Herbert Diemer

Jugendgerichtsgesetz


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Frage der Unterbringung zu entscheiden, so kann eine Verurteilung zu Jungendstrafe nicht vorweg selbstständig in Rechtskraft erwachsen, weil dem Tatrichter sonst die ihm gemäß § 5 Abs. 3 obliegende Beurteilung und Entscheidung unmöglich gemacht würde (BayObLG JZ 1989, 652; s. § 5 Rn. 19; in diesem Sinne auch BGH Beschl. v. 18.1.1993 – 5 StR 682/92 = BGHR JGG § 5 Abs. 2 Absehen 1). Zum Verhältnis der Strafzumessungserwägungen zu den für die Unterbringung beachtlichen Gesichtspunkten s. § 5 Rn. 19.

IV. Verfahren

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      Zuständig für die Vollstreckung der Maßregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere für die Entscheidungen über Beginn, Fortdauer und Aussetzung, ist der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter, §§ 82 Abs. 1, 84 JGG; §§ 462a, 463 Abs. 1 StPO (BGHSt 26, 163; 27, 190; OLG Koblenz GA 1975, 285; OLG Karlsruhe JR 1980, 468). Dies gilt auch dann, wenn der Verurteilte zur Tatzeit Heranwachsender war, aber Jugendstrafrecht zur Anwendung gekommen ist. Dass der Verurteilte zwischenzeitlich erwachsen geworden ist, ist unerheblich (OLG Karlsruhe JR 1980, 468 m.w.N.; OLG Düsseldorf OLGSt Nr. 1 zu § 82). Ist gegen einen Heranwachsenden nur eine Maßregel nach § 7 Abs. 1 angeordnet und enthält das Urteil keine ausdrücklichen Erörterungen zu § 105, so ist die Strafvollstreckungskammer für die Vollstreckung zuständig, denn § 105 erfordert ausdrückliche Feststellungen, wenn auf einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht angewendet werden soll (OLG Düsseldorf OLGSt Nr. 1 zu § 82 JGG).

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      Nach der Neuregelung in § 85 Abs. 4 geht die Vollstreckung nach der Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug auf den Jugendrichter über, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, oder der gem. § 85 Abs. 2 S. 2 durch Rechtsverordnung bestimmt ist. Unterhält die Anstalt Außenstellen, so ist der Sitz der Hauptanstalt maßgeblich (BGH Beschl. v. 17.12.1993 – 2 ARs 426/93 = NStZ 1994, 204 f.). Ist vor dem Ende des Strafvollzugs über eine zusätzlich angeordnete Maßregel zu entscheiden (§ 67a Abs. 1 StGB), so erstreckt sich die örtliche Zuständigkeit des Jugendrichters als Vollstreckungsleiter für die Vollstreckung der Jugendstrafe auch auf die Entscheidungen über die Maßregel (BGHSt 27, 190, 191; OLG Karlsruhe JR 1980, 468). Dies gilt auch nach der Neuregelung in § 85 Abs. 4, um ein Auseinanderfallen dieser voneinander abhängigen Entscheidungen zu verhindern. Die Abgabe aus wichtigen Gründen richtet sich auch im Maßregelvollzug nach § 85 Abs. 5 (BGHR JGG § 85 Abs. 3 [a.F.], Vollstreckungsabgabe 1). Der Gesichtspunkt der Vollzugsnähe allein ist indessen noch kein wichtiger Grund (BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf NStE Nr. 2 zu § 85 JGG; § 85 Rn. 13). Zur Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für Folgeentscheidungen bei nach DDR-Recht angeordneten Einweisungen s. KG NStZ 1994, 148.

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      Für den Vollzug der Maßregeln gelten §§ 136 bis 138 StVollzG sowie die §§ 53, 54, 56 StVollstrO im Rahmen von § 1 Abs. 3 StVollstrO. Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen im Vollzug, die nicht den Beginn, die Fortdauer und die Aussetzung der Unterbringung, für die der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter zuständig ist (Rn. 21), gilt § 92.

B. Nachträgliche Sicherungsverwahrung (Absätze 2 bis 5) I. Allgemeines

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      Abs. 2–4 gelten für Jugendliche und für Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden (§ 105). In diesen Fällen gelten sie auch in Verfahren vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 1, § 112). Sie ermöglichen in Fällen schwerster Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie in Fällen von Raub- oder Erpressungstaten mit Todesfolge auch bei einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht die Sicherungsverwahrung nach dem Jugendstrafvollzug oder nach einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nachträglich anzuordnen. Eine Übergangsregelung für die Fälle, in denen die Anlasstaten vor dem Inkrafttreten der jetzigen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung am 1.6.2013 (BGBl. I 2012, S. 2425 ff.) begangen wurden („Altfälle“), enthält Art. 316f EGStGB (s. unten Rn. 49).

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      Die Vorschrift erfasst grundsätzlich auch Ersttäter ohne einschlägige Vorverurteilung (s. amtl. Begr. BR-Drucks. 551/07, S. 10). Dies ergibt sich nach der Neuregelung (Rn. 26) insbesondere auch daraus, dass der Gesetzgeber in Abs. 2 Satz 2 von einer Gesamtwürdigung seiner „Tat“ oder seiner Taten spricht (vgl. auch amtl. Begr. zu dem insoweit wortgleichen § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB, BT-Drucks. 17/3403, S. 30). Der eindeutige Gesetzeswortlaut und der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers verbieten damit Auslegungsversuche dahin, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen insbesondere mit Blick auf die Prognosesicherheit eine Vorverurteilung erfolgt sein muss. Eine solche Auslegung wäre im Hinblick auf den Beginn der Strafmündigkeit (14 Jahre) auch sachlich abwegig.

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      Mit dem durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5.12.2014 (BGBl. I, S. 2425) eingeführten Abs. 2 wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung im früheren Abs. 2, die nach vorheriger Jugendstrafe ohne Vorbehalt im Urteil angeordnet werden konnte (G. v. 8.7.2008 (BGBl. I, S. 1212), abgeschafft und stattdessen die im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt. Anlass war die Entscheidung des BVerfG vom 4.11.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a. (BGBl I, S. 1003), mit der die vorangegangene Regelung für verfassungswidrig erklärt wurde (s. hierzu die Erläuterungen im Ergänzungsblatt zur 6. Auflage dieses Kommentars). Zum Urteil des BVerfG vom 4.11.2011 zur Sicherungsverwahrung (s. vorstehend) s. auch Bartsch ZJJ 2013, 182 ff.; Eisenberg StV 2011, 480 ff.; Peglau NJW 2011, 1924 ff.; Schöch GA 2012, 14 ff. Zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung s. etwa Renzikowski NJW 2013, 1638 ff. Dem Abstandsgebot ist nunmehr durch § 66c StGB Rechnung getragen, auf den in Abs.