdis, Leiden 2011, 409–426. – Herm. Lange: Ius commune und Statutarrecht in Christoph Besolds Consilia Tubingensia, in: FS f. M. Kaser, 1976, 637–655. – F.W. Meyer (s.o.). – K. Neumaier (s.o.), bes. 63–68, 209–215. – E. Niethammer: Christoph Besold, in: Schwäbische Lebensbilder 11, 1941, 11–34. – M. Philipp: Christoph Besold und die Soiuveränität, in ders. (Hrsg.): Debatten um die Souveränität, 2016, 123–159. – W. Roscher: Geschichte der deutschen Nationalökonomie, 21924, 195–205. – R. Frhr. v. Schönberg: Das Recht der Reichslehen im 18. Jh., 1977, 48ff. – L.T. Spittler: Über Christoph Besolds Religionsveränderung, in: Patriot. Arch. f. Deutschland (hrsg. v. F.C. v. Moser) 8, 1788, 433–472 (auch in ders.: Sämtl. Werke 12, 283ff.). – Stintzing-Landsberg: GDtRW 1, 692–696. – H. de Wall: Politik, Recht und ‘Maiestas’ – zur Staatslehre Christoph Besolds, in: U. Köpf (Hrsg.): Die Universität Tübingen zwischen Reformation und Dreißgjährigem Krieg, 2010, 223–234. – B. Zeller-Lorenz: Christoph Besold (1577–1638) und die Klosterfrage, Diss. jur. Tübingen, 1986. – B. Zeller-Lorenz/W. Zeller: Christoph Besold, 1577–1638, in: Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfakultät, hrsg. v. F. Elsener, 1977, 9–18. – ADB 2 (1875), 556–558 (T. Muther). – HRG2 I (2008), 551f. (Jan Schröder). – Jur., 83f. (M. Stolleis). – Jur.Univ. II, 327–329 (J.M. Rodríguez de Santiago). – NDB 2 (1955), 178f. (E. Niethammer)

      P.