banger Erwartung wird es sich härmen und dem Morgen, dem Übermorgen entgegenschauen . . . Sie werden nicht essen, nicht schlafen, werden die Nacht ohne Schlummer, ohne Ruhe hier in diesem Sessel verbringen. Und wenn Sie ihn dann morgen sehen, oder auch nur die Hoffnung haben, ihn zu sehen, dann werden Sie frischer sein als diese Blume da, Sie werden glücklich sein, und auch er wird unter Ihren strahlenden Blicken das Glück empfinden. Und nicht er allein, sondern auch jeder dritte, der Sie in diesem Glorienschein des Glückes, der Schönheit sehen wird . . .«
»Was ist das nur?« sagte sie und sah unruhig nach der Zimmertür – »es scheint, daß Papa nicht kommt?« Und ganz leise fügte sie nach kurzer Weile hinzu: »Was Sie da eben sagten, ist ganz unmöglich.«
»Warum?« fragte er und sah sie dabei durchdringend an. Seine Phantasie war aufs lebhafteste erregt: unwillkürlich, ganz unbewußt hatte er sich selbst an die Stelle des Helden, der ihm vorschwebte, gesetzt; er sah sie an, bald herausfordernd kühn, bald wie in tiefem Sinnen, als ob er sich selbst vor ihr auf den Knien sähe, mit glühendem Gesichte. Und sein Gesicht war wirklich wie in Flammen getaucht: sie sah ihn das eine und andere Mal an, wandte dann aber ihr Auge nicht mehr nach ihm hin, als hätte sie Angst, ihn anzuschauen.
»Warum unmöglich?« wiederholte er.
»Ich bin doch – ein Kanarienvogel!« versetzte sie.
»O, dann wird diese Portiere hier sich öffnen, und Sie werden hinausflattern aus dem Käfig; dann werden Sie die Tanten und diese verblichenen Herren hier hassen, und jenes Porträt« – er zeigte auf das Bildnis ihres Mannes – »werden Sie nur noch mit einem feindseligen Gefühl ansehen können.«
»Ach, Cousin! . . .« fiel sie ihm vorwurfsvoll ins Wort.
»Ja, Cousine, Sie werden jede Minute für verloren halten, die Sie so wie bisher verbracht haben . . . Ihr Auge wird nicht mehr diesen vornehm kühlen, stolzen Ausdruck haben, es wird so sanft, so nachdenklich blicken, Sie werden auch nicht mehr dieses steife, elegante Kleid tragen . . . unwillig werden Sie dieses massive Armband ablegen und das Kreuz auf Ihrer Brust wird nicht so ruhig und symmetrisch daliegen. Erst wenn Sie mit den Ahnen und Tanten abgerechnet und den Rubikon überschritten haben – erst dann wird für Sie das wahre Leben beginnen . . . Ihre Stunden, Tage, Nächte werden unmerklich dahinfließen . . .« Er setzte sich ganz dicht neben sie, und sie bemerkte es nicht, so tief war sie in Gedanken versunken.
»Sie werden nicht merken, wie sie Ihnen entschwinden,« flüsterte er, »Sie werden nur schwelgen und genießen, werden den Gedanken an ihn nimmer los werden – träumen werden Sie von ihm im Schlafen und Wachen . . .« Er nahm ihre Hand, und sie fuhr zusammen.
»Wenn Sie allein zu Hause weilen, werden Sie plötzlich in Tränen ausbrechen vor Glück: unsichtbar wird jemand in Ihrer Nähe weilen und auf Sie schauen . . . Und wenn in diesem Augenblick er selbst erscheint, werden Sie aufschreien vor Freude, werden aufspringen und . . . und . . . sich an seine Brust werfen . . .«
Beide erhoben sich plötzlich.
»Und Sie werden ihm alles . . . alles geben!« flüsterte er, während er ihre Hand hielt.
»Mon Dieu. mon Dieu!« sagte sie voll Erregung und Ungeduld und entzog ihm fast ärgerlich ihre Hand.
»Und Sie werden bedauern,« flüsterte er weiter, »daß Sie ihm nichts weiter geben, nicht noch ein größeres Opfer bringen können! Sie werden auf die Straße hinauseilen, in finsterer Nacht, allein . . .«
»Mon Dieu, mon Dieu!« rief sie und blickte nach der Tür – »was reden Sie da? . . . Sie wissen doch selbst, daß dies unmöglich ist!«
»Alles ist möglich,« flüsterte er. »Sie werden vor ihm niederknien, werden Ihre Lippen leidenschaftlich auf seine Hand pressen, werden weinen vor Glück und Lust . . .«
Sie nahm in dem Sessel Platz, warf den Kopf zurück und seufzte schwer.
»Je vous demande une grâce, cousin,« sagte sie.
»Sprechen Sie! Befehlen Sie!« rief er ganz begeistert.
