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Schließlich kann ausgehend von der grundsätzlichen Straflosigkeit der bloßen Gebrauchsanmaßung, die derzeit nur in Ausnahmefällen unter Strafe gestellt ist, stets die Frage gestellt werden, ob nicht aufgrund des Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse Gegenstände existieren, die aufgrund ihrer Bedeutung ebenfalls den Status einer Ausnahme der ansonsten straflosen Gebrauchsanmaßung verdienen. Vor dem Hintergrund des § 248b StGB, der bei Fahrzeugen als Inbegriff der Mobilität auch den furtum usus unter Strafe stellt, könnte man beispielsweise auf den Gedanken kommen, dass in aktueller Zeit das Smartphone eine ebenfalls vergleichbar wichtige Funktion für einzelne Personen erfüllen kann, dass selbst die Verhinderung des Zugriffs nur für eine begrenzte Zeit, ohne dass der Täter den Gegenstand sich oder einem Dritten zuzueignen möchte, bereits eine Strafandrohung verdient.
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 29 Diebstahl und Unterschlagung › D. Internationalisierung und Rechtsvergleich
D. Internationalisierung und Rechtsvergleich
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Beim Diebstahl handelt es sich um ein Delikt, dessen ubiquitäre Strafbarkeit bis ins Rechtsaltertum zurückreicht und letztlich bereits im Dekalog genannt ist. Es findet sich – soweit ersichtlich – in allen bekannten, auch sozialistischen oder kommunistischen Rechtsordnungen und gehört zum Kernbereich des Strafrechts (vgl. bereits einleitend Rn. 1). Bereits infolge seiner religiösen bzw. (sozial-)ethischen Verankerung und des Umstands, dass es traditionell ausgesprochen keine Ausnahmen zulässt, ergibt sich, dass es stärker ist als andere Verbote.[544]
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Insofern gibt es in diesem Bereich für den Diebstahl als einem „archetypischen Delikt“ keine wichtigen internationalen Vorgaben. Gleichwohl bestehen in Details unterschiedliche Ausgestaltungen. So zeigt eine Rechtsvergleichung, dass es durchaus vielfältige Regelungsmodelle gibt, von denen aber keines rechts- oder sachlogisch, naturrechtlich oder der Natur der Sache nach schlechterdings zwingend erscheint.[545] Dies gilt etwa für die Tathandlung, die traditionell als Wegnahme oder Nehmen und Wegschaffen, aber teilweise auch als Aneignung oder Erlangung von (Eigen-)Besitz, Gewahrsam, Herrschaft, Kontrolle oder Gebrauch aufgefasst wird. Ebenso besteht kein rechts- oder sachlogisches Hindernis, unbewegliche Sachen oder Nicht-Sachen wie Vermögensrechte ebenfalls als Tatobjekte des Diebstahls zuzulassen oder beispielsweise auch die Wegnahme einer verpfändeten Sache bei Pfandreife oder die Veräußerung einer zur Sicherung übereigneten Sache nach Wegfall des Sicherungszwecks als Diebstahl bzw. Unterschlagung zu behandeln.
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Die deutsche, aber auch die französische und spanische Rechtsordnung unterscheiden tendenziell streng zwischen Eigentums- und Vermögensstrafrecht sowie Zueignung und Bereicherung, behandeln Diebstahl als primäres, Unterschlagung lediglich als sekundäres Delikt und nehmen ggf. bestehende Wertungswidersprüche, aber auch Lücken und den theoretischen und praktischen Aufwand der Abgrenzung zwischen den verschiedenen traditionellen Delikten hin. Eher reformorientierte Rechtsordnungen hingegen, wie etwa die englische, die amerikanische, aber auch seit 1994 die schweizerische und in Teilen auch die österreichische, weisen eine Tendenz zur Modernisierung des (traditionellen) Eigentumsstrafrechts durch dessen Annäherung an das (moderne) Vermögensstrafrecht auf. Dies geschieht teils unmittelbar durch die Erstreckung des Kreises der tauglichen Diebstahls- und Unterschlagungsobjekte auf alles mit wirtschaftlichem Wert (und damit zugleich eine Begrenzung hinsichtlich wertloser Dinge), wie etwa im englischen und amerikanischen Recht. Teils aber auch mittelbar, indem wie im österreichischen und schweizerischen Recht eine Bereicherungsabsicht des Diebes bzw. Täters einer Unterschlagung verlangt wird. Gleichzeitig tendieren diese Rechtsordnungen dazu, den Diebstahl zu relativieren und den jüngeren Unterschlagungstatbestand aufzuwerten, teils durch dessen Behandlung als Grundtatbestand (Schweiz), teils durch die Bildung eines Einheitstatbestandes aus beiden (englisches und amerikanisches Recht).[546]
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Allgemein lässt sich sagen, dass es bei Sach- und Grenzfragen des Eigentumsstrafrechts aus rechtsvergleichender Perspektive weniger Unterschiede gibt, als man erwarten könnte. Zudem wirft die Masse der vorkommenden Taten – soweit ersichtlich – in keiner Rechtsordnung nennenswerte Rechtsfragen auf. Praktisch wirksame Unterschiede werden durch unterschiedliches Rechtsfolgen- und Strafzumessungsrecht, vor allem aber durch das unterschiedliche prozessrechtliche und -praktische Umfeld begründet.
