die Königin, »mich dünkt, daß ich ebenso religiös und ebenso gläubig an die Vorsehung bin, als Sie, aber dennoch ist es meine Meinung, daß man sie ein wenig unterstützen muß.«
»Das war auch die Ansicht des Königs von Polen, Sire,« fügte Favras bei, »denn er erklärte seinen Freunden entschieden, da er seine Lage nicht mehr als haltbar erachte und sein Leben in Gefahr glaube, so wünsche er, daß man ihm mehrere Fluchtpläne entwerfe und vorlege. Trotz der Schwierigkeit, wurden drei Pläne angeboten; ich sage, trotz der Schwierigkeit, Sire, weil Eure Majestät bemerken wird, daß es viel schwieriger für den König Stanislaus war, aus Danzig zu entkommen, als es für Sie, zum Beispiel, wäre, wenn es Eurer Majestät in den Sinn käme, aus Paris wegzugehen. Mit einer Postchaise, – wenn Eure Majestät geräuschlos und ohne Aufsehen zu erregen abreisen wollte, – mit einer Postchaise könnte Eure Majestät in einem Tag und in einer Nacht die Grenze erreichen; – oder wenn sie Paris als König verlassen wollte, könnte sie einem Edelmann, den sie mit ihrem Vertrauen beehrte, Befehle geben, dreißigtausend Mann zu sammeln und sie aus dem Palaste der Tuilerien abzuholen. In dem einen oder dem andern Fall wäre das Gelingen sicher, das Unternehmen gewiß.«
»Sire,« sprach die Königin, »was Herr von Favras da sagt, Eure Majestät weiß, daß es die strenge Wahrheit ist.«
»Ja,« erwiederte der König, »aber meine Lage ist entfernt nicht so verzweifelt, als es die des Königs Stanislaus war. Danzig war umgeben von Moskowiten, wie der Marquis sagte; die Festung Weichselmünde, sein letztes Vollwerk, hatte capitulirt, während ich . . .«
»Während Sie,« unterbrach ihn ungeduldig die Königin, »Sie sind mitten unter den Parisern, welche am 14. Juli die Bastille genommen haben, welche in der Nacht vom 5. auf den 6. October Sie ermorden wollten und am Tage des 6. Sie mit Gewalt nach Paris zurückführten, wobei diese Menschen während der ganzen Zeit, welche die Fahrt dauerte, Sie und Ihre Familie beleidigten und beschimpften . . .Ah! es ist wahr, die Lage ist schön und verdient, daß man sie der von König Stanislaus vorzieht!«
»Aber, Madame . . .«
»König Stanislaus risquirte nur das Gefängniß, den Tod vielleicht, indeß wir . . .«
Ein Blick des Königs hielt sie zurück.
»Uebrigens,« fuhr die Königin fort, »Sie sind der Gebieter; Sie haben zu entscheiden.«
Und sie setzte sich ungeduldig dem Portrait von Karl I. gegenüber.
»Herr von Favras,« sagte sie, »ich habe so eben mit der Marquise und Ihrem ältesten Sohne gesprochen; ich habe sie Beide voll Muth und Entschlossenheit gefunden, wie es sich für die Frau und den Sohn eines wackeren Edelmanns geziemt; was auch geschehen mag – angenommen, es geschehe Etwas, – sie können auf die Königin von Frankreich zählen; die Königin von Frankreich wird sie nicht verlassen: sie ist die Tochter von Maria Theresia und weiß den Muth zu schätzen und zu belohnen.«
Gestachelt durch das ungestüme Benehmen der Königin, sprach Ludwig XVI.:
»Mein Herr, Sie sagen, es seien dem König Stanislaus drei Entweichungsmittel vorgeschlagen worden?«
»Ja, Sire.«
»Und diese Mittel waren?«
»Das erste, Sire, war, sich als Bauer zu verkleiden; die Gräfin Chapska, welche vortrefflich Deutsch sprach, erbot sich, – einem Manne sich anvertrauend, den sie erprobt hatte und der das Land ganz genau kannte, – sich als Bäuerin zu verkleiden und ihn für ihren Gatten auszugeben. Das war das Mittel, von dem ich so eben zum König von Frankreich sprach, als ich ihm sagte, wie leicht es für ihn wäre, falls er incognito und nächtlicher Weile fliehen wollte . . .«
»Das zweite?« fragte Ludwig XVI., als sähe er mit Ungeduld auf seine eigene Lage irgend eine Anwendung von der machen, in welcher sich Stanislaus befunden hatte.
