sind. Hier gibt es zwei entgegengesetzte Ausgangspunkte. Der extrem liberale Staat sieht auch im Königsmörder nur den politischen Gegner, der zwar unschädlich gemacht werden muss, aber nicht diffamiert werden darf („Hut ab vor dem Franctireur bis zur letzten Galgensprosse!“), denn der politische Gegner handelt aus einer Überzeugung, die zwar irregeleitet sein mag, dem Staat aber nicht das Recht gibt, die Beweggründe als niedrig abzutun. Anders der autoritäre Staat, der in der Vergottung seiner Organisation den Attentäter nicht als Gegner, sondern als minderwertigen Schädling betrachtet und ihm daher ohne Weiteres niedrige Beweggründe unterstellt.
Die Diskussion dieser Frage in der Gegenwart steht verständlicherweise unter dem Eindruck des Wechsels von einem Tyrannenregime zu einer Demokratie. So erklärt es sich, dass sich nach dem Zusammenbruch von 1945 die Auffassung herausbildete, die politische Tötung von „Systemschädlingen“ unter dem Nationalsozialismus als schlechthin niedrig motiviert, den „Tyrannenmord“ (20.7.1944) als ethisch hochstehend und jeden Angriff auf politische Gegner im heutigen Staat wiederum als moralisch minderwertig zu betrachten[89], weil es in einer Demokratie andere Mittel zur Ausschaltung politischer Gegner gibt als den Tod. Maßstab darf aber weder der Staat von gestern oder heute sein noch die daraus folgende personelle Differenzierung des Gegners, je nachdem, ob „der Feind rechts oder links steht“. Von diesem Standpunkt aus ist die Herstellung eines allgemeingültigen Verhältnisses zwischen politischem und niedrigem Motiv nicht möglich. Dies hat auch die Rechtsprechung zutreffend erkannt: weder schließt die politische Tötung die Möglichkeit niedriger Motive aus, noch zwingt sie zu deren Bejahung (OLG Frankfurt SJZ 47, 692; OGH 2, 179). Entscheidend ist stets der Einzelfall (zust. Eser/Sternberg-Lieben S/S 20; Zielke JR 91, 136, 230), und zwar in erster Linie das Verhältnis zwischen der Tat und dem vom Täter für sich persönlich erstrebten Zweck: die Tat ist im Zweifel verwerflich bei persönlichem Machtstreben, bei Beseitigung eines dem Täter persönlich verhassten politischen Gegners, eines anderen als Repräsentanten einer abgelehnten politischen, sozialen oder ethnischen Gruppe (BGH NStZ 04, 89); nicht verwerflich ist sie im Zweifel bei der vermeintlichen Wahrung allgemeiner Interessen (OGH 1, 95)[90], zumal wenn der Täter zur Selbstaufopferung bereit ist (vgl. den Gegenfall OGH NJW 50, 434). BGH NStZ 93, 342 sieht die „Protesthaltung“ gegen die Startbahn West nicht als niedrigen Beweggrund an[91]. Der Terrorismus beruht auf niedrigen Beweggründen, sofern ein fremdes Menschenleben benutzt wird, um eigene politische Ziele zu demonstrieren oder andere von der Verfolgung ihrer politischen Ziele abzuschrecken[92].
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cc) In den zahlreichen Strafprozessen, die in neuester Zeit gegen die an gezielten Massenvernichtungsaktionen besonders in den Konzentrationslagern Beteiligten durchgeführt wurden, wurde meist Mord bzw. Mordbeihilfe wegen niedriger Beweggründe angenommen. Niedriger Beweggrund ist nicht nur der Rassenhass, sondern auch dessen Ausnutzung zu persönlichem Vorteil (OGH 2, 180; BGH NJW 94, 395; s.a. BGH 22, 375). Wenig überzeugend erscheint dagegen die Annahme eines niedrigen Beweggrundes, weil der Täter sich zum Herrn über Leben oder Tod aufgeworfen habe[93], denn dies ist das Wesen jeder Tötung[94]. Auch die Heranziehung der Erwartung der Straflosigkeit (BGH 18, 37) verkehrt die Aufhebung der motivierenden Kraft der Strafdrohung und die Bedenken wegen des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ ins Gegenteil. Überzeugender erschiene die Anknüpfung an die Nichtigkeit oder gar das Fehlen des Anlasses (s.o. Rn. 37)[95] und bei fehlendem oder offensichtlich vorgeschobenem Anlass die Annahme von Mordlust (s.o. Rn. 31).