»Laissez moi!«
Er ging nach der Tür und sah nach ihr zurück. Sie saß unbeweglich da: nichts weiter war in ihrem Gesicht zu lesen, als nur der ungeduldige Wunsch, daß er schon gehen möchte. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als sie sich erhob, aus der Karaffe ein Glas Wasser eingoß, es langsam austrank und dann die bereits angespannten Pferde abzuschirren befahl. Nun setzte sie sich wieder in den Sessel und saß in tiefem Nachdenken da, ohne sich zu rühren.
Wenige Minuten darauf ließen sich Schritte vernehmen, und die Portiere öffnete sich. Sophie fuhr zusammen, blickte flüchtig in den Spiegel und stand auf. Der Vater trat ein und mit ihm ein Gast, ein Herr in mittleren Jahren, hochgewachsen, brünett, mit melancholischem Gesichte. Es war keine russische Physiognomie. Der Vater stellte ihn Sophie vor.
»Graf Milari, ma chére amie,« sagte er— »grand musicien et le plus aimable garcon du monde. Er ist seit vierzehn Tagen in Petersburg – du hast ihn ja damals bei der Fürstin, beim Balle, gesehen? Verzeih, meine Liebe, ich war beim Grafen, und er ließ mich nicht fort – ich konnte dich nicht zum Theater abholen . . .«
»Ich habe schon ausspannen lassen, Papa; ich habe keine Lust, heut hinzufahren,« antwortete sie.
Sophie bat den Gast, Platz zu nehmen. Sie begannen sich über Musik zu unterhalten, und Nikolaj Wassiljewitsch ging, sich auf die Lippen beißend, ins Gastzimmer.
Fünfzehntes Kapitel
Raiski kehrte wie berauscht nach Hause zurück, er achtete kaum auf den Weg, das Treiben der Straße, die Passanten, die vorüberfahrenden Wagen. Er sah nur Sophie – sah sie im Bilde, in einem Rahmen von Samt und Spitzen, ganz in Seide und im Schmuck der Brillanten, doch war es nicht mehr die ruhige, allen Gefühlen unzugängliche Sophie von früher.
Er hatte in ihrem Gesicht die ersten schüchternen Strahlen des Lebens bemerkt, flüchtige Blitze der Ungeduld, dann der Unruhe und Furcht, und zuletzt war es ihm gelungen, eine gewisse Erregtheit, vielleicht ein unbewußtes Bedürfnis nach Liebe in ihr hervorzurufen.
Er hatte den Zweifel in ihre Seele geworfen, vielleicht Fragen in ihr geweckt, vielleicht auch das Bedauern über ein verlorenes Leben, mit einem Wort: er hatte sie in Wallung gebracht. Und in weiter Ferne sah er dann die Leidenschaft von ihrer Seele Besitz nehmen, sah er das Drama sich entwickeln, die Statue sich zum Weibe wandeln.
Vorläufig war er auch schon mit diesem winzigen Erfolge seiner Propaganda zufrieden; er hoffte, daß nun die Ahnen in ihren Augen von dem hohen Piedestal herabsteigen würden.
Noch zwei-, dreimal, dachte er, würde er den Zipfel des Vorhangs vor ihren Augen lüften und sie einen Blick in die strahlende Ferne tun lassen – dann wird ihr plötzlich das Verständnis für das Leben, das Glück aufgehen. Ihr Blick wird verwundert auf jemandem ruhen und sich wieder heben, um starr in die Ferne zu schauen— und wie im Handumdrehen wird sie umgewandelt sein.
»Wer aber wird dieser Jemand sein?« fragte er sich eifersüchtig. »Wird es nicht der sein, der zuerst in ihr den Funken angefacht, das Gefühl geweckt hat? Hatte er nicht ein Anrecht darauf, daß ihr Gefühl sich nun auch ihm zuwandte?«
Er blickte in den Spiegel und versank in Nachsinnen, trat dann ans Fenster, öffnete das Luftpförtchen und atmete die frische Luft ein. Die Klänge eines Violoncells drangen an sein Ohr.
»Ach, da beginnt dieser Kerl wieder auf seinem Instrument herumzusägen!« sagte er ärgerlich, während sein Blick das gegenüberliegende Fenster des Seitenflügels streifte. »Und immer dieselben Passagen!« fügte er hinzu und schloß das Luftpförtchen heftig.
Aber die Töne drangen noch immer, wenn auch nur gedämpft, an sein Ohr. Jeden Morgen und jeden Abend sah er diesen Menschen dort am Fenster, über sein Instrument gebeugt, hörte er die ewigen Wiederholungen dieser fast unmöglichen Passagen, fünfzigmal, hundertmal, ganze Wochen und Monate lang.
»Dieser Esel!« sagte Raiski, legte sich auf den Diwan und versuchte einzuschlafen, aber die Töne verstummten nicht, so tief er auch sein Ohr in das Kissen hineinwühlte. Immer und immer wieder, unaufhörlich klang dieses Sägen und Kratzen durch die Luft.
»Ein