› 2. „Eltern“
2. „Eltern“
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„Eltern“ i.S.d. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und damit Träger des Elternrechts sind grundsätzlich die Eltern im Rechtssinne (§§ 1589, 1591, 1592; §§ 1741, 1754, 1755). Das Elternrecht steht also den Eltern eines ehelichen wie nichtehelichen Kindes – ohne Rücksicht auf die Sorgeberechtigung – in gleicher Weise zu.[115] Eltern im Rechtssinne und damit Träger des Elternrechts sind auch gleichgeschlechtliche Ehegatten oder Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, wenn sie durch Abstammung oder Adoption (Stiefkindadoption, § 1741 Abs. 2 S. 3, 1749 Abs. 1, § 9 Abs. 7 LPartG; Sukzessivadoption) die Elternstellung erlangt haben.[116] Das Elternrecht steht dagegen weder einem Stiefelternteil, Großeltern noch Pflegeeltern oder sonstigen Dritten zu, die sich um das Kind kümmern.[117] Auch dem biologischen Vater eines Kindes steht neben dem Vater im Rechtssinne, der eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind pflegt, das Elternrecht nicht zu; für ihn ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG aber die Gewährleistung eines verfahrensrechtlichen Zugangs zum Elternrecht.[118] Die verfassungsrechtlich gebotene Effektivität des Verfahrens zur Erlangung der rechtlichen Vaterstellung setzt voraus, dass der leibliche Vater, der bereits eine sozial-familiäre Beziehung zu seinen Kindern aufgebaut hat, durch die rechtzeitige Einleitung eines gerichtlichen Vaterschaftsfeststellungsverfahrens auch tatsächlich in die rechtliche Vaterstellung einrücken kann, auch wenn zwischenzeitlich ein anderer Mann die Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter wirksam anerkannt hat.[119]
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Im Übrigen hält das BVerfG allerdings an dem Grundsatz fest, dass eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu einem rechtlichen Vater einer rechtlichen Zuordnung des Kindes zum biologischen Vater entgegensteht.
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Früher hat das BVerfG außerdem ein Umgangsrecht des biologischen Vaters verneint, selbst wenn dieser tatsächliche Verantwortung übernehmen wollte, ihm dies aber von den rechtlichen Eltern verwehrt wurde: begründet hat das BVerfG dies damit, dass ihm mangels rechtlicher Zuordnung kein Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG und deshalb auch kein Umgangsrecht nach § 1684 zustehe und ein Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 nur dann in Betracht komme, wenn die „enge Bezugsperson“ für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt oder getragen hat.[120]
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Diese Rechtsprechung des BVerfG wurde vom EGMR erschüttert:[121] Der Fall betraf das Recht auf Umgang des biologischen, aber nicht rechtlichen Vaters mit seinen Kindern (Zwillinge), die nach einer etwa zweijährigen Beziehung mit einer verheirateten Frau in die bestehende Ehe dieser Frau hinein geboren wurden. Rechtlicher Vater der Kinder war der Ehemann der Kindesmutter (§ 1592 Nr. 1). Eine Kontaktaufnahme mit dem biologischen Vater wurde von den Eltern strikt abgelehnt; bis zur gerichtlichen Entscheidung bestand zwischen dem biologischen Vater und seinen Kindern keinerlei persönlich-familiäre Beziehung. Der EGMR hat diese Position als Verstoß gegen Art. 8 EMRK gewertet, weil diese Vorschrift auch ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise schütze und der Schutzbereich des Art. 8 EMRK – falls nicht unter dem Gesichtspunkt des „Familienlebens“ – jedenfalls unter dem des „Privatlebens“ (persönliche Identität) eröffnet sei.