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 29 Diebstahl und Unterschlagung › E. Bezüge zum Strafverfahrensrecht
E. Bezüge zum Strafverfahrensrecht
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Hinsichtlich der Verjährung gilt, dass der einfache Diebstahl gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB nach fünf Jahren,[547] die Taten nach §§ 244 oder 244a StGB gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB nach zehn Jahren verjähren. Die Unterschlagung verjährt sowohl nach Abs. 1 als auch nach Abs. 2 gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB in fünf Jahren.[548] Maßgeblicher Zeitpunkt des Verjährungsfristbeginns ist gemäß § 78a S. 1 StGB die Beendigung der Tat, also der Zeitpunkt der endgültigen Beutesicherung. Ein Strafantrag ist nach den §§ 77 ff. StGB wie oben gesagt in den Fällen des Diebstahls geringwertiger Sachen nach § 248a StGB sowie beim Haus- und Familiendiebstahl nach § 247 StGB und dem unbefugten Gebrauch eines Fahrzeugs nach § 248b StGB nötig. Eine Ausnahme hierzu bildet § 248a StGB („relatives Antragsdelikt“), bei dem ein Antrag bei einer Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung entbehrlich ist.
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Eine Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation darf nach § 100a Abs. 2 Nr. 1j StPO nur angeordnet werden, wenn der Täter in Verdacht steht, eine Tat nach § 244 oder § 244a StGB begangen zu haben.
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Die Einstellung aus Opportunitätsgründen nach § 153 oder § 153a StPO entfaltet beim einfachen Diebstahl in der Praxis eine hohe Bedeutung. Geschätzt findet nur bei einem Viertel aller aufgeklärten Diebstähle (auch unter erschwerten Umständen) eine Verurteilung statt.[549] Ein Beispiel für diese hohe Bedeutung bildet z.B. ein seit 1999 in Sachsen verfolgtes Modell zur verbesserten Verfolgung von Ladendiebstählen, bei dem die Polizei bei Ersttätern und Gegenstandswerten bis etwa 50 Euro Einstellungen nach § 153a StPO vorbereitet und diese bei der StA anregt.[550] Die Strafhöhe für einen Ersttäter eines einfachen Diebstahls mit einem Gegenstandswert bis zu etwa 50 Euro bewegt sich – vorausgesetzt es erfolgt keine Einstellung nach § 153 StPO und es liegen keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, die eine Anwendung des § 59 StGB rechtfertigen – zwischen 20 und 60 Tagessätzen Geldstrafe. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten oder mehr ohne Bewährung erfolgt bei einem einfachen Diebstahl wenn überhaupt bei Wiederholungstätern oder Bewährungsbrechern.[551]
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Zwar folgt aus der Geringwertigkeit der gestohlenen Sache nicht zwingend eine Unverhältnismäßigkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe,[552] jedoch ist es unzulässig eine über die Mindeststrafe von einem Monat hinausgehende Strafe zu verhängen,[553] wenn der Wert der Beute unter einem Drittel der Geringwertigkeitsgrenze liegt. Auch wird keine Regelvermutung hinsichtlich der charakterlichen Unzuverlässigkeit i.S.v. § 69 Abs. 2 StGB allein dadurch begründet, dass beim Diebstahl ein KfZ benutzt wurde.[554]
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