betrachtet, kommt zu unhaltbaren Ergebnissen: bei irriger Annahme einer Straftat trotz Tötung nur Versuch des § 211. Umgekehrt entfällt der Tatbestand, wenn der Täter die Tat nicht für strafbar hält (NStZ 98, 353) oder es dem Täter nicht auf den strafbaren Gehalt ankam[69]. Von praktischer Bedeutung sind Tötungen zur Ermöglichung der Wegnahme oder Unterschlagung einer Sache („Raubmord“, vgl. u. § 35 Rn. 36 ff.), Tötungen zur Beseitigung von Tatzeugen, darunter auch verletzten Verkehrsopfern (BGH VRS 23, 207), aber auch Tötungen zum Zweck eines Versicherungsbetrugs (BGH 46, 80), beschimpfenden Unfugs an der Leiche oder der Verbreitung von Videos der Tötung (BGH 50, 80, 88 – „Kannibale von Rotenburg“, s.o. Fn. 151).
Obwohl mit dem Wortlaut schwer vereinbar, bejaht die Rechtsprechung die Verdeckungsabsicht auch, wenn der Täter nicht die Straftat, sondern nur seine Täterschaft verdecken wollte (BGH NJW 52, 431; 15, 295; GA 79, 108; NStZ-RR 99, 235) oder wenn die bisherigen Zeugen nicht ausreichen (BGH 50, 11 m. Anm. Steinberg JR 07, 293).
cc) Zur Verdeckung: Nicht verlangt wird die Befürchtung unmittelbarer Entdeckung. Daher genügt die Befürchtung des Täters, dass das Opfer (z.B. das geschlechtlich missbrauchte Kind) durch Schreien oder auf andere Weise, beabsichtigt oder unbeabsichtigt die Aufmerksamkeit Dritter erregen könnte (BGH GA 62, 143). Dabei kann die zu verdeckende Tat der Tötung nachfolgen, ohne dass zugleich eine Ermöglichungsabsicht vorliegt. Nicht erforderlich ist eine Absicht der Verdeckung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden; die Absicht der Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen (z.B. Abjagen der Beute, Reaktion des Opfers nach Entdeckung einer Täuschung) reicht aus[70]. Die Absicht der Ermöglichung der Flucht reicht, sofern der Täter entdeckt ist, nicht aus (BGH NStZ 96, 166).
dd) Ein Verdeckungsmord kann auch durch Unterlassen erfolgen[71]. Allerdings ist eine vorausgegangene vorsätzliche Tötungshandlung keine „andere Straftat“ (s.u. ee).
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ee) Während die Rechtsprechung früher als „andere“ Straftat auch eine der Tötungshandlung unmittelbar vorausgegangene und daher in natürlicher Handlungseinheit mit ihr stehende Tat genügen ließ (BGH 7, 327), schloss der 2. Strafsenat des BGH auf Anregung von BVerfGE 45, 267 zunächst das Merkmal aus, wenn der Täter im Verlauf einer unerwarteten tätlichen Auseinandersetzung unmittelbar, „ohne Zäsur“ vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergeht[72]. Indessen haben die übrigen Senate diesen Grundsatz erheblich eingeschränkt, nämlich wenn sich der Täter bereits in rechtsfeindlicher (!) Gesinnung in die Situation begeben hatte, wenn die Ausgangstat ein anderes Rechtsgut betraf oder mitbetraf (z.B. Raub oder Nötigung) und wenn der Täter zwischen Körperverletzung und Tötung das Geschehen kurz überdacht oder das Opfer zunächst vom Gang zur Polizei abzuhalten versucht hat (!); sie haben überdies den vom 2. Senat aufgestellten Grundsatz in Zweifel gezogen[73]. In BGH 35, 116 hat ihn der 2. Senat selbst aufgegeben, den Weg zur Einschränkung der Verdeckungsabsicht aber offengelassen[74]. BGH NJW 90, 2758 lehnt jedoch wieder bei – zäsurloser – Tötung zur Verdeckung eines Tötungsversuchs mit bedingtem Vorsatz eine „andere“ Straftat ab[75]. Nach einer vorsätzlichen Tötungshandlung führt der Täter sogar bei einer Zäsur „lediglich die ursprünglich gewollte Tat fort“[76]. In diesem Rahmen kann eine Tötung gleichzeitig die Ermöglichung (der Vollendung) einer Straftat wie die Verdeckung ihres Versuchs beabsichtigen (OGH 2, 19).
ff) Die Absicht der Verdeckung einer nicht strafbaren Tat oder der gleichen Tat sowie die Absicht der Entziehung vor einer Verurteilung können als „sonstiger niedriger Beweggrund“ gewertet werden[77].