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Ob sich hieraus Konsequenzen für die Zuordnung des Elternrechts i.S.d. Art. 6 Abs. 2 GG ableiten lassen, erscheint allerdings fraglich. Denn Kern der Beanstandung war nicht die Verweigerung einer solchen Rechtsposition, sondern die auch für einen bemühten leiblichen Vater nach deutschem Recht unüberwindbare Hürde der „sozial-familiären“ Beziehung gemäß § 1685 Abs. 2 (bzw. das nur rechtlichen Eltern zustehende Auskunftsrecht gemäß § 1686). Entscheidendes Gewicht hätte demgegenüber dem Wohl der Kinder (das mangels vorausgesetzter „sozial-familiärer“ Beziehung gar nicht geprüft wurde) zukommen müssen.[122] Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung wurde § 1686a geschaffen (dazu Rn. 731 ff.).[123]
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › III. „Eltern“ und „Elternrecht“ › 3. Elternrecht und Elternpflicht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG)
3. Elternrecht und Elternpflicht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG)
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Obschon sich für die Eltern das Recht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG automatisch infolge ihrer rechtlichen Verwandtschaftsbeziehung (§§ 1591 ff.) zum Kind ergibt, ist das Elternrecht von einer eigentümlichen, sonst nicht bekannten Rechtsstruktur geprägt. In allen Erscheinungsformen hängt das Recht der Eltern seinem Bestand und Umfang nach davon ab, dass diese ihrer elterlichen Pflicht tatsächlich nachkommen wollen und nachkommen können. Man spricht von einem „Pflichtrecht“ und meint damit ein pflichtgebundenes Recht, das in erster Linie dem Kindeswohl gewidmet ist. Damit soll die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht etwa das Kind Objekt des elterlichen Rechts ist, sondern sein Wohl der Maßstab für dessen Ausübung. Die Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist konstitutives Element des von den Eltern insoweit in Anspruch genommenen Rechts.[124] Wo die Eltern ihrer Pflicht gegenüber dem Kind nicht gerecht werden (können), weicht ihre Rechtsstellung. Im Konfliktfall geht es dann nicht um jeweils individuell zugewiesene, im Einzelfall kollidierende Interessen (Rechte) zwischen Eltern und Kind, sondern es verbleibt den Eltern keine Rechtsstellung mehr, wenn sie der ihnen „zuvörderst […] obliegenden Pflicht“ (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) nicht nachkommen. Es ist deshalb konsequent und mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar, wenn sogar die statusrechtliche Stellung der „Elternschaft“ gegen den Willen des betroffenen Elternteils aufgehoben werden kann (z.B. Ersetzung der elterlichen Einwilligung bei Adoption des Kindes, § 1748 Abs. 1).[125]
Erster Teil Grundlagen › § 2 Verfassungsrechtliche Implikationen › III. „Eltern“ und „Elternrecht“ › 4. „Kindesgrundrecht“ auf Erziehung
4. „Kindesgrundrecht“ auf Erziehung
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In seiner Entscheidung vom 1.4.2008 ist das BVerfG einen weiteren Schritt über seine bisherige Auslegung des Art. 6 Abs. 2 GG hinausgegangen.[126] Anknüpfend an seine Rechtsprechung zum Elternrecht als einem stets am Kindeswohl orientierten, „dienenden“ Grundrecht stellt das BVerfG fest:
„Mit dieser […] Pflicht (sc.: der Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) […] korrespondiert das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. […] die Elternverantwortung [ist] allein dem Wohle des Kindes verpflichtet wie geschuldet, [… deshalb] hat das Kind auch einen Anspruch […] und ein Recht darauf, dass seine Eltern der mit ihrem Elternrecht untrennbar verbundenen Pflicht auch nachkommen“.[127]
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In der Literatur wurde die Entscheidung als erstmalige Formulierung eines eigenständigen Kindesgrundrechts auf Erziehung gewertet.[128] Ob dieser Schluss dem Urteil tatsächlich zu entnehmen ist, ist allerdings sehr zweifelhaft. Fest steht, dass das BVerfG das Kind als selbstständigen Grundrechtsträger seit langem anerkannt hat.[129] Dieses Grundrecht richtet sich als Anspruch gegen den Staat auf Wahrnehmung seines Wächteramtes