du es nicht wagst!« fuhr plötzlich die Tante heraus, die bisher in zornigem Schweigen dagesessen hatte. Marsinka rückte fast erschrocken an ihren Platz zurück.
»Unverschämte!« begann die Tante zu schelten. »Wo hast du gelernt, von fremden Leuten Geschenke anzunehmen? Von mir sicherlich nicht! Mein Lebtag habe ich von niemand eine Kopeke angenommen . . . Und du hast noch nicht drei Worte mit ihm gesprochen und nimmst schon Geschenke von ihm an! Schäm’ dich was! Wjerotschka hätte das um nichts in der Welt getan, die ist wenigstens stolz!«
Marsinka machte ein mürrisches Gesicht.
»Sie sagten doch selbst vorhin,« versetzte sie ärgerlich, »daß er für uns kein Fremder, sondern unser Bruder ist, und Sie befahlen mir sogar, ihn zu küssen! Von einem Bruder darf man doch alles annehmen.«
»Das ist vollkommen logisch, kein Wort ist dagegen einzuwenden!« pflichtete Raiski ihr bei. »Und so bleibt es also dabei: alles gehört euch, und ich bin euer Gast . . .«
»Nimm’s nicht an!« rief die Großtante in befehlendem Tone. »Sag’: ich will’s nicht, ich brauch’s nicht, wir sind keine Bettlerinnen, wir haben unser eigenes Vermögen!«
»Ich will’s nicht, Bruder, ich brauch’s nicht . . .« wiederholte Marsinka lächelnd, in ironischem Tone. »Meinetwegen: wenn ich’s nicht brauchen soll, dann brauch’ ich’s eben nicht!« fügte sie mit einem Seufzer, doch zugleich mit einem schelmischen Blick auf Raiski hinzu.
»Das wird euch dort auf dem Gute der Tante alles fehlen,« sagte Raiski. »Sieh doch – dieser Blumenteppich rings um das Haus! Wie könntest du es aushalten ohne das Blumengärtchen?«
»Das Gärtchen behalte ich entschieden,« flüsterte sie, »aber lassen Sie die Großtante nichts davon wissen . . .« fügte sie leise, nur mit den Lippen sprechend, hinzu.
»Und die Spitzen, das Leinenzeug, das Silber?« sagte er halblaut.
»Das brauche ich nicht. Spitzen und Silberzeug habe ich selbst . . . Ich esse übrigens am liebsten mit dem Holzlöffel, bei uns geht’s ganz ländlich zu.«
»Und die Porzellantassen, die bauchigen Teekannen? Die bekommst du jetzt nirgends zu kaufen – willst du die nicht nehmen?«
»Die Tassen nehme ich,« flüsterte sie, »und auch die Teekannen, und ebenso diesen Diwan mit den kleinen Sesseln dazu, und das Tischtuch, auf dem die Diana mit den Hunden abgebildet ist. Und auch mein Zimmerchen möcht’ ich mitnehmen . . .« fügte sie mit einem Seufzer hinzu.
»Gewiß, nimm das ganze Haus – bitte, Marsinka, liebes Schwesterchen!«
Marsinka warf einen Blick zur Tante hinüber und nickte dann bejahend mit dem Kopfe.
»Hast du mich gern? Ja?«
»Ach, sehr gern! Als Sie schrieben, daß Sie herkommen, träumte ich jede Nacht von Ihnen, nur sah ich Sie anders im Traume . . .«
»Wie denn?«
»Nun, so mit roten Wangen – nicht so nachdenklich, sondern heiter. Sie liefen munter umher und waren so spaßig . . .«
»So kann ich auch wirklich zuweilen sein.«
Sie sah ihn ungläubig von der Seite an und schüttelte den Kopf.
»Du nimmst also das Häuschen hier an?« fragte er.
»Ja, doch unter der Bedingung, daß Wjerotschka das alte Haus annimmt. Denn allein schäm’ ich mich, Tantchen wird mich schelten.«
»Nun also – abgemacht!« rief er laut, in munterem Tone.
»Mein liebes Schwesterchen! Du bist nicht stolz, bist nicht wie die Tante!«
Er küßte sie auf die Stirn.
»Was ist abgemacht?« fragte die Großtante plötzlich. »Du hast es doch angenommen? Wer hat dir das erlaubt? Wenn du selbst nicht so viel Schamgefühl hast, dann verbiete ich dir’s. Auf fremder Leute Kosten zu leben – unerhört! Hier, Boris Pawlowitsch, nehmen Sie gefälligst die Bücher, die Rechnungen, Register und Besitzurkunden in Empfang. Ich bin nicht Ihr Gutsverwalter.«
Sie legte die Bücher und Schriftstücke vor ihn hin.
