Sabine Tofahrn

Strafrecht Allgemeiner Teil II


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oder aber die Grenzen des Rechtfertigungsgrundes zu seinen Ungunsten verengt, wobei er sich jedoch verteidigen möchte (normaler Erlaubnisirrtum: der Täter ist objektiv nicht gerechtfertigt, glaubt jedoch, es zu sein, weil er einen Rechtfertigungsgrund annimmt, den es nicht oder so nicht gibt).

      Beispiel

      Dieb D versucht am Hauptbahnhof, dem A den Koffer zu entreißen. A erwehrt sich dieses Angriffs, indem er auf D mit einem Regenschirm einschlägt, bis dieser vom Koffer ablässt. Mit schlechtem Gewissen meldet er sich daraufhin bei der Polizeiwache, um die vermeintlich strafbare Körperverletzung zur Anzeige zu bringen. Der Polizei erklärt er, dass er schon wisse, dass man sich verteidigen dürfe. Er glaube aber, dabei keine Gewalt anwenden zu dürfen. Allerdings habe er sich nicht anders zu helfen gewusst.

      Hier hat A nicht gewusst, dass § 859 Abs. 1 BGB auch die Anwendung von Gewalt erlaubt und hat somit irrig eine Rechtswidrigkeit angenommen, die es hier nicht gibt.

      JURIQ-Klausurtipp

      Eine solche Fehlvorstellung würden Sie bei der Prüfung des vollendeten Delikts ansprechen, indem Sie danach fragen, ob A mit Verteidigungswillen gehandelt hat, was zu bejahen ist. In diesem Zusammenhang können Sie dann direkt darauf hinweisen, dass ein strafloses Wahndelikt vorliegt.

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      Schwierig und damit klausurrelevant ist die Abgrenzung zwischen strafbarem untauglichen Versuch und straflosem Wahndelikt bei einem Irrtum über die normativen Tatbestandsmerkmale. Bei diesen Tatbestandsmerkmalen muss der Täter nicht nur Sachverhaltskenntnis, sondern auch Bedeutungskenntnis haben, d.h. er muss das wertungsausfüllungsbedürftige Merkmal als juristischer Laie richtig erfasst haben.

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      Damit kommen wir zur dritten möglichen Konstellation:

      Spätestens jetzt sollten Sie das Kapitel „subjektiver Tatbestand“ und dort das Thema „Abgrenzung Tatbestandsirrtum – Subsumtionsirrtum“ wiederholen.

Umgekehrter Subsumtionsirrtum: Der Täter hat die volle Tatsachen- und Bedeutungskenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale, verkennt jedoch infolge falscher Auslegung den Sinngehalt der Norm und überdehnt den Anwendungsbereich zu seinen Ungunsten (normaler Subsumtionsirrtum: der Täter hat volle Tatsachen- und Bedeutungskenntnis, verengt den Tatbestand jedoch zu seinen Gunsten).

      Beispiel

      A verursacht mitten in der Nacht bei -20°C einen Unfall, indem er auf ein stehendes Fahrzeug auffährt. Nachdem er die ganze Nacht am Unfallort ausgeharrt hat, entfernt er sich nach 12 Stunden und begibt sich sofort zur Polizeiwache, um seine Personalien feststellen zu lassen. Dort gibt er an, dass er sich der Unfallflucht nach § 142 strafbar gemacht habe, weil er nicht bis zum Eintreffen des Geschädigten am Unfallort gewartet habe.

      Hier hat A gewusst, dass er als Unfallbeteiligter am Unfallort wartepflichtig ist. Er hat jedoch zu seinen Ungunsten die Wartepflicht zeitlich überdehnt. Durch das Entfernen vom Unfallort nach mehrstündigem Warten und das Aufsuchen der Polizeidienststelle hat A sich keinesfalls strafbar gemacht, da ihm aufgrund der Witterungsumstände schon nicht zuzumuten war, länger als eine halbe Stunde am Unfallort auszuharren. Sie würden den objektiven Tatbestand des § 142 Abs. 1 aus diesem Grund verneinen. Auch eine Strafbarkeit gem. Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da A unverzüglich die Feststellungen nachholte.

      JURIQ-Klausurtipp

      Diese Abgrenzungsproblematik ist beim Tatentschluss zu diskutieren. Fraglich wird nämlich regelmäßig sein, ob der Tatentschluss auf die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandes gerichtet war.

      Beispiel

      Fraglich ist, ob A sich wegen Prozessbetruges nach § 263 strafbar gemacht hat. Durch das Einreichen der manipulierten Behandlungsunterlagen hat er eine Täuschung begangen, die wahrscheinlich auch zu einem Irrtum des Richters führte. Dieser Irrtum führte dann allerdings nicht zum klageabweisenden Urteil, da der Anspruch der P aufgrund der fehlenden Kausalität zwischen der Behandlung durch A und der eingetretenen Verletzung abgewiesen wurde. Damit bestand nie ein Anspruch der P, so dass diese durch Aberkennung des Anspruchs auch keinen Schaden erlitt.

      In der Klausur müssten Sie nun danach fragen, ob A sich wegen versuchten Betruges gem. §§ 263 Abs. 1 und 2, 22, 23 Abs. 1 strafbar gemacht haben könnte.

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      In Literatur und Rechtsprechung werden zur Abgrenzung verschiedene Lösungsansätze vertreten.

Die Lehre vom Umkehrschluss

      Insbesondere der BGH greift zur Abgrenzung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt auf die Abgrenzung zwischen Tatbestandsirrtum und Subsumtionsirrtum zurück. Die dortigen Prinzipien werden im Wege eines Umkehrschlusses entsprechend übertragen.

      Konkret wird also wie bei der Abgrenzung danach gefragt, ob der Täter als juristischer Laie die Norm bzw. das Tatbestandsmerkmal richtig verstanden hat. Liegt dieses Verständnis vor, wird ein untauglicher Versuch angenommen.

Die Lehre von der versuchsbegründenden Wirkung jedes Vorfeldirrtums
Die Lehre von der Straflosigkeit aller selbstbelastenden Rechtsirrtümer