bei Henselt Unterricht nehmen zu lassen, als sie jedoch diese Elogen hörte, wurde sie anderen Sinnes.«
»Die Weisheit der Ahnen erklärte es für unanständig, eine Künstlerin zu sein!« bemerkte Raiski.
»Ich erwartete jenen Abend mit Ungeduld,« fuhr Sophie fort, »weil Jelnin nicht wußte, daß ich jene Sonate einstudiert hatte . . .«
Sie hielt, ein wenig verwirrt, in ihrer Erzählung inne.
»Ich verstehe!« warf Raiski ein.
»Die Gäste waren versammelt, die einen sangen, die anderen trugen etwas auf dem Klavier vor, er aber war noch nicht da. Mama fragte mich zweimal, ob ich nicht die Sonate spielen wolle. Ich suchte sie so lange wie möglich hinzuhalten, und endlich befahl sie mir ohne weiteres, zu spielen: j’avais le coeur gros – und ich setzte mich ans Klavier. Ich glaube wohl, daß ich sehr bleich war, kaum aber hatte ich die Introduktion gespielt, als ich im Spiegel Jelnin erblickte – er stand dicht hinter mir . . . Man sagte mir später, ich sei feuerrot geworden, doch glaube ich nicht, daß es der Fall war,« fügte sie verschämt hinzu. »Ich war einfach erfreut, ihn zu sehen, weil ich wußte, daß er Musik verstand . . .«
»Sprechen Sie nur selbst, Cousine, lassen Sie nicht Ihre Ahnen für sich sprechen!«
»Ich spielte, spielte . . .«
»Mit Begeisterung, feurig, leidenschaftlich . . .« soufflierte er ihr.
»Wohl möglich,« sagte sie, »wenigstens schienen alle gefesselt von meinem Spiel und saßen schweigend da, niemand rief ein banales ›charmant!‹ oder ›bravo!‹ und als ich fertig war, erklang rauschender Beifall von allen Seiten, und man umringte mich . . . Aber ich achtete darauf nicht weiter, hörte die Glückwünsche nicht – ich wandte mich, als die Sonate zu Ende war, nur zu ihm . . . Er streckte mir die Hand entgegen, und ich . . .«
Sophie hielt verwirrt inne.
»Nun? Sie stürzten auf ihn zu . . .«
»Wieso denn? Nein, ich streckte ihm gleichfalls meine Hand entgegen, und er drückte sie. Und da kann es wohl sein, daß wir beide erröteten . . .«
»Weiter nichts?«
»Nein. Ich faßte mich rasch und antwortete auf die anerkennenden Worte und die Glückwünsche, die von allen Seiten ertönten. Und dann wollte ich auf Mama zutreten, doch ich warf nur einen Blick auf sie, und ein Schreck durchfuhr mich. Ich ging zu den Tanten, aber sie machten nur eine ganz flüchtige Bemerkung und ließen mich stehen. Jelnin sah mich aus der Ecke mit solchen Augen an, daß ich in ein anderes Zimmer ging. Mama begab sich, als die Gäste fort waren, in ihr Zimmer, ohne mir gute Nacht zu sagen. Nadjeschda Wassiljewna schüttelte den Kopf, als sie sich von mir verabschiedete, und Anna Wassiljewna hatte Tränen in den Augen . . .«
»Jeder Mensch hat seinen Sparren,« bemerkte Raiski; »diese hier scheinen den Anstandssparren gehabt zu haben . . . Nun, und am nächsten Morgen?«
»Am nächsten Morgen,« fuhr Sophie mit einem Seufzer fort, »erwartete ich, daß man mich sogleich zu Mama rufen würde, doch wurde ich eine ganze Weile nicht gerufen. Endlich holte mich ma tante Nadjeschda Wassiljewna und sagte trocken, ich solle zu Mama kommen. Ich hatte starkes Herzklopfen und konnte anfangs gar nicht unterscheiden, wer in Mamas Zimmer war und was dort vorging. Es war dunkel im Zimmer, die Stores und Portieren waren heruntergelassen, Mama schien ermüdet; neben ihr saßen die Tanten, mon oncle, prince Serge und Papa . . .«
»Also der ganze Areopag – und dazu die Ahnenbilder an der Wand!«
»Papa stand am Kamin und wärmte sich. Ich sah einen Moment zu ihm hin und dachte, er würde mir einen freundlichen Blick schenken – es wäre mir leichter ums Herz geworden. Aber er war offenbar bemüht, mich nicht anzusehen; der arme Papa fürchtete sich vor Mama, ich sah jedoch, daß ich ihm leid tat. Er biß sich beständig auf die Lippen: Sie wissen, daß er das immer tut, wenn er erregt ist.«
»Und was taten nun die anderen?«
» ›Beantworten Sie mir eine Frage: wer sind Sie, und was sind Sie?‹ begann Mama leise. – ›Ich bin Ihre Tochter,‹ antwortete ich kaum hörbar. – ›Es scheint nicht der Fall zu sein. Wie benehmen Sie sich!‹ – Ich schwieg – was hätte ich ihr auch antworten sollen? . . .«
»O Gott! Darauf sollte es keine Antwort geben?« fuhr Raiski heraus.
