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Für die Festlegung des Ambitionsniveaus müssen zu jedem der 7 Themengebiete zunächst die bankspezifischen Sachverhalte diskutiert werden, insbesondere um ein gemeinsames Verständnis zur Ist- und Soll-Situation herzustellen, bspw. die Klärung, welche Kernprozesse bestehen, welche Bereiche und Produkte werden bedient, welche Ziele (strategisch und operativ) sollen künftig verfolgt werden, welche Aussagen trifft die bestehende Dokumentation im Hause hinsichtlich Kreditprozessen, auf welchen IT-Anwendungen wird aufgebaut etc.
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Anschließend kann dann das Ambitionsniveau festgelegt werden, bspw.
– beim Thema Governance von gering („Die Mindestanforderungen der EBA GLOM werden anteilig umgesetzt“) bis hin zu hoch („Die Organisation und Prozesse werden im höchsten Maße angepasst und u.a. agil ausgerichtet“) oder
– im Bereich ESG von gering („ESG wird nicht verfolgt. Es zählen andere Unternehmensziele“.) bis hin zu hoch („ESG wird als ein Top-Entwicklungsziel betrachtet. Strategie wird dahingehend ausgerichtet“).
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Damit kann dann im Grunde auch erst festgelegt werden, wo sich das Institut heute befindet und wo es sich künftig befinden möchte. Der Health Check bzw. die beschriebene Vorstudie ist der Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreiche Umsetzung der EBA GL.
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Auf dieser Basis erfolgt dann genauso schrittweise die Umsetzung der Konzepte bzw. die Implementierung der neuen Prozesse und ggfs. Anwendungen/IT-Releases. Insbesondere die Integration der Governance-Anforderungen bedarf dabei einiger empfindlicher Prozessanpassungen, quasi als „Operation am offenen Herzen“. Die Herausforderung ist dabei speziell die Verarbeitung und Umsetzung der vielen Anforderungen bei gleichzeitiger Identifikation von Optimierungspotenzial. Hinzu kommen die üblichen Hürden bei organisatorischen Veränderungen, was nicht selten zu diesem Zeitpunkt spätestens alle Bereichsleitungen, operativen Leitungen und die oberste Führungsebene parallel zu all den anderen Aufgaben an ihre Grenzen zu stoßen scheint.
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Zum Abschluss ist im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen EBA-Leitlinie ein wichtiges Stichwort die „Verzahnung“, da viele Themengebiete der Leitlinie nicht grundsätzlich neu sind. Hier liegt das Potenzial, entsprechende Synergien zu realisieren.
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Natürlich kommt es auf den Einzelfall an und es stellt sich die Frage, aus welchem Kontext das jeweilige Institut kommt, aus welcher Motivation heraus man sich der Guideline nähert. Aber aus unserer Erfahrung sind in aller Regel viele laufende – aber auch geplante – Projekte von der neuen EBA-Leitlinie direkt oder indirekt betroffen. Neben „bekannten“, länger laufenden Projekten (wie bspw. NPL oder BCBS 239, was als Reaktion auf die Finanzkrise im Jahr 2013 eingeführt wurde) sind auch Themen darunter, bei denen manche Banken noch am Anfang stehen oder sich auf „Neuland“ begeben. In den meisten Häusern fallen innovative Technologien (AI, Machine Learning) und/oder ESG hierunter. Auch vor dem Hintergrund der schwierigen Ertragssituation sowie von Kosteneinsparungen erscheint es mehr als sinnvoll, zu Beginn der Umsetzung der neuen Leitlinien ganz gezielt das Projektportfolio nach Synergie-Potenzial zu analysieren. Zu nennen sind beispielsweise:
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Data Governance (unter BCBS 239)/„Basler Ausschuss für Bankenaufsicht“,23 Risikofrüherkennung (im Zusammenhang mit Non-Performing Loans) sowie Geldwäscheprävention bzw. CTF-Projekte.
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Die betroffenen Institute sollten daher alle Aktivitäten nutzen, die sie an anderer Stelle schon entfaltet haben, um Synergie-Potenzial zu realisieren und bereits Bestehendes mit Neuem zu verzahnen.
23 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2013, Grundsätze für die effektive Aggregation von Risikodaten und die Risikoberichterstattung, ISBN 92-9197-346-7 (Online).