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Dass der Täter in Bezug auf den Todeserfolg nur mit bedingtem Vorsatz handelt, schließt eine Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht nicht aus, sondern ist sogar häufig[78], insbesondere bei primärer Erkennungsverhinderungs- (BGH 15, 291) oder Spurenbeseitigungsabsicht (BGH 41, 358). Bedingter Tötungsvorsatz reicht aber dann nicht aus, wenn die Verdeckung der Straftat nach der Vorstellung des Täters nur durch den Tod des Opfers erreicht werden kann[79]. Zweifelhaft war dagegen die Entscheidung BGH 7, 287: § 211 nicht anwendbar, wenn der Täter den von ihm auf der Autobahn lebensgefährlich Überfahrenen in der Voraussicht verlässt, dass ohne Hilfeleistung dessen Tod eintreten würde. Der nach geltendem Recht unbeachtliche Unterschied zwischen positivem Tun und Unterlassen wird hier in einen der grundsätzlichen Anerkennung des dolus eventualis widersprechenden Unterschied zwischen Mittel und Folge der Verdeckung umgedeutet[80]. Aus dem gleichen Grund verfehlt BGH 23, 194: Ablehnung des § 211, weil der Tod nur als in Kauf genommene Folge der auf die Betäubung des Opfers gerichteten Handlung eingetreten sei[81]. Mit der Verdeckungsabsicht können andere Zwecke zusammentreffen (BGH MDR/D 76, 15).
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e) Die Reihe der subjektiven Mordmerkmale wird abgeschlossen durch das Handeln aus sonstigen niedrigen Beweggründen. Damit soll zwar eine die Kasuistik der Fälle a–d auflockernde Generalklausel geschaffen werden, aber doch nur eine solche, die die einzelne Tat, nicht die Gesamtpersönlichkeit des Täters qualifiziert; das konkrete niedrige Motiv darf nicht in eine allgemein minderwertige Konstitution des Täters umgedeutet werden (bedenklich daher BGH 3, 33; StV 81, 399). Freilich bedarf es einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt, mithin alle inneren wie äußeren Faktoren, die für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblich waren (st.Rspr.; zuletzt BGH NStZ 09, 210). Bei dem häufigen Motivbündel ist auf das Hauptmotiv oder die Motive, die der Tat das Gepräge gegeben haben, abzustellen (BGH NJW 81, 1382; NStZ 97, 81). Die Abhängigkeit der Mordqualifizierung von der ethischen Abwertung des Motivs wird bei dieser Modalität des § 211 besonders deutlich: als niedrig gilt ganz allgemein ein Beweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich und verächtlich ist (BGH 3, 132; NJW 69, 2292); freilich wird die „Triebhaftigkeit“ solcher Motive eher ein Grund gegen als für die Annahme der Qualifikation sein (s.u. Rn. 42). In Betracht kommt auch hier vor allem ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass zur Tat und der bedenkenlosen Opferung des Getöteten[82] – „niedrig“ sind in der Regel nichtige Beweggründe –, kann jedoch durch Besonderheiten der seelischen Situation (BGH NJW 81, 1382; StV 89, 399) und der Vorgeschichte (BGH StV 81, 400) kompensiert werden[83].
aa) Als „niedrige Beweggründe“ sind von der Rechtsprechung u.a. anerkannt: das Handeln zur Erregung von Geschlechtslust (vgl. o. Rn. 32), die Tötung des einem Liebesverhältnis im Wege stehenden Ehegatten (BGH 3, 132), und zwar auch bei unverschuldet unglücklicher Ehe (BGH NJW 55, 1727; JZ 87, 474). Wut über verweigerten Geschlechtsverkehr (BGH 2, 60) oder über eine Niederlage (BGH MDR/D 75, 542), Neid oder ungesunder Geltungsdrang, Handeln zur Verhinderung einer rechtmäßigen Festnahme (BGH MDR/D 71, 722), Lust an körperlicher Misshandlung (BGH GA 80, 23), Tötung zur Vertuschung des eigenen Untertauchens (BGH NStZ 85, 454), Tötung im Auftrag eines anderen zur Verschleierung von dessen Tatinteresse (BGH 50, 8). S.a. Rn. 32, 35 a.E. Bei Handeln aus Hass, Wut, Verärgerung oder Eifersucht ist erforderlich, dass diese ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhen[84]. Frage der konkreten Beurteilung ist auch das Handeln aus Rachsucht[85]. Bei einem Ausländer sind zur Feststellung der niedrigen Beweggründe (und nicht erst bei der Frage des Bewusstseins, s.u. Rn. 42) die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich[86]. Problematisch sind vor allem Blutrache[87] und Ehrenmorde[88]. Beide erfolgen in der Regel aus niedrigen Beweggründen, jedoch sind bei der Blutrache nach schweren Gewalttaten Ausnahmen möglich.
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