» ›Was für eine Szene haben Sie denn da gestern zum besten gegeben: war das eine Komödie oder ein Drama? Und wer ist denn der Verfasser – Sie selbst oder dieser Lehrer, dieser . . . Mr. Jelnin?‹ – ›Ich habe keine Szene gespielt, maman,‹ brach es aus mir hervor . . . und es war mir dabei so beklommen zumute. – ›Um so schlimmer,‹ sagte sie—, il y a donc su sentiment lá dedans? Hören Sie doch,‹ wandte sie sich an Papa, ›was Ihre Tochter sagt . . . wie gefällt Ihnen dieses Geständnis? . .‹ Der arme Papa war noch verwirrter und schaute noch kläglicher drein als ich selbst; ich wußte, daß er allein mir nicht zürnte, ich hätte am liebsten vor Scham in jenem Augenblick sterben mögen. . . ›Wissen Sie, wer dieser Ihr Lehrer ist?‹ fuhr Mama fort. ›Fürst Serge hat sich nach ihm erkundigt: er ist der Sohn irgendeines Arztes, läuft als Privatlehrer in der Stadt herum, schreibt Gedichte, besorgt für Geld die französische Korrespondenz russischer Geschäftsleute und lebt davon . . .‹ – ›Welche Schmach!‹ rief ma tante voll Abscheu. – Ich hörte nichts weiter, denn eine Ohnmacht überkam mich. Als ich wieder meine Besinnung erlangt hatte, saßen beide Tanten neben mir, während Papa mit der Riechflasche daneben stand. Mama war nicht im Zimmer, vierzehn Tage lang bekam ich sie überhaupt nicht zu Gesicht. Als sie sich dann wieder sehen ließ, bat ich sie unter Tränen um Verzeihung. Mama sagte mir, wie entsetzt sie über jene Szene gewesen sei, sie wäre fast krank geworden vor Aufregung, und das Schlimmste sei gewesen, daß Cousine Neljubowa alles gesehen und den Michailows weitererzählt habe, und diese hätten ihr Vorwürfe gemacht, sie beaufsichtige mich nicht genug und gewähre Gott weiß wem Zutritt zum Hause. – ›Und das habe ich alles nur dir zu verdanken!‹ schloß Mama ihre Vorhaltungen. Ich bat sie nochmals, mir zu verzeihen und diese Dummheit zu vergessen, und gab ihr mein Wort darauf, daß ich ihr in Zukunft keinen Anlaß zum Tadel geben würde.«
Raiski lachte laut auf.
»Ich dachte Gott weiß was für ein Drama noch kommen würde!« sagte er. »Und Sie erzählen mir die Geschichte eines sechsjährigen Mädchens! Ich hoffe, Cousine, wenn Sie einmal eine Tochter haben sollten, dann werden Sie anders handeln . . .«
»Wie denn – meinen Sie, ich würde meine Tochter einem Lehrer zur Frau geben?« sagte sie. »Das können Sie doch unmöglich im Ernst annehmen!«
»Warum nicht – wenn er ein anständiger Mensch ist und eine gute Erziehung hat? . . .«
»Niemand weiß es, ob Jelnin ein anständiger Mensch war: im Gegenteil, ma tante und Mama sagten, er habe schlechte Absichten gehabt, er habe mir den Kopf verdrehen wollen . . . aus Eitelkeit, weil er es nicht wagte, mir mit ernsten Absichten zu nahen . . .«
»Nein!« rief Raiski leidenschaftlich aus. »Man hat Sie betrogen. Wenn Ihre Stutzer, Ihre Cousins, ein prince Pierre, ein comte Serge einem jungen Mädchen den Kopf verdrehen wollen, dann werden sie nicht blaß und rot – sie sind es, die böse Absichten haben! Jelnin aber hatte gar keine Absichten, er liebte Sie aufrichtig, wie ich aus Ihren Worten ersehe. Und diese Herren da« – er zeigte, ohne sich umzudrehen, mit dem Finger auf die Porträts an der Wand – »die heiraten Sie par convenance, und dann betrügen sie Sie mit der ersten besten Tänzerin . . .«
»Cousin!« rief Sophie ernst, fast erschrocken.
»Sie wissen doch das alles selbst, Cousine . . .«
»Was sollte ich denn sonst tun? Sollte ich Mama sagen, daß ich Mr. Jelnin heiraten wolle? . . .«
»Ja – Sie hätten in Ohnmacht fallen sollen, nicht aus dem Grunde, aus dem es geschah, sondern weil man es wagte, sich in Ihre Herzensangelegenheiten einzumischen! Sie hätten aus dem Hause gehen und seine Frau werden sollen. Er schriftstellert, korrespondiert, gibt Stunden, nimmt Geld dafür und lebt davon – welche Schmach in der Tat! Und jene da« – er zeigte wieder auf die Ahnen »nahmen Geld, schrieben keine Verse und lebten immer nur von fremder