Im Übrigen widmet sich die Richtlinie vor allem der Verwaltungsvereinfachung (Schaffung einheitlicher Ansprechpartner, elektronische Abwicklung, Informationsrechte, Kriterien für Genehmigungsregelungen, Wegfall von Pflichtmitgliedschaften) und der Verwaltungszusammenarbeit (insbesondere Amtshilfe). Darüber hinaus widmet die Dienstleistungsrichtlinie eine Reihe von Bestimmungen der Qualität von Dienstleistungen und der Schaffung von Verhaltenskodizes durch Berufsverbände und -organisationen.
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Die Kehrseite der Rechtsangleichung ist eine entsprechende Zentralisierung der Gesetzgebung. Eine Änderung des angeglichenen Rechts ist nur noch auf Unionsebene möglich. Aus diesem Grunde lassen sich gegen die Rechtsangleichung auch Bedenken geltend machen. Sie gründen sich vor allem auf dem Gedanken des Systemwettbewerbs. Sofern die Unionsbürger bzw. die Unternehmen die Möglichkeit haben, sich durch Wanderungsbewegungen einer bestimmten mitgliedstaatlichen Regelung zu entziehen und sich stattdessen der Regelung eines anderen Mitgliedstaates zu unterstellen, kann man von einem Regulierungswettbewerb unter den Mitgliedstaaten sprechen:[105] Solche Wanderungsbewegungen können etwa in Gestalt von Produktionsverlagerungen, von grenzüberschreitender Migration oder von grenzüberschreitendem Ex- und Import von Gütern bzw. Leistungen auftreten. In all diesen Fällen bringen die Beteiligten ihre Präferenz für ein bestimmtes nationales Regelungssystem zum Ausdruck. Der Gedanke des Systemwettbewerbs besagt, dass sich aufgrund solcher grenzüberschreitenden Wanderungsbewegungen im Laufe der Zeit herausstellen wird, welches das aus Sicht der Beteiligten „beste“ Regelungssystem ist. Sofern die nationalen Gesetzgeber auf diesen Wettbewerb durch entsprechende Anpassungen ihrer Gesetze reagieren, kann es tendenziell zu einer Rechtsangleichung „von unten“ kommen. Manche halten diesen Weg gegenüber der im AEUV vorgesehenen Rechtsangleichung „von oben“ (durch Unionsgesetzgebung) für überlegen. Allerdings ist die Funktionsfähigkeit eines solchen Systemwettbewerbs an eine ganze Reihe von Voraussetzungen gebunden, die nur in sehr begrenztem Maße erfüllt sind. Sie betreffen insbesondere die Mobilität der Normadressaten und die Reaktionsbereitschaft und -fähigkeit der Gesetzgeber. Immerhin mahnt der Gedanke des Systemwettbewerbs zur Behutsamkeit bei der Rechtsangleichung durch den Unionsgesetzgeber. Sie beseitigt diesen Wettbewerb schon im Ansatz und damit auch die entsprechende Flexibilität künftiger Gesetzgebung.
Anmerkungen
Siehe dazu vor allem Europäische Kommission Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat (1985); dies. Aktionsplan für den Binnenmarkt, Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat, KOM (1997) endg. vom 12.6.1997; dies. Die Strategie für den europäischen Binnenmarkt, Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat (1999).
Siehe dazu etwa Behrens Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten, EuR 1992, 145.
Dies gilt insbesondere für die Kapitalverkehrsfreiheit (dazu im Folgenden).
Grundlegend EuGH Rs. C-26/62 (Van Gend en Loos), Slg. 1963, 1, 24 ff.
Grundlegend EuGH Rs. C-6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251, 1270.
EuGH Rs. C-17/68 (Kommission / Italien), Slg. 1968, 633, 642.
EuGH Rs. C-2 und 3/69 (Diamantarbeiders), Slg. 1969, 211, Rn. 20/21.
EuGH Rs. C-340/87 (Kommission/Italien), Slg. 1089, 1483, Rn. 15; EuGH Rs. C-132/78 (Denkavit), Slg. 1979, 1923, Rn. 7 ff.
EuGH Rs. C-314/82 (Kommission/Belgien), Slg. 1984, 1543, Rn. 11 ff.
Grundlegend EuGH Rs. C-24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 8/9; sowie Rs. C-2 und 3/69 (Diamantarbeiders), Slg. 1969, 211, Rn. 15/18.
EuGH Rs. C-77/72 (Capolongo), Slg. 1973, 611, Rn. 12; EuGH Rs. C-94/74 (IGAV/ENCC), Slg. 1975, 699, Rn. 10/13.
Vgl. EuGH Rs. C-63/74 (Cadsky), Slg. 1975, 281, Rn. 3/5.
EuGH C-29/72 (Marimex), Slg. 1972, 1309, Rn. 3–5.
EuGH C-46/76 (Bauhuis), Slg. 1977, 5, Rn. 12/15.
Das ist aufgrund des Weißbuchs der Kommission von 1985 (siehe Fn. 1) zum 1.1.1993 geschehen.
Vgl. EuGH Rs. C-193/85 (Cooperativa Co-Frutta), Slg. 1987, 2085, Rn. 8; EuGH Rs. C-90/94 (Haahr Petroleum), Slg. 1997 I-4085, Rn. 20.
EuGH Rs. C-142/77 (Statens Control), Slg. 1978, 1543, Rn. 21/27.