st.Rspr. zu NS-Taten).
e) 1981 hat schließlich der Gr.Sen. für die Heimtücke unter Berufung auf den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit bei außergewöhnlichen Umständen, aufgrund welcher eine lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheint, eine analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 zugelassen (BGH 30, 105). Mit dieser krampfhaft originellen „Rechtsfolgenlösung“ streift die Rechtsprechung jede Bindung an das Gesetz ab, ersetzt die Dreistufigkeit der Tötungsdelikte durch eine Vierstufigkeit, löst das Problem nur unvollständig und schafft eine noch größere Unbestimmtheit, als sie dies den bisher vertretenen Auffassungen vorwirft[51]. Der BGH wird inzwischen die Geister, die er gerufen hat, nicht mehr los (s. näher u. Rn. 46).
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f) Keine dieser Auffassungen kann befriedigen. Es muss daher ein Ausweg gesucht werden, der sowohl dem Anliegen der Wissenschaft (gerechte Entscheidung im Einzelfall) als auch dem der Rechtsprechung (Wahrung der Rechtssicherheit) nachkommt. Dies führt zu einer Differenzierung.
aa) Soweit in der konkreten Handlung Mordmerkmale mit benannten Strafmilderungsgründen zusammentreffen (§§ 213 1. Alt., 216), ergibt sich die zutreffende Lösung aus der Tatsache, dass es sich bei ihnen um benannte Privilegierungen gegenüber dem § 212 handelt, die auch gegenüber der Qualifikation des § 212, nämlich dem § 211, die Sperrwirkung des milderen Tatbestandes ausüben, die unter „kommunizierenden Tatbeständen“ in Lehre und Rechtsprechung anerkannt ist, wobei die Streitfrage, ob diese Privilegierungen unselbstständige Abwandlungen des § 212 oder eigenständige Delikte sind, hier keine Rolle spielt. Es ist z.B. außer Streit, dass ein Haus- oder Familiendiebstahl (§ 247) stets nur auf Antrag verfolgbar ist, auch wenn unter den Voraussetzungen des § 244 begangen. Das für die verwandten Tatbestände §§ 242, 243–244–247, 248a bestehende Verhältnis gilt auch für das Verhältnis der §§ 212–211–216 und 213 1. Alt. (Affekttotschlag). Im Ergebnis schließt das Vorliegen eines nach diesen Strafdrohungen entlastend wirkenden Tatumstandes die qualifizierende Wirkung der in § 211 aufgeführten Tatbestandsmerkmale bedingungslos und schlechthin aus. Der Ausschluss vollzieht sich nach Konkurrenzgesichtspunkten und unter Beschränkung auf die Tat; einer Persönlichkeitsforschung bedarf es ebenso wenig wie einer Gesamtwürdigung der Verwerflichkeit der Tat. Daher haftet der Affekttotschläger (§ 213 1. Alt.) nach dem privilegierten Tatbestand auch bei besonders grausamer Tatbegehung, der auf Verlangen Tötende kann sich auf § 216 selbst dann berufen, wenn er gemeingefährliche Mittel anwendet[52].
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bb) Die Sperrwirkung des milderen Tatbestandes versagt aber bei § 213 2. Alt., da es sich bei den sonstigen minder schweren Fällen nicht um einen besonderen Tatbestand, sondern um eine bloße Strafzumessungsregel handelt. Hier bleibt das Problem in voller Schärfe bestehen: soll trotz der Exklusivfassung des § 211 ein minder schwerer Fall des Totschlags möglich sein (so im Ergebnis aufgrund der „Verwerflichkeitsklausel“ die Wissenschaft) oder kommt im Falle der Konkurrenz der Mordmerkmale mit einem sonstigen „minder schweren Fall“ gleichwohl nur § 211 zum Zuge? Hier kommt es darauf an, ob die belastenden (§ 211) und entlastenden (§ 213) Umstände in einem solchen Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen, dass der eine den anderen ausschließt; ist dies der Fall, so ist nach dem Privilegierungstatbestand zu verurteilen. Durch einschränkende Auslegung der Mordmerkmale kommt die Rechtsprechung weitgehend zu gleichen Ergebnissen (BGH 9, 389). Daher trotz heimlicher Handlung keine „Heimtücke“, wenn der Täter das Opfer aus Mitleid tötete; in der Regel auch kein heimtückisches Handeln, wenn der Täter von entschuldbarer heftiger Gemütsbewegung ergriffen war (abw. BGH – Gr.Sen. – 11, 139). Ebenso neutralisiert das Mitleidsmotiv das Tatbestandsmerkmal der „grausamen“ Begehungsweise. Dagegen liegt keine Exklusivität der belastenden und entlastenden Umstände vor, wenn der Täter aus sittlicher Überzeugung tötet und die Tat mit gemeingefährlichen Mitteln begeht: hier Haftung nach § 211 (zust. Laber MDR 89, 861 ff.).
Anmerkungen
RG 76, 297; 77, 43; Nagler DRW 42, 151; Schlosky DStrR 43, 141. Dazu Frommel JZ 80, 559.
Arzt ZStW 83, 1; Rüping JZ 79, 167; Eser DJT-Gutachten 173.
Näher Schroeder JuS 84, 275; s. aber für die subjektiven Merkmale u. Rn. 30. S.a. Müssig aaO 427 ff.: Alleinverantwortung des Täters im Gegensatz zu einer Mitverantwortung des Opfers (unter Ausklammerung der Merkmale „grausam“ und „mit gemeingefährlichen Mitteln“).
BGH 1, 370; Rosenau LK Vor § 211 132; für Schuldmerkmale Lange VII; Engisch GA 55, 166; Sauer 260; für Doppelnatur Paeffgen GA 82, 255; für unterschiedliche Natur Schmidhäuser 2/9.
Nach Grasberger MschrKrim 99, 147 ff. erfassen sogar sämtliche Mordmerkmale gerade eine geringere Schuld! Dabei wird das Mitgefühl mit dem Täter allerdings teilweise übertrieben (z.B. Heimtücke als notwendiges Hilfsmittel des körperlich Schwächeren). – Mitsch JZ 08, 336 hält § 211 StGB wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für verfassungswidrig.
Früher von der Rechtsprechung geteilt: RG 76, 299; RG HRR 1942 Nr. 608.
Schwalm aaO; Bockelmann ZStW 74, 307.
Welzel § 38 II 2; Eser/Sternberg-Lieben S/S 10; Eb. Schmidt DRZ 49, 242; Lange IV und GS Schröder 217; Busch aaO 295; Blei II § 6 II; Stratenwerth FS H.v.Weber 171. Einschränkend Rieß NJW 68, 628.
So Woesner NJW 78, 1027; Geilen FS Bockelmann 1979, 646. In Anknüpfung an BGH 27, 346 Köhler GA 80, 121 und z.T. auch M.-K. Meyer JR 79, 488.
OGH 1, 81; KG NJW 50, 237; BGH 3, 186; BGH GA 71, 155; Stock SJZ 47, 532; Jagusch SJZ 49, 325; Schwalm MDR 58, 396.
Timpe NStZ 89, 70; Wolters Jus 90, 23; Mitsch JuS 96, 216; Fischer NStZ 96, 419. Wie der BGH jedoch schon Groth aaO.
Hanack 46. DJT 1967, Verhandl. II C 53; LG Hamburg NJW 76, 1756 m.Anm. Hanack.
Lackner NStZ 81, 348; Eser NStZ 81, 384; Bruns