Иван Гончаров

Die Schlucht


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Wort. »Denk an das Sprichwort: Meine Zunge ist mein Feind, sie wurde vor meinem Verstande geboren!«

      »Bin ich ein kleiner Junge, daß ich mein Eigentum nicht geben darf, wem ich will? Und nun gar meinen Verwandten? Ich selbst brauche es nicht,« fuhr er fort, »folglich ist es doch nur recht und verständig, wenn ich es anderen gebe, die es besser brauchen können!«

      »Und wenn du heiratest?«

      »Ich heirate nicht!«

      »Wie kannst du das wissen? Wenn du die Richtige triffst. . . Hier ist zum Beispiel ein reiches Mädchen . . . ich schrieb dir davon . . .«

      »Ich brauche keinen Reichtum!«

      »Er braucht keinen Reichtum: was für Unsinn! Aber eine Frau brauchst du doch?«

      »Auch eine Frau brauche ich nicht.«

      »Wieso denn nicht? Wie willst du denn leben – so, ohne Frau?« fragte sie ungläubig.

      Er lachte, erwiderte jedoch nichts auf ihre Frage.

      »Es ist höchste Zeit, Boris Pawlowitsch,« sagte sie. »Da, an den Schläfen, schimmert es schon ziemlich stark! Willst du, daß ich dir eine Braut verschaffe? Ein hübsches Mädchen, und so wohl erzogen!«

      »Ich will sie aber nicht, Tantchen!«

      »Ich scherze nicht,« versetzte sie. »Die Sache geht mir schon lange im Kopfe herum.«

      »Auch ich scherze nicht – es ist mir nie in den Sinn gekommen, zu heiraten.«

      »Du mußt sie wenigstens kennenlernen.«

      »Auch das mag ich nicht.«

      »Heiraten Sie doch, lieber Bruder!« warf Marsinka ein.

      »Ich würde Ihre Kinder warten . . . ich habe Kinder so gern!«

      »Und du, Marsinka, willst du nicht heiraten?«

      Sie errötete.

      »Sag’ mir die Wahrheit – ins Ohr sag’ sie mir!« flüsterte er.

      »Ja . . . manchmal denk’ ich daran.«

      »Manchmal? Wann ist denn das?«

      »Wenn ich Kinder sehe: ich liebe sie so . . .«

      Raiski lachte, nahm ihre beiden Hände und sah ihr gerade in die Augen. Sie wurde rot und wandte sich bald nach der einen, bald nach der anderen Seite, um seinem Blicke nicht zu begegnen.

      »Ja, hör’ nur auf sie: sie wird dir schon recht etwas vorschwatzen!« bemerkte die Großtante, die auf das Geplauder der beiden lauschte, während sie ihre Hefte samt der Rechenmaschine wegräumte. »Das reine Kind: was sie im Sinne hat, muß auch gleich auf die Zunge!«

      »Ich habe Kinder sehr lieb,« begann Marsinka, ein wenig verwirrt, sich zu verteidigen. »Ich beneide Nadeschda Nikitischna: sie hat sieben Stück! Wohin man sich wendet, überall Kinder. Ist das eine Lust! Ich möchte recht viel solche Brüderchen und Schwesterchen haben, oder wenigstens fremde Kinder. Dann würde ich meine Vögel, meine Blumen, meine Musik – alles würde ich lassen und mich nur um die kleinen Kerlchen kümmern. Der eine tobt herum – der muß in die Ecke gestellt werden! Der will sein Süppchen, jener schreit, noch einer prügelt sich mit den anderen; heute muß einer geimpft werden, morgen müssen seinem Schwesterchen die Ohren durchstochen werden, und dort ist ein ganz Kleines, das erst gehen lernen soll . . . Kann’s etwas Lustigeres geben? Kinder sind so lieb, so graziös von Natur, so drollig, so reizend und gut.«

      »Es gibt doch auch häßliche Kinder,« sagte Raiski – »hast du auch die lieb?«

      »Kranke Kinder gibt’s wohl,« sagte Marsinka ernst – »aber häßliche Kinder gibt es nicht! Ein Kind kann nicht häßlich sein, es ist noch nicht verdorben.«

      Alles das sagte sie mit so viel Eifer, fast leidenschaftlich, und ihre wohlgebildete, volle Brust wogte dabei unter dem Musselin.

      »Das Ideal einer Gattin und Mutter! Marsinka, liebes Schwesterchen! Wie glücklich wird dein Mann einmal sein!«

      Sie setzte sich verschämt in eine Ecke.

