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In § 4a BDSG a.F. wurde als Voraussetzung der Wirksamkeit der Einwilligung durch Auslegung des Tatbestandsmerkmals klargestellt, dass die Einwilligung nur wirksam ist, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht.107 Die Freiwilligkeit galt als immanentes Tatbestandsmerkmal der Einwilligung. Die Legaldefinition des Art. 4 Nr. 11 DSGVO setzt dagegen die Freiwilligkeit als Merkmal der Einwilligung nun auch im Normtext ausdrücklich voraus. Nach dieser Legaldefinition muss die zur Einwilligung führende Erklärung oder eindeutige bestätigende Handlung u.a. „eine freiwillige Willensbekundung“ sein. Freiwillig erfolgt die Willensbekundung nur dann, wenn kein Druck oder Zwang (im Sinne von „freely given“) ausgeübt wurde, um die betroffene Person zu einer Einwilligung zu bewegen. ErwG 42 erläutert, dass davon ausgegangen werden sollte, dass die betroffene Personen dann „ihre Einwilligung freiwillig gegeben hat, wenn sie eine echte oder freie Wahl hat und somit in der Lage ist, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden“.
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Die Art.-29-Datenschutzgruppe definierte Freiwilligkeit als die Möglichkeit des Betroffenen, eine echte Wahl zu treffen, d.h. im Zuge der Einholung der Einwilligung nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden und eine realistische Möglichkeit zur Verweigerung oder zum Widerruf der Einwilligung zu haben, ohne dadurch einen Nachteil zu erleiden.108 In den Einzelfällen der Praxis erweist sich diese Definition als noch konkretisierungsbedürftig.
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ErwG 43 verlangt als Voraussetzung einer einwilligungsbasierten Erhebung oder Verwendung die „vorhergehende freie Zustimmung auf der Grundlage einer vorangegangenen umfassenden Information über die erhebende und verantwortliche Stelle, die Art der Daten und den Zweck sowie alle weiteren für eine Entscheidungsfindung relevanten und hinreichend bestimmten Informationen“.
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Wird die Einwilligung im Zusammenhang mit der Gewährung staatlicher Leistungen erteilt, kann von Freiwilligkeit nur die Rede sein, wenn die staatliche Leistung bei Versagen der Einwilligung nicht gefährdet ist. Dazu äußert sich auch der ErwG 43: „Um sicherzustellen, dass die Einwilligung freiwillig erfolgt ist, sollte diese in besonderen Fällen, wenn zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen ein klares Ungleichgewicht besteht, insbesondere wenn es sich bei dem Verantwortlichen um eine Behörde handelt, und es deshalb in Anbetracht aller Umstände in dem speziellen Fall unwahrscheinlich ist, dass die Einwilligung freiwillig gegeben wurde, keine gültige Rechtsgrundlage liefern.“
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Die Steuerungsfähigkeit eines Betroffenen besteht beispielsweise dann nicht mehr, wenn sich ein Drogenabhängiger an eine Drogenhilfeeinrichtung wendet, die erwartet, dass im Interesse der vom Leistungsträger geforderten Qualitätssicherung mehr als die für die Leistungserbringung an den Leistungsträger zwingend erforderlichen Daten auf Grundlage einer Einwilligung übermittelt werden sollen. Die besondere Notlage des betroffenen Drogenabhängigen würde hier dazu führen, dass eine nur mit dem Ziel, dringend benötigte Hilfe zu erhalten, gegebene Einwilligung in eine umfassende Übermittlung von besonders sensitiven Explorationsdaten unwirksam wäre.109
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Ist der Druck gegeben, eine Leistung erlangen zu wollen, die nur bei Einwilligung in eine Datenverwendung erbracht wird, kann von Freiwilligkeit also nicht mehr die Rede sein; die Kopplung einer Leistung an die Zustimmung in eine Datenerhebung oder -verwendung ist dann generell unwirksam. Nochmals: Macht eine Behörde eine Leistungszusage davon abhängig, dass ihr im Gegenzug vom Betroffenen eine Einwilligung in eine mit dem Leistungsbezug in keinem Zusammenhang stehende Datenverarbeitung erteilt wird, ist die Einwilligung unzulässig und unwirksam.110
b) Kopplungsverbot
