Иван Гончаров

Die Schlucht


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Triller an und spielte einige Motive aus verschiedenen Opern, um das Wimmern dort drüben nicht zu hören, und schließlich vergaß er es über seinen eigenen Improvisationen.

      Vor seinem Geiste schwebte Sophie: während des Spiels sah er nur immer sie, schon war ihre Leidenschaft geweckt, schon liebte und litt sie – doch als er dann fragte: »Wer ist’s, den sie liebt?« – da brach sein Spiel plötzlich wie von selbst ab. Er erhob sich vom Klavier und öffnete das Pförtchen.

      »Er spielt immer noch!« murmelte er ganz verwundert und wollte das Pförtchen sogleich wieder zuwerfen, als er plötzlich wie gebannt stehenblieb.

      Das waren nicht dieselben Töne: nicht jenes Wimmern, jenes ewige Wiederholen der schwierigen Passagen vernahm er. Eine kräftige Hand führte den Bogen; er hatte das Gefühl, als strichen sie unmittelbar über seine Nerven hin. Die Töne weinten und lachten wie auf Geheiß, und es war, als ob sie den Zuhörer in ein wogendes Meer versetzten, ihn jetzt tief in den Abgrund schleuderten, dann plötzlich in die Höhe emporschnellten und durch die Lüfte forttrügen.

      Welten öffneten sich vor ihm, Visionen tauchten auf, zauberische Gefilde weiteten sich. Mit Augen und Ohren lauschte Raiski dem Spiel: er sah nur die Gestalt dort in der bloßen Weste und in Hemdärmeln; eine Kerze beleuchtete die feuchte Stirn, die Augen waren nicht sichtbar. Boris schaute starr und unbeweglich nach ihm hin, wie dereinst nach Waßjukow.

      »O, was ist das?« dachte er, während er erschauernd, fast erschreckt, diesen harmonisch hinflutenden Tonwellen lauschte.

      »Was ist das?« wiederholte er seine Frage – »woher kommen ihm diese Töne? Wer hat sie ihm eingegeben? Verdankt er sie seiner monate- und jahrelangen Eselsarbeit, seiner Geduld und Ausdauer? Jahrelang Gipsköpfe zeichnen, jahrelang auf den Saiten herumsägen – ist’s das, was dem Bilde Feuer und Leben leiht, was die Kraft gibt, den magischen Punkt oder Strich hinzusetzen, was dem Spiel die Leidenschaft, den nervös vibrierenden Fingern die Zauberkraft einflößt? Alles das ist mir doch nicht fremd: der magische Punkt, und das nervöse Vibrieren, und die flammende Leidenschaft – sie sind hier, in meiner Brust!« Er schlug sich bei diesen Worten selbst gegen die Brust. »Nur eins vermag ich nicht: sie in einer anderen Brust aufflammen zu lassen! Ich bringe es nicht fertig, mit meinem Feuer das Blut des Zuschauers zu entzünden! Das heilige Feuer geht bei mir nicht über in die Töne, läßt sich nicht bannen in meine Bilder. Die Gestalten meiner Gedichte, meiner Romane gruppieren sich nicht harmonisch – wie geht das nur zu?«

      Und wiederum lauschte er und war ganz Ohr: er hörte weder den Bogen noch die Saiten; das Instrument war nicht vorhanden, frei und begeistert schien die Brust des Künstlers selbst zu tönen.

      Tränen der Rührung traten Raiski in die Augen, und er schloß leise das Pförtchen.

      Geduld und Ausdauer – besaß er selbst sie denn nicht, diese wundertätigen Eigenschaften? Welche Anstrengungen machte er nicht, um . . . seine Pläne bei der Cousine durchzusetzen, wieviel Geist, Phantasie und Anstrengung verwandte er darauf, um in ihr das Feuer, das Leben, die Leidenschaft zu wecken! . . . Das war das Ziel, das seine Kräfte in Anspruch nahm!

      »Du darfst nicht die Kunst ins Leben hinaustragen wollen,« flüsterte ihm jemand zu, »sondern mußt vielmehr Leben bringen in die Kunst! Hüte die Kunst, hüte deine Kräfte!«

      Er trat an die Staffelei und zog den grünen Taft zurück: ein Porträt Sophies wurde sichtbar – ihre Augen, ihre Schultern, ihre Ruhe.

      »Jetzt aber ist sie eine andere,« flüsterte er. »Anzeichen des Lebens sind in ihr erwacht, und ich sehe sie – da, da sind sie, vor meinen Augen! Wie soll ich sie nur festhalten?« Er nahm den Pinsel und die Palette, änderte ein wenig an den Augen und an der Linie der Lippen, legte dann mit einem Seufzer den Pinsel wieder hin und trat von dem Bilde weg. Das Kleid, die Spitzen, der Samt waren nur oberflächlich hingeworfen. Und die Hände waren nicht richtig.

      Er betrachtete noch ein paar verstaubte Bilder: alles begonnene und flüchtig entworfene Skizzen; dann besah er einige Gemälde in Rahmen und verweilte da und dort länger am längsten bei dem Kopfe des Hektor.

