Patienten?). Im Ganzen aber kann die Auffassung der Praxis, die im neueren Schrifttum wieder zunehmend Anhänger findet[43], nicht befriedigen. Die „An-sich-Tatbestandsmäßigkeit“ des Eingriffs ist ein auch die ärztliche Kunst diskreditierender Systemfehler. Auch führt die Suche nach anderen Rechtfertigungsgründen nicht immer zu haltbaren Ergebnissen. Diese werden im Falle eines Irrtums des Arztes über Ob und Umfang der Einwilligung bei konsequenter Anwendung der eingeschränkten Schuldtheorie des BGH noch unbefriedigender[44].
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b) Im Gegensatz dazu steht der überwiegende Teil des Schrifttums. Er lehnt bereits den objektiven Tatbestand der Körperverletzung ab. Die Begründung hierfür ist allerdings nicht einheitlich. Überzeugend ergibt sich der Fortfall des Tatbestandes aus der Relativität des Rechtsguts und der sinnhaften Beurteilung des Heileingriffs als Einheit, als Gesamtakt. Ebenso wie ein bereits Kranker noch an seiner „Gesundheit“ beschädigt werden kann, kann umgekehrt ein den relativen Zustand verbessernder Eingriff nicht als Körperverletzung angesehen werden. Dabei darf nicht auf den einzelnen Teilakt wie den Einstich, Schnitt und dgl., sondern es muss auf den Gesamtvorgang abgestellt werden[45]. Schließlich können Integritätsverletzungen (z.B. Amputationen) und Gesundheitsschädigungen (z.B. Narben, Dauerschmerzen, Nebenwirkungen) durch Gesundheitsverbesserung kompensiert werden[46].
Die hier bis zur 5. Auflage vertretene Begründung, wonach mit dem Körperverletzungsvorsatz der subjektive Tatbestandsteil fehlt, wird somit nicht mehr aufrechterhalten, da für den Vorsatz die Kenntnis des äußeren Tatgeschehens ausreicht (es handelt sich nicht einmal um einen unbeachtlichen Subsumtions„irrtum“, sondern allenfalls um eine Überzeugungstat).
Diese Auffassung hat allerdings zur Folge, dass eine Differenzierung zwischen Ärzten und Laien nicht infrage kommt: selbst der höchst zufälligerweise heilende Messerstich eines Raufbolds bleibt außerhalb des Tatbestandes[47], freilich als Versuch strafbar.
Neuerdings schlägt das Verständnis für die Ärzte im Schrifttum teilweise ins gegenteilige Extrem um, so, wenn dem BGH vorgeworfen wird, dass er eine zweifach überhöhte Gammastrahlung (BGH 43, 306) und weit übermäßige Röntgenaufnahmen (BGH 43, 353) als Körperverletzungen angesehen hat[48].
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c) Unbeschadet des Streites zwischen Praxis (a) und Theorie (b) besteht Einigkeit darüber, dass eine völlige Straflosigkeit des operierenden Arztes nur eingreift, wenn die Einwilligung des Patienten, mindestens ein vollwertiges Einwilligungssurrogat, vorliegt. Fehlt die Einwilligung, muss die Praxis wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223), beim Tode des Patienten gegebenenfalls sogar wegen § 227 strafen.
Nach allgemeinen Grundsätzen hat eine Einwilligung rechtfertigende Wirkung, wenn sie dem Handelnden erklärt oder mindestens bekannt (vgl. AT § 17 Rn. 61 ff.) und wenn sie in Kenntnis des Sachverhaltes erteilt wurde (BGH JZ 64, 231 m. Anm. Eb. Schmidt). Daher muss der Arzt, um dem Vorwurf der Körperverletzung bzw. Nötigung den Rechtfertigungsgrund „Einwilligung“ entgegenzuhalten, den Patienten entsprechend unterrichten. Die Diskussion um diese Aufklärungspflicht des Arztes ist nach wie vor außerordentlich aktuell[49]. Das Problem, um dessen Ausschöpfung sich insbesondere die Rechtsprechung der Zivilsenate des BGH bemüht hat[50], kann hier nur grob umrissen werden. Entgegen der Methode des Hippokrates, den Patienten in dessen eigenem Interesse möglichst im Unklaren über dessen Krankheit zu halten (Ausfluss des früher dominierenden „Fürsorgeprinzips“), ist in der Gegenwart eine weitgehende Aufklärungspflicht anerkannt (Ausfluss des grundgesetzlich anerkannten Selbstbestimmungsrechts des Patienten). Die von der Rechtsprechung der Zivilsenate des BGH erarbeiteten Anforderungen an eine pflichtgemäße Patientenaufklärung sind im Jahr 2013 durch den Gesetzgeber in § 630e BGB kodifiziert worden. Danach muss der Patient mündlich, rechtzeitig und verständlich über Chancen und Risiken des ihm vorgeschlagenen Eingriffs, alternativer Behandlungsmethoden und eines etwaigen Verzichts auf jegliche Behandlung seiner Krankheit aufgeklärt werden. Der Umfang der Aufklärungspflicht variiert nach Komplikationsdichte, Dringlichkeit des Eingriffs und Größe des Risikos (Tempel NJW 80, 611). Stets kann aber eine nach den genannten Maximen an sich bestehende Aufklärungspflicht in concreto dann entfallen, wenn die Offenlegung der Sachlage durch den Arzt Schockwirkungen befürchten lässt, die größere Risiken als der Eingriff selbst in sich bergen (sog. „therapeutisches Privileg“). Daher hängt die Aufklärungspflicht auch von der Individualität des Patienten ab.