      »Immer muß sie mit Kindern zusammen sein – nicht wegzubringen ist sie, wenn sie einmal hier sind,« bemerkte die Großtante. »Das ist dann ein Lärm, ein Spektakel, daß man Reißaus nehmen muß!«

      »Hast du denn auch schon auf jemanden ein Auge?« fuhr Raiski fort. »Hast du schon einen Bräutigam?«

      »Was fällt dir ein, mein Lieber? Was redest du da? Wie kann sie ohne meine Erlaubnis ans Heiraten denken?«

      »Was – nicht einmal daran denken darf sie, ohne daß Sie es erlauben?«

      »Natürlich nicht!«

      »Aber das ist doch ihre Sache!«

      »Nein, nein, nicht ihre Sache ist es, sondern Sache der Tante,« versetzte Tatjana Markowna. »Solange ich am Leben bin, bedarf sie meiner Erlaubnis.«

      »Aber warum denn das?«

      »Was?«

      »Nun, diese Abhängigkeit – daß Marsinka nicht einmal jemanden liebgewinnen darf, ohne Sie zu fragen!«

      »Wenn sie heiratet, darf sie ihren Mann liebhaben.«

      »Wie denn? Heiraten – und dann lieb gewinnen? Umgekehrt, wollten Sie sagen: erst liebgewinnen und dann heiraten!«

      »So! So! Das mag bei euch dort so sein,« sagte die Großtante geringschätzig. »Wir sehen uns hier den Mann erst an, prüfen ihn gehörig, essen erst einen Scheffel Salz mit ihm – dann bekommt er das Mädchen!«

      »Die Mädchen dürfen also hier bei Ihnen noch immer nicht selbst heiraten, sondern werden verheiratet! Ach, Tantchen, hat denn das Sinn?«

      »Bring ihr nur deine Ideen nicht bei, Borjuschka, wenn ich dich bitten darf! . . . Deine verstorbene Mutter hat auch so gedacht . . . und ist vorzeitig ins Grab gestiegen!«

      Sie seufzte und versank in Nachsinnen.

      »Nein, das muß alles anders werden!« dachte Raiski für sich. »Nicht einmal in der Liebe geben sie Freiheit! Welche Rückständigkeit! Und dabei sind es doch gute, liebe Menschen! Aber wieviel Nebel, wieviel Finsternis ist noch in ihren Köpfen!« – Und dann wandte er sich an Marsinka und sagte: »Ich werde dich schon aufklären, Schwesterchen! . . . Sehen Sie doch, Tantchen,« fuhr er, zu Tatjana Markowna gewandt, fort – »dieses Häuschen hier, mit allem, was drum und dran ist, scheint wie für Marsinka eingerichtet! Nur für die Kinder wären noch Räume zu beschaffen. Hab’ keine Angst vor der Tante, Marsinka, immer liebe du! Und Sie, Tantchen, wollen ihr verbieten, das hier als Geschenk anzunehmen!«

      »Nun, schon gut, schon gut – wir werden ja sehen!« sagte die Großtante. »Wenn du selbst nicht heiratest, dann kannst du ja tun, was du willst, gib ihr meinetwegen auch die Spitzen als Hochzeitsgeschenk. Nur, daß niemand etwas davon erfährt, am wenigsten Nil Andreitsch . . . Ganz in aller Stille . . .«

      »Wie denn? Eine anständige, vernünftige Handlung darf hier nur in aller Stille vor sich gehen? Wie lange sollen wir denn noch so leben wie die Eulen, uns vor dem Tageslicht fürchten und auf die Eulenweisheit eines Nil Andrejewitsch hören? . . .«

      »Pst! Pst! Pst!« machte die Großtante. »Wenn er das hören würde! Er ist doch ein alter, wohlverdienter und vor allem so ernster Mann! Wir beide kommen nicht zusammen, seh’ ich – sprich dich mit Tit Nikonytsch aus! Er wird heut’ bei uns zu Mittag essen,« fügte Tatjana Markowna hinzu. Im stillen aber dachte sie: »Wirklich ein Sonderling, ein ganz merkwürdiger Mensch! Vor nichts hat er Respekt, kein Mensch imponiert ihm! Sein Gut verschenkt er, ernsthafte Leute nennt er Dummköpfe und sich selbst einen Unglücklichen! Ich bin neugierig, wie das weiter wird!«

      Drittes Kapitel

      Raiski nahm seine Mütze und schickte sich an, in den Garten zu gehen. Marsinka hatte sich erboten, ihm die ganze Wirtschaft zu zeigen: ihr Gärtchen und den großen Garten, die Gemüsebeete, den Park, die Lauben.

      »Nur in den Wald fürcht’ ich mich zu gehen,« sagte sie; »den Abhang hinunter geh ich nie, dort unten in