Kapitel 3 Entwicklung des Verbraucherschutzrechts am Beispiel der normierten Widerrufsbelehrung
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Die europäischen und deutschen Verbraucherschutzrechte haben in den vergangenen Jahren im Rechtsverkehr mit Verbrauchern zunehmend an Bedeutung gewonnen und sind in den vergangenen Jahren zahlreichen Änderungen ausgesetzt gewesen. Von dieser Entwicklung ist die Finanz- und Kreditwirtschaft nicht verschont geblieben, sondern sie wurde, insbesondere in den Folgejahren der Finanzkrise 2008/2009, mit diversen Gesetzesänderungen konfrontiert, die zum Teil mit gravierenden Änderungen für das gesamte Bankgeschäft mit Verbrauchern einhergingen. Der überwiegende Teil der Gesetzesänderungen ist auf die Überarbeitung existierender oder neu eingeführter Europäischer Richtlinien zurückzuführen, die in den vergangenen Jahren in nationales Recht überführt werden mussten. Parallel dazu nehmen Klageverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH) zu, die sich vermehrt mit verbraucherschützenden Themen befassen. Dieser Beitrag stellt das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Finanzdienstleistungen in den Mittelpunkt der Betrachtung, um anhand dieses Beispiels die Dynamik der neueren Entwicklung bei den Verbraucherschutzrechten aufzuzeigen.
I. EU-Verbraucherrechte-Richtlinie
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1. Die Grundidee der EU-Verbraucherrechte-Richtlinie vom 25.10.20111 waren die vollständige Harmonisierung der Informationspflichten gegenüber Verbrauchern im Fernabsatz oder bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und die Angleichung der seinerzeitigen nationalen Rechtsvorschriften zum Verbraucherschutz in den Mitgliedstaaten. Erleichtert werden sollten dabei die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern sowohl in den nationalen Binnenmärkten als auch grenzüberschreitend innerhalb der Europäischen Union. Dazu gehörte auch die Belehrung über ein bestehendes Widerrufsrecht. Für Fernabsatz-Verträge und außerhalb von in Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen galt seitdem eine einheitliche EU-weite Widerrufsfrist von 14 Kalendertagen. Um den Widerruf für Verbraucher zu erleichtern, wurde ein Muster-Widerrufsformular eingeführt, dessen Nutzung jedoch optional ist. Mit Umsetzungsgesetz vom 20.9.20132 trat die Richtlinie mit Wirkung vom 13.4.2014 in Deutschland in Kraft. In anderen europäischen Ländern wurde die Umsetzung eher langsam angegangen, so dass zum Stichtag die Umsetzung nur in ganz wenigen europäischen Ländern erfolgt war.
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Die Verbraucherrechterichtlinie trat hinsichtlich des Vertriebs von Verträgen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer über die Lieferung von Waren und Dienstleistungen im Fernabsatz neben die Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen und ergänzte den Schutz des Verbrauchers für alle Verbraucherverträge, soweit es sich nicht um Finanzdienstleistungen handelte. Gleichzeitig wurden neue Regelungen getroffen, die den Abschluss von Verbraucherverträgen über den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen betrafen, bei denen die Verträge außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers geschlossen werden. Die Verbraucherrechterichtlinie trat somit an die Stelle der Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (sogenannte „Haustürgeschäfterichtlinie“)3 und löste diese mit ihrem Inkrafttreten ab. Die Verbraucherrechterichtlinie schließt in ihrem Anwendungsbereich Finanzdienstleistungen ausdrücklich aus, Art. 3 Abs. 3 Buchst. d) Verbraucherrechte-Richtlinie.4 Das hat den deutschen Gesetzgeber jedoch nicht davon abgehalten, bei der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie ins deutsche Recht die Finanzdienstleistungen mit einzubeziehen, weil nach Auffassung des Gesetzgebers der Verbraucher bei dem Abschluss von Finanzdienstleistungsverträgen außerhalb der Geschäftsräume des Finanzdienstleisters genauso schutzbedürftig sei wie bei dem Abschluss solcher Verträge in einer Fernabsatzsituation. Dieses hatte der Richtliniengeber anders gesehen, weil er den Verbraucher durch die bestehenden produktspezifischen Vorschriften, die sich aus diversen verbraucherschützenden Richtlinien, wie z.B. der Verbraucherkreditrichtlinie, der Zahlungsdienste-Richtlinien PSD I und II oder MiFID I, ergeben, hinreichend geschützt angesehen hat, wie es sich auch aus dem Erwägungsgrund