      Endlich nahm er ein kleines Ölgemälde in die Hand, es war eine rasch hingeworfene Porträtstudie, die ein blondes junges Weib darstellte. Er stellte das Bild auf die Staffelei, setzte sich an den Tisch und saß, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, mit den Fingern in seinem Haar wühlend und den gramerfüllten Blick unbeweglich auf den Kopf gerichtet, eine ganze Zeit lang da.

      Ganz in sich gekehrt, wie geistesabwesend, saß und saß er da. Dann erwachte er plötzlich aus seinem Brüten, setzte sich an den Schreibtisch und begann unter seinen Manuskripten zu suchen. Einige davon durchblätterte er kopfschüttelnd, zerriß sie und warf sie in den Papierkorb unter dem Schreibtisch; andere legte er auf die Seite. Unter den Stößen literarischer Versuche, die da aufgehäuft waren, fand er ein Heft mit der Aufschrift: »Natascha«.

      Er hatte darin ein Episode aus seiner Vergangenheit geschildert, aus der Zeit, als er eben zum Leben erwacht war, als er liebte und geliebt wurde. Vor langer Zeit schon hatte er das geschrieben, unter dem Einfluß eines Gefühls, das ihn ganz erfüllte. Er wußte damals selbst nicht, warum er es niederschrieb – vielleicht war es in der sentimentalen Absicht geschehen, diese Blätter dem Gedächtnis seiner armen kleinen Freundin zu weihen, oder sie als Andenken an seine Jugendliebe für das Alter zu bewahren; vielleicht lebte aber auch schon damals in ihm die Idee des Romans, von dem er Ajanow gesprochen hatte, in dem er diese rührende Episode aus seinem eigenen Leben als Sujet verwenden wollte. Er sprach darin von sich in der dritten Person, und die Gestalt des zärtlich liebenden Weibes war ihm die Hauptsache in dieser leicht hingeworfenen Skizze.

      ». . . Als er vom Mittagessen in seinem Künstlerkreise nach Hause kam,« las Raiski halblaut in seinem Heft, »fand er auf dem Tische einen Zettel mit den Worten: ›Besuche mich, lieber Boris, ich liege im Sterben! Deine Natascha.‹

      »O Gott, Natascha!« schrie er ganz außer sich und eilte die Treppe hinunter. Er stürzte auf die Straße, jagte in einer Droschke nach dem engen Seitengäßchen an der Erscheinungskirche, betrat hastig das Haus und eilte in das dritte Stockwerk hinauf. Zwei Wochen lang war er nicht dagewesen, zwei ganze Wochen lang – eine Ewigkeit! Wie ging es ihr?

      Er blieb atemlos vor der Tür stehen. In seiner Aufregung griff er bald nach dem Klingelzug, bald ließ er ihn wieder los. Endlich zog er doch die Klingel und trat ein.

      Die Wirtin – eine ältere Frau, die Gattin eines Beamten – trat ihm entgegen. Schweigend, mit einem Blick, in dem er deutlich den Vorwurf lesen konnte, nahm sie seine Verbeugung entgegen, und auf die im Flüsterton vorgebrachte Frage: ›Wie geht es ihr?‹ antwortete sie nichts, sondern ließ ihn an sich vorübergehen, schloß leise die Tür hinter ihm und entfernte sich.

      Er trat auf den Zehenspitzen in das Zimmer und sah sich voll Unruhe nach Natascha um.

      Im Zimmer stand ein mit Rips überzogener Diwan aus Mahagoniholz und davor ein runder Tisch; auf dem Tische erblickte er ein Arbeitskörbchen und eine angefangene Handarbeit.

      In einer Ecke glomm vor einem Heiligenbilde ein Öllämpchen; an den Wänden standen Stühle mit dem gleichen Überzug wie der Diwan, auf dem Fenster zwei Blumentöpfe mit welkgewordenen Blumen und zwei kleine Vogelbauer, in denen die Kanarienvögel schliefen.

      Er blickte nach dem Bettschirm und fürchtete sich, weiterzugehen.

      ›Wer ist da?‹ ließ eine leise Stimme hinter dem Schirm sich vernehmen.

      Er trat hinter den Schirm. Dort lag im Bett zwischen den Kissen, vom trüben Licht einer kleinen Nachtlampe beleuchtet, eine blonde junge Frau. Ihr Gesicht war ganz bleich, wie wächsern, ihr Blick heiß und glühend, und die Lippen waren blaß und trocken. Sie wollte sich nach ihm umwenden; als sie ihn erblickte, machte sie eine lebhafte Bewegung und faßte mit der Hand nach ihrer Brust.

      ›Du bist es, Boris, du!‹ rief sie zärtlich mit matter Freude, reichte ihm ihre beiden abgemagerten, bleichen Hände und sah ihn immer wieder an, als wollte sie ihren Augen nicht trauen.

      Er beugte sich über sie und küßte ihre Hände.

      ›Du bist bettlägerig – und hast mich bis heut nichts davon wissen lassen!‹ sagte er im Tone des Vorwurfs.

      Sie