»Hier sind vierhundertdreiundsechzig Rubel – das ist Ihr Geld, im März haben es die Bauern für Getreide gezahlt. Aus den Rechnungen sehen Sie, wieviel bar vorhanden sein muß, wieviel die Umbauten, die Reparaturen und der neue Zaun gekostet haben, wieviel Ssawelij an Gehalt bekommt, und so weiter.«
»Tantchen!«
»Hier gibt es kein Tantchen, sondern nur eine Tatjana Markowna Bereschkowa. Ssawelij soll einmal herkommen!« rief sie in das Mädchenzimmer hinein. Wenige Minuten darauf trat ein untersetzter Bauer von etwa fünfundvierzig Jahren ins Zimmer. Die ganze Gestalt war so breit und gedrungen, daß sie fast dick erschien, wiewohl kein Lot Fett an ihr saß. Ssawelij hatte ein finsteres Gesicht mit überhängenden Brauen und breiten Lidern, die er nur langsam emporhob, als ob er keinen Blick umsonst verschwenden wollte. Auch mit Worten war er recht karg; seine Haltung war unbeweglich, und nur mühsam ging die Unterhaltung mit ihm vorwärts. Die Denkarbeit fiel ihm nicht leicht: ließen die Worte ihn im Stich, so nahm er die Augenbrauen, die Stirnfalten und zuweilen auch den Zeigefinger zu Hilfe, um seine Gedanken auszudrücken. Sein Haar war vom Scheitel nach vorn und nach hinten gekämmt und rundherum beschnitten; den Bart rasierte er nur selten, so daß seine Backen und sein Kinn immer wie eine Bürste aussahen.
»Der Gutsherr ist angekommen!« sagte die Großtante und zeigte auf Raiski. Dieser saß da und beobachtete, wie Ssawelij ins Zimmer trat, wie er sich langsam verneigte, wie er ebenso langsam die Augen auf die Tante richtete und, als diese nach ihm hinwies, sie ihm zukehrte, wie er sich dann wieder herumdrehte und nachdenklich verneigte.
»Jetzt hast du immer nur ihm Bericht zu erstatten,« sagte die Großtante – »er wird sein Gut selbst verwalten.«
Ssawelij wandte sich wieder halb nach Raiski um und sah ihn von der Seite, doch schon ein wenig neugieriger, an.
»Sehr wohl!« kam es wie ein Knurren aus ihm hervor, und die buschigen Brauen gingen langsam in die Höhe.
»Tantchen!« suchte Raiski der Großtante halb im Scherz, halb im Ernst Einhalt zu tun.
»Herr Neffe?« versetzte Tatjana Markowna kühl.
Raiski ließ einen Seufzer hören.
»Was geruhen Sie zu befehlen?« fragte Ssawelij leise, ohne aufzublicken. Raiski schwieg und dachte nach, was er ihm wohl befehlen könnte.
»Vortrefflich!« rief er dann plötzlich lebhaft. »Hör’ mal – kennst du irgendeinen Gerichtsbeamten, der ein Schriftstück über die Gutsübergabe aufsetzen könnte?«
»Gawrila Iwanowitsch Mjeschetschnikow schreibt für uns alles, was nötig ist,« sagte Ssawelij nach einigem Überlegen.
»Nun, dann bitte ihn hierher!«
»Sehr wohl!« antwortete Ssawelij, nahm wieder den düsteren Gesichtsausdruck an, machte nachdenklich kehrt und ging langsam aus dem Zimmer.
»Was für ein melancholisches Gesicht dieser Ssawelij hat!« sagte Raiski, dem Davonschreitenden nachblickend.
»Da kann wohl einer melancholisch werden, wenn er ein Weib hat wie diese Marina Antipowna! Erinnerst du dich noch des alten Antip? Nun, also dessen Tochter ist seine Frau! Ein goldener Mensch, dieser Ssawelij – verkauft Getreide, nimmt Geld in Empfang – so ehrlich, so umsichtig: und da muß ihm das Schicksal so mitspielen! Jeder hat sein Kreuz in dieser Welt . . . Und nun sag’: was hast du eigentlich vor? Bist du denn ganz von Sinnen?« fragte sie nach kurzem Schweigen.
»Das gehört also wirklich alles mir?« sagte er und beschrieb mit dem ausgestreckten Arm einen Bogen. »Sie wollen es nicht behalten und verbieten auch den Schwestern, es anzunehmen . . .«
»So laß es doch schon dein eigen bleiben!« versetzte sie.
»Warum willst du es denn verschenken, warum die Bauern freilassen?«
»Ich muß doch irgend etwas damit anfangen! Ich reise wieder ab, Sie wollen sich nicht weiter darum kümmern, also muß