Herbert Diemer

Jugendgerichtsgesetz


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      Am Institut der Sicherungsverwahrung an sich im Jugendstrafrecht hat der Gesetzgeber jedoch festgehalten. Anlass dazu waren die schon bei der Einführung der Sicherungsverwahrung im JGG bekannt gewordenen gravierenden Fälle, in denen nach Einschätzung von Gutachtern und Justiz auch nach Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe von einer entsprechenden hohen künftigen Gefährlichkeit für andere auszugehen war, das frühere Recht jedoch für schuldfähige Verurteilte keine Rechtsgrundlage dafür bot, sie zum Schutz der Allgemeinheit weiterhin in staatlichem Gewahrsam zu belassen (amtl. Begr. BR-Drucks. 551/07, S. 5). Mit der Neuregelung sollten den genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben, aber auch den im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 (Beschwerde Nr. 19259/04, M. ./. Deutschland = NJW 2010, 2495) angesprochenen konventionsrechtlichen Bedenken (s. hierzu eingehend Rn. 29 ff. der Vorauflage m. zahlr. N.) Rechnung getragen werden (s. hierzu auch Drenkhahn ZJJ 2017, 176). Zur Vereinbarkeit der Neuregelung mit der EMRK s. auch EGMR (V. Sektion), Urt. v. 7.1.2016 – 23279/14 (Bergmann/Deutschland) = NJW 2017, 1007.

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      Auf außergewöhnliche Ausnahmefälle, in denen der Schutzauftrag des Staates gegenüber potenziellen Opfern eine Freilassung des Täters verbietet (amtl. Begr. BR-Drucks. 551/07, S. 6 f.; BT-Drucks. 17/9874 S. 11), soll die neue Maßregel nach den Vorstellungen des Gesetzgebers beschränkt sein. Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass die Maßnahme an deutlich strengere Voraussetzungen geknüpft ist als die Sicherungsverwahrung im allgemeinen Strafrecht. So ist der Katalog der Anlasstaten noch enger auf schwerste Verbrechen gegen Personen beschränkt. Nicht nur die Anlasstat sondern auch die zu erwartenden künftigen Straftaten müssen einschlägige schwere Verbrechen sein, die mit einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung oder Gefährdung des Opfers verbunden sein. Schließlich wird die Verbüßung einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verlangt und die regelmäßige Frist zur Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung auf sechs Monate verkürzt (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 22).

II. Vorbehalt der Sicherungsverwahrung (Absatz 2 Satz 1)

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      Ein Vorbehalt der Sicherungsverwahrung darf von vorne herein nur bei den in Abs. 2 gesetzlich bestimmten Straftaten ergehen. Bei den Straftaten in Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 handelt es sich um eine abschließende Aufzählung schwerster Straftaten. Neben diesem formalen Katalog schwerster Straftaten, die für die Gefährlichkeitsprognose relevant werden, müssen sich nicht nur die künftig zu erwartenden Straftaten sondern schon die Anlasstaten, die der Verurteilung zugrunde liegen, zusätzlich durch bestimmte schwere Auswirkungen auf das Opfer materiell qualifizieren. Das Opfer muss durch die zur Verurteilung gelangten Taten seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden sein. Damit scheiden Taten, die etwa nur zu einer schweren wirtschaftlichen Schädigung oder Gefährdung des Opfers geführt haben, aus.

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      Die Verurteilung, die nach der Fassung des Gesetzes auch eine erstmalige sein kann (s. Rn. 25), muss auf Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren lauten. Dieses für Jugendstrafrecht hohe Maß wurde aus Gründen der Verhältnismäßigkeit für erforderlich (s. Rn. 28) aber auch für ausreichend gehalten. Bei einer höheren oder gar der absoluten Grenze der Jugendstrafe wäre zu befürchten gewesen, dass die Fälle mit schwerwiegender Schädigung oder Gefährdung des Opfers in nicht ausreichendem Maß erfasst werden könnten (amtl. Begr. BR-Drucks. 551/07, S. 12).

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      Bei den sieben Jahren kann es sich auch um eine Einheitsjugendstrafe handeln. Dies ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut „wegen oder auch wegen“ eines der genannten Verbrechen. Von ausschlaggebender Bedeutung war für den Gesetzgeber dabei, dass sich im Falle verschiedener gleichzeitig abgeurteilter Straftaten anders als bei einer Gesamtstrafe nicht zuverlässig bestimmen lässt, welche Strafe für die hinsichtlich der Sicherungsverwahrung maßgebliche Anlasstat konkret verwirkt gewesen wäre, wenngleich in diesen Fällen die Anlasstat angesichts ihrer hier vorausgesetzten Art und Qualität in der Regel auch von wesentlicher Bedeutung für die Bildung einer Einheitsjugendstrafe sein dürfte. Zudem kann selbst unter Berücksichtigung des Erfordernisses erzieherischer Erwägungen bei der Strafzumessung (§ 5 Rn. 8 ff.; § 9 Rn. 3 ff.) jedenfalls bei einer Jugendstrafe von über fünf Jahren regelmäßig davon ausgegangen werden, dass dabei auch Schuldgesichtspunkte von wesentlicher Bedeutung für die Festsetzung der Strafe waren (amtl. Begr. BR-Drucks. 551/07 S. 11). Hinzu kommt, dass das zusätzliche materielle Erfordernis der schweren Schädigung des Opfers (s. Rn. 29) es als unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass eine derart qualifizierte Katalogtat nicht auch von ausschlaggebender Bedeutung für die Bemessung der Einheitsjugendstrafe ist (amtl. Begr. BT-Drucks. 17/9874, S. 22 f., 23).

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      Aus den bei der Verurteilung erkennbaren Tatsachen muss sich ergeben, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straften der in Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird. Eine solche kann im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Rechtsfolge (s. Rn. 27) und die damit verbundenen strengen Anforderungen an die Prognose nicht bereits dann angenommen werden, wenn (nur) überwiegende Umstände auf eine künftige Delinquenz des Verurteilten hindeuten. Es bedarf vielmehr unter Ausschöpfung der Prognosemöglichkeiten einer positiven Entscheidung über die Gefährlichkeit des Verurteilten (BGH NJW 2010, 1539 Rn. 31; vgl. BVerfG NJW 2009, 980, 982; BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 2). Keinesfalls genügt es, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betroffene weiterhin Straftaten der in Abs. 2 bezeichneten Art begeht (vgl. BVerfGE 109, 190, 242). Andererseits beruhen Prognosen über die Gefährlichkeit eines Verurteilten auf Wahrscheinlichkeitsfeststellungen, so dass nicht verlangt werden kann, dass zukünfige Ereignisse oder Zustände zur vollen richterlichen Überzeugung feststehen müssen, weil die Gefährlichkeit sonst immer mit dem Argument verneint werden müsste, es sei nicht ausschließbar, dass gefahrbegründende Faktoren nicht eintreten. Ein solcher Maßstab wäre rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2013, 225 m. krit. Anm. Eisenberg).

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      Ein Hang zu den genannten Anlasstaten ist nicht erforderlich (BGH NJW 2010, 1539 Rn. 24 f.; a.A. Bartsch StV 2010, 521 f.; Kreuzer NStZ 2010, 473 ff., 475). Der Gesetzgeber hat dieses Merkmal ganz offensichtlich in Kenntnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BGH für das entsprechende allgemeine Strafrecht (vgl. BGHSt 50, 373, 381; 51, 191, 199; BGH StV 2008, 636 f.) nicht in den Tatbestand eingefügt (vgl. BGH NJW 2010, 1539 Rn. 24 ff.). Die Regelung in Abs. 2