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f) Im Vorhergehenden wurden die tatcharakterisierenden Motive und Absichten des Täters als echte Merkmale des subjektiven Tatbestandes bezeichnet[96]. Hieraus folgt, dass sie nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sie in das Bewusstsein des Täters getreten sind[97]. Unbewusste Strebungen sind nicht Motive, sondern Triebe. Sie können zwar zur Abrundung des Persönlichkeitsbildes des Täters beitragen, sofern dieses, z.B. als „Gefährlichkeit“ und damit als Voraussetzung etwaiger Sicherungsmaßnahmen, relevant wird. Zur Bildung des subjektiven Tatbestandes – vollends zur Konstituierung des Schuldurteils – sind sie aber nicht zuzulassen. Mit Recht hat daher die Judikatur dieses Bewusstsein auf den Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht der Planung bezogen (BGH 6, 331)[98]. Es kann vor allem bei Spontantaten fehlen (BGH StV 84, 72, 465). Damit ist aber das Äußerste dessen erreicht, was auf der Täterseite verlangt werden kann; eine „allgemeine Persönlichkeitswürdigung“ nach der Seite einer habituellen Täterkonstitution darf auch hier keine Rolle spielen (differenzierend BGH 3, 330; wie hier Eser/Sternberg-Lieben S/S 12, 38).
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Das gleiche gilt, wenn – wie es in der Motivation fast die Regel ist – mehrere Motive zur Tat hindrängen („Motivbündelung“ oder „psychisches Kausalbündel“ nach Kretschmer): infolge triebhaften Hasses gegen einen anderen bildet sich beim Täter die Überzeugung, dass sein Gegner als Schädling der Gesellschaft ausgemerzt werden müsse. Hier kann häufig beobachtet werden, dass das ethisch höhere Motiv die Tendenz zeigt, den niedrigen Beweggrund zu verdrängen[99]. Nur das Erstere tritt dann in dem zur Tat führenden Motivationsprozess in das Bewusstsein des Täters. Daher ist auch nur das Erstere für die Wertung der Tat heranzuziehen. Für die Vertreter der Willensschuld folgt dies aus der Schuldstruktur; aber auch vom hier vertretenen Standpunkt aus kann nur ein bewusstseinsdominantes Motiv zur Bildung des subjektiven Tatbestandes dienen[100]. Bei den niedrigen Beweggründen stellt die Rechtsprechung von vornherein auf das Hauptmotiv und die Motive ab, die der Tat das Gepräge gegeben haben[101]. Zu Fernzielen (Schutz der Ehe) LG Passau NStZ 05, 101 m. Anm. Schneider.
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Während die Rechtsprechung für die niedrigen Beweggründe früher ausreichen ließ, dass der Täter die tatsächlichen Umstände kannte, die den Beweggrund als niedrig erscheinen lassen, verlangt sie nunmehr zusätzlich, dass der Täter die Bedeutung seiner Beweggründe für die Bewertung der Tat in dem Sinne erfasst hat, dass er zu einer entsprechenden Wertung fähig ist (ohne diese selbst vorgenommen haben zu müssen) und ggf. gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann[102]. Hier werden allerdings Gesichtspunkte der Schuldfähigkeit in den Vorsatz hineingezogen und damit die biologischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 überspielt[103].
Anmerkungen
BGH 23, 40 und Maurach JuS 69, 255.
Nach BGH StV 97, 566 soll dies auch für das Merkmal „grausam“ gelten.
Otto § 4 II 1; Staiger bei Jescheck/Triffterer 184; Rüping JZ 79, 620; Sinn SK 9.
Schroeder JuS 84, 277; BGH 34, 59; 47, 133 NStZ 94, 239 (hierzu Grotendiek/Gröbel NStZ 03, 118); 06, 166; 07, 522 (zwei schreckliche Taten; trotzdem Entlastungsgründe bei Eisenberg/Schmitz NStZ 08, 95); Müssig aaO 262 f.
Eser/Sternber-Lieben S/S 16. Kritisch zu dem Merkmal aus psychologischer Sicht Schorsch in Jäger/Schorsch (Hrsg.), Sexualwissenschaft und Strafrecht, 1987, 117 ff.
Fall