»Das zweite, Sire, war, tausend Mann zu nehmen und mit ihnen einen Durchbruch durch die Moskowiten zu wagen; das ist auch dasjenige, welches ich vorhin dem König von Frankreich darbot, indem ich bemerkte, er habe nicht tausend, sondern dreißigtausend Mann zu seiner Verfügung.«
»Herr von Favras, Sie haben gesehen, wozu mir diese dreißigtausend Mann am 14. Juli dienten. Gehen wir zum dritten Mittel über.«
»Das dritte Mittel, das, welches Stanislaus annahm, war, sich als Bauer zu verkleiden und aus Danzig wegzugehen, – nicht mit einer Frau, welche ein Hinderniß auf dem Wege sein konnte, nicht mit tausend Mann, welche alle vom ersten bis zum letzten getödtet werden konnten, ohne daß es ihnen gelänge, einen Durchbruch zu bewerkstelligen, sondern nur mit zwei bis drei sicheren Männern, welche immer und überall durchkommen. Dieses Mittel war von Herrn Monti, dem französischen Gesandten, vorgeschlagen und von meinem Verwandten, dem General Steinflicht, unterstützt.«
»Dieses wurde also angenommen?«
»Ja, Sire; und wenn ein König, der sich in der Lage des Königs von Polen befände oder zu befinden glaubte, sich zu diesem Mittel entschließen und mir gnädigst dasselbe Vertrauen gewähren würde, das Ihr erhabener Ahnherr dem General Steinflicht schenkte, so glaubte ich für ihn bei meinem Kopfe haften zu können, besonders, wenn die Wege so frei wären, wie es die Wege in Frankreich sind, und wenn der König ein so guter Reiter wäre, als es Eure Majestät ist.«
»Allerdings,« sagte die Königin. »Doch in doch Nacht vom 5. auf den 6. October hat mir der König geschworen, nie ohne mich abzureisen und sogar nie einen Plan zur Abreise zu machen, bei dem ich nicht betheiligt wäre; das Wort des Königs ist verpfändet, mein Herr, und der König wird es nicht brechen.«
»Madame,« erwiederte Favras, »das macht die Reise schwieriger, aber nicht unmöglich, und wenn ich die Ehre hätte, eine solche Expedition anzuführen, so wollte ich dafür haften, daß ich den König, die Königin und die königliche Familie unversehrt nach Montmédy oder nach Brüssel brächte, wie der General Steinflicht den König Stanislaus unversehrt nach Marienwerder gebracht hat.«
»Sie hören, Sire!« rief die Königin, »ich glaube, daß mit einem Manne, wie Herr von Favras, Alles zu thun und nichts zu fürchten ist.«
»Ja, Madame,« erwiederte der König, »ich bin auch dieser Ansicht, nur ist der Augenblick noch nicht gekommen.«
»Gut, mein Herr,« versetzte die Königin, »warten Sie, wie es derjenige gethan hat, dessen Portrait uns anschaut, und dessen Anblick, – ich glaubte es wenigstens, – Ihnen einen besseren Rath geben mußte . . .warten Sie, bis Sie genöthigt sind, zu einer Schlacht zu greifen; warten Sie, bis diese Schlacht verloren ist; warten Sie, bis Sie Gefangener sind; warten Sie, bis sich das Schaffot unter Ihrem Fenster erhebt, und dann werden Sie, der Sie heute sagen: »»Es ist zu früh!«« genöthigt sein, zu sagen: »»Es ist zu spät!««
»In jedem Falle, Sire, zu welcher Stunde es sein mag, und bei seinem ersten Worte wird mich der König bereit finden,« sprach Favras, indem er sich verbeugte; denn er befürchtete, seine Gegenwart, welche diesen Conflict zwischen der Königin und Ludwig XVI. herbeigeführt, könnte den König ermüden. »Ich habe nur mein Dasein meinem Souverain bieten, und ich sage nicht, daß ich es ihm biete, ich sage, daß er jeder Zeit das Recht gehabt hat und haben wird, darüber zu verfügen, da dieses Dasein ihm gehört.«
»Es ist gut, mein Herr,« erwiederte der König, »und im erheischenden Falle erneuere ich Ihnen in Betreff der Marguise und Ihrer Kinder das Versprechen, das Ihnen die Königin gegeben hat.«
Diesmal war es ein wirklicher Abschied. Der Marquis war genöthigt, ihn zu nehmen, und wie große Lust er vielleicht auch hatte, zu beharren, ging er doch, da er keine andere Ermuthigunq fand, als den Blick der Königin, sachte rückwärts schreitend ab.
Die Königin folgte ihm mit den Augen, bis der Vorhang vor ihm niedergefallen war.
»Ah! mein Herr,« sprach sie dann, die Hand gegen das Gemälde von Van Dyck ausstreckend, »als ich dieses Bild in Ihr Zimmer hängen ließ, glaubte ich, es werde Sie besser inspiriren.«
Und hochmüthig, als verachtete sie es, das Gespräch zu verfolgen, ging sie auf die Thüre des Alcoven zu; plötzlich aber blieb sie stille stehen und sagte:
»Sire,