darüber hinaus beinhalten und leisten kann, bleibt unklar. Denn entscheidend für das Kind sind die positivrechtlichen Konkretisierungen des Elternrechts im Sinne subjektiver Rechte des Kindes auf Erziehung durch die Eltern (§§ 1626, 1684), wobei das Kindeswohl leitender Maßstab ist (§ 1697a). Dementsprechend hat das BVerfG eine zwangsweise Durchsetzung des Umgangsrechts gegen den Willen eines Elternteils als verfassungswidrig angesehen, weil ein erzwungener Umgang nicht kindeswohldienlich sei.[130] Der durch eine Zwangsmittelandrohung bewirkte Eingriff in das Grundrecht des Elternteils auf Schutz der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sei insoweit nicht gerechtfertigt, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird (vgl. dazu noch Rn. 726).
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Demgegenüber hinterlässt das Urteil des BVerfG eine Reihe offener Fragen und eine merkwürdige Wertungsdissonanz. Unklar bleibt, gegen wen sich das Grundrecht des Kindes richten soll. Was bedeutet ein grundgesetzlicher Anspruch auf Erziehung des Kindes „durch seine Eltern“? Ist Adressat – herkömmlicher Dogmatik entsprechend – der Staat, der diesem Recht dann in Ausübung seines Wächteramtes durch Maßnahmen der Jugend- und Familienhilfe und durch positivrechtliche Konkretisierung der Elternverpflichtung zum Durchbruch zu verhelfen hat? Dafür spricht nicht nur generell die Grundrechtswirkung im Verhältnis Staat–Bürger, die der Annahme eines grundrechtlichen Kindesanspruchs gegen die Eltern als Verpflichtete entgegensteht, sondern auch die Formulierung eines Rechts des Kindes auf Erziehung „durch seine Eltern“ (nicht: „gegen seine Eltern“).
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Offen bleibt ferner, welche materiell-inhaltliche Überlegung dieses (besondere) Kindesgrundrecht trägt, wo sein originärer Kern liegt. Einerseits spricht das Gericht davon, dass dieses Recht des Kindes „in der elterlichen Verantwortung seinen Grund“ finde (also doch ein im „Pflichtrecht“ der Eltern wurzelnder Anspruch?), andererseits stehe dieses Kindesrecht in engem Zusammenhang mit dem (schon immer vorhandenen) Grundrecht auf Schutz seiner Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG.[131]
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Auch die wertungsmäßigen Positionen des Gerichts zu akzeptieren, fällt nicht leicht. Ein Elternteil, der eine zuvor beschriebene, grundlegende Verpflichtung seinem Kind gegenüber gröblichst verletzt, darf für dieses Verhalten als „Ausdruck des individuellen Verständnisses von Elternschaft“ verfassungsrechtlichen Schutz gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen – mit Vorrang gegenüber dem Kindesgrundrecht. Mag die zwangsweise Vollstreckung eines Umgangstitels (in Übereinstimmung mit dem BVerfG) auch dem Kindeswohl nicht zuträglich und/oder nicht möglich sein, so erscheint es doch bemerkenswert, wenn gravierende Rechtsverstöße als grundgesetzlich geschützte Entfaltung der individuellen Persönlichkeit gewertet werden.
Anmerkungen
BVerfG, NJW 1968, 2233; gleichlautend BVerfG, NJW 1971, 1509 (keine bloße Wesensgehaltskontrolle nach Art. 19 Abs. 2 GG).
Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, 362020, Rn. 766 f.
Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, 362020, Rn. 766.
BVerfG, NJW 2018, 3773, dazu noch Rn. 50. Aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG hat das BVerfG für den biologischen Vater außerdem ein eigenes Vaterschaftsanfechtungsrecht abgeleitet (jetzt § 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3, dazu noch Rn. 579 ff.
BVerfG, NJW 2018, 3773 f.; BVerfG, NJW 2003, 2151 (2152 f.).
Sehr prägnant BVerfG, NJW 1971, 1509.
BVerfG, NJW 2013, 847 (854).
BVerfG, NJW 2013, 847 (848) m.w.N. Vgl. auch die instruktive Abhandlung von Kingreen, Jura 1997, 401.
BVerfG, NJW 2013, 2257 (2258).
Näher dazu Kingreen, Jura 1997, 401 (405 f.) – Davon rückt das BVerfG in jüngster Zeit allerdings immer mehr ab, vgl. Rn. 18.
BVerfG, NJW 2013, 2257 (2260); BVerfG, FamRZ 2009, 1653 (1654); BVerfG, NJW 2008, 3117; BVerfG, NJW 2003, 2151 (2154).
Diese stehen unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG, dazu Rn. 28; aus der Literatur: Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, 362020, Rn. 752; MüKoBGB/Koch, Bd. 9, 82019, Einleitung Familienrecht, Rn. 233 ff.
BVerfG, NJW 1957, 417 (418): „Er (sc.: Art. 6 Abs. 1 GG) stellt Ehe und Familie […], deren Bedeutung mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden kann, unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“
BVerfG, NJW 2002, 2543 m.w.N.
BVerfG, NJW 1957, 417 (418): „[d]er in Art. 6 Abs. 1 GG statuierte besondere Schutz der staatlichen Ordnung umschließt (…) zweierlei: positiv die Aufgabe für den Staat, Ehe und Familie nicht nur vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, sondern auch durch geeignete Maßnahmen zu fördern, negativ das Verbot für den Staat selbst, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen“; BVerfG, NJW 1970, 1176; BVerfG, NJW 1988, 626 (627); BVerfG, NJW 1989, 2195 (2196); BVerfG, NJW 1999, 557 (558); BVerfG, FamRZ 2012, 1472 (1474); BVerfG, NJW 2013, 2257 (2259).
BVerfG, NJW 1965, 195 (196); s. auch BVerfG, NJW 1970, 1680 (LS); BVerfG, NJW 1992, 2213; BVerfG, NJW 2001, 1712.
Cornils, Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 349.
So