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Die Aufklärung muss durch den behandelnden Arzt oder eine andere Person erfolgen, die ebenfalls über die zur Durchführung des Eingriffs notwendige Ausbildung verfügt, § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB. Wird die sachlich korrekte und vollständige Aufklärung durch einen Nicht-Arzt geleistet, soll die daraufhin erteilte Einwilligung sogar bei Aufklärung über die fehlende Approbation unwirksam sein,[51] § 630d Abs. 2 BGB – eine bedenkliche Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten (vgl. auch Bockelmann JZ 62, 525).
Der Irrtum über den Umfang der Aufklärungspflicht ist nach Auffassung der Rechtsprechung ein Tatbestandsirrtum, der nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung übrig lässt[52].
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d) Fehlt es an einer Einwilligung, insbesondere bei überraschenden Befunden während einer Operation, sog. Operationserweiterung, kommt eine mutmaßliche Einwilligung in Betracht, und zwar auch dann, wenn der Arzt es fahrlässig versäumt hat, eine ausdrückliche Einwilligung einzuholen. Wegen des Vorrangs des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist der Inhalt des mutmaßlichen Willens in erster Linie aus den persönlichen Umständen des Betroffenen, seinen individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln (BGH 35, 246; 45, 219). Beim Irrtum über die mutmaßliche Einwilligung zeigt die eingeschränkte Schuldtheorie besonders bedenkliche Auswirkungen[53].
e) In Fällen, in denen Ärzte – meist zur Vertuschung voraufgegangener Behandlungsfehler – eine Aufklärung bewusst unterlassen haben, anerkennt die Rechtsprechung wie schon vorher im Zivilrecht eine Straflosigkeit, wenn der Patient bei einer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung); die hypothetische Nichteinwilligung ist dem Arzt nachzuweisen[54].
Diese Figur ist eine Zwangsgeburt der Beurteilung des ärztlichen Eingriffs als Körperverletzung (s.o. Rn. 24). Ihre Problematik zeigt sich schon an dem Streit um ihre Rechtsnatur. Angeboten werden: Fehlen der Rechtswidrigkeit (BGH JR 04, 251), der Kausalität der Nichtaufklärung (Ulsenheimer NStZ 96, 132), der Realisierung des Schutzbereichs der Aufklärungspflicht (BGH NStZ 96, 35, neben der hypothetischen Einwilligung!), der objektiven Zurechnung im Bereich des Tatbestands (Roxin AT 1 § 13 Rn. 132) oder der Rechtswidrigkeit (Kuhlen JR 04, 227), des Erfolgsunwerts (Mitsch JZ 05, 279)[55].
Gegen die Figur der hypothetischen Einwilligung wendet sich Puppe wegen der Nichtbeweisbarkeit der hypothetischen Nichteinwilligung[56], Duttge wegen dogmatischer Unhaltbarkeit[57], Gropp wegen der Aushebelung der Aufklärungspflicht[58], Otto wegen der Unzulässigkeit einer nachträglichen Erklärung der Einwilligung (AT § 8 Rn. 134). Starke Bedenken auch bei Roxin (AT 1 § 13 Rn. 134) trotz des Zuwachses für die Lehre von der objektiven Zurechnung.
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f) Auch die h.L. im Schrifttum (Rn. 25) kann den ohne Einwilligung operierenden Arzt nicht straflos lassen. Solange es an einer besonderen Strafdrohung wegen eigenmächtiger Heilbehandlung[59] fehlt, kommen Nötigung und Freiheitsberaubung in Betracht.
Anmerkungen
RG