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Art. 7 Abs. 4 DSGVO enthält das sogenannte Kopplungsverbot, das auf das Merkmal der freien Entscheidung (ohne Druck und Zwang) aus Art. 4 Nr. 11 DSGVO Bezug nimmt. Es darf demnach kein unbilliger emotionaler oder wirtschaftlicher Druck auf die betroffene Person ausgeübt werden, um sie zu einer Einwilligung zu bewegen, ihre Daten für Zwecke zur Verfügung zu stellen, die für den Vertrag nicht erforderlich sind, etwa für Direktmarketing durch den Verantwortlichen oder Dritte.111 Die Aussicht, nicht zu dem gewünschten Vertragsschluss zu kommen, könnte insbesondere bei fehlenden Alternativen auf dem Markt eine solche Drucksituation darstellen. Gibt es vergleichbare alternative Angebote, die der betroffenen Person auch bei entsprechender Recherche bekannt sein können, die keine Kopplung des Vertragsschlusses mit einer Einwilligung voraussetzen, so entfällt auch der Druck, einwilligen zu müssen, um die gewünschte Leistung zu erhalten.112
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Bekanntlich kann es in Privatrechtsbeziehungen bei den sich gegenübertretenden Vertragsparteien bei einer der beiden Parteien eine stärkere Marktmacht mit der Folge ungleicher Verhandlungsmacht geben. Deshalb ist zu diskutieren, ob die Freiwilligkeit der Einwilligungserklärung dort ihre Grenze findet, wo dem Betroffenen seine Einwilligung von der stärkeren Partei „abgepresst“ wurde.113 Im Fall einer einseitigen Bestimmungsmacht eines überlegenen Vertragspartners hinsichtlich der angebotenen Leistung, die für die andere Vertragspartei zur Sicherung ihrer persönlichen Lebensverhältnisse von erheblicher Bedeutung ist, kann die Versagung der Einwilligung in eine weitgehende Preisgabe persönlicher Informationen für sie unzumutbar sein. In einem solchen Fall der einseitigen Bestimmungsmacht ist der „informationelle Selbstschutz“ mit der Konsequenz nicht mehr gewährleistet, dass nicht mehr von einer freien Entscheidung als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung ausgegangen werden kann.
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Ansonsten gilt aber weiterhin grundsätzlich: Die Einwilligung ist nicht allein dadurch unwirksam, dass der Einwilligende nur durch die Einwilligung in den Genuss einer Leistung kommt.114 Andersherum: Die Aussicht, dass das Versagen der Einwilligung zu einem irgendwie gearteten Nachteil führen könnte, lässt nicht allein schon deshalb die Freiwilligkeit entfallen. Die Unwirksamkeit wäre aber jedenfalls dann gegeben, wenn die Verweigerung der erstrebten Leistung schon eine solche Bedeutung für den Betroffenen hätte, dass er zu ihrer Erlangung, auch ohne an die Folgen zu denken, aufgrund des Drucks Daten preiszugeben, bereit wäre. Die aus dem Prinzip der Selbstbestimmung abgeleitete Möglichkeit der Einwilligung kann dann nicht mehr im Interesse des Betroffenen liegen, wenn sie sich von der Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt.115 Die Teilnahme an einem Gewinnspiel an die Einwilligung zu knüpfen, personenbezogene Daten des Teilnehmenden für Werbezwecke nutzen zu dürfen, wäre danach durch das Kopplungsverbot nicht unzulässig.116 Wird als „Gegenleistung“ für eine vermeintlich kostenlose Leistung des Verantwortlichen (Zahlen mit Daten) die Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten für einen außerhalb der Vertragserfüllung liegenden Zweck gesehen, steht das Kopplungsverbot dem nicht entgegen.117 So entschied auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte, dass dem Angebot eines „kostenlosen“ Downloads eines Dokuments gegen Einwilligung in die Zusendung eines Werbe-Newsletters „aus datenschutzaufsichtsbehördlicher Sicht“ nichts entgegenstehe.118
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Danach ist die Einwilligung also nicht freiwillig, wenn der Abschluss eines Vertrags von der Einwilligung zu einer Verarbeitung von solchen personenbezogenen Daten abhängig gemacht wird, die für die Erfüllung des Vertrags nicht erforderlich sind. Der ErwG 43 Satz 2 spricht diesen Normtext nochmals explizit ebenfalls an, ErwG 43 Satz 2: „Die Einwilligung gilt nicht als freiwillig erteilt, ... wenn die Erfüllung eines Vertrags, einschließlich der Erbringung einer Dienstleistung, von der Einwilligung abhängig ist, obwohl diese Einwilligung für die Erfüllung nicht erforderlich ist.“ Gegenstand der Einwilligung wären nur solche Daten, die im Vertragskontext nicht schon aufgrund eines Erlaubnistatbestands etwa aus Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b DSGVO erlaubtermaßen verarbeitet werden dürfen. Bei den von Absatz 4 angesprochenen Daten geht es stets um solche Daten, die der Verantwortliche nicht nur für die Vertragserfüllung