sagte die Großtante ärgerlich. »Warum bist du eigentlich hergekommen? Sprich!«
»Um Sie zu sehen, um ein Weilchen auszuruhen und behaglich zu faulenzen, um einen Blick auf die Wolga zu werfen, ein bißchen zu malen, ein bißchen zu schriftstellern, ein bißchen zu zeichnen . . .«
»Und dein Gut? Da gibt’s Arbeit: da kannst du losmalen! Wenn du nicht müde bist, wollen wir aufs Feld fahren und uns die Wintersaat ansehen.«
»Später, Tantchen, später. Ti ti ti, ta ta ta, la la la . . .« sang er wiederum eine Melodie aus dem »Barbier von Sevilla«.
»Was soll das nun: ti ti ti, la la la!« ahmte die Großtante ihm unwillig nach. »Willst du dir das Gut ansehen oder nicht? Willst du es denn nicht übernehmen?«
»Nein, Tantchen, das will ich nicht!«
»Wer soll sich denn nun weiterhin darum kümmern? Ich bin alt, ich bin nicht mehr imstande, es zu verwalten. Wenn ich mich jetzt zurückziehe – was willst du dann machen?«
»Gar nichts werde ich machen . . . Ich lasse das Gut Gut sein und reise ab . . .«
»Willst du es niemandem übergeben?«
»Nein, solange Sie der Sache noch nicht überdrüssig sind, bleiben Sie hier, Tantchen . . .«
»Und wenn ich sterbe?«
»Dann . . . bleibt es, wie es ist.«
»Und die Bauern – die dürfen dann tun und lassen, was sie wollen?«
Er nickte mit dem Kopfe.
»Ich dachte, sie dürften auch jetzt tun, was sie wollen. Man sollte sie freilassen . . .« sagte er.
»Freilassen! Gegen fünfzig Seelen freilassen!« wiederholte sie. »Und womöglich umsonst, ohne daß sie etwas zu zahlen brauchen?!«
»Allerdings!«
»Wovon willst du denn leben?«
»Sie werden das Land von mir pachten, werden mir etwas zahlen.«
»Etwas zahlen! Aus Mitleid, nach Belieben, nicht wahr? Ach, Borjuschka!«
Sie sah auf das Porträt der Mutter Raiskis. Lange ließ sie den Blick auf den verschleierten Augen und dem nachdenklichen Lächeln ruhen.
»Ja,« sagte sie dann halblaut, »ich will ihr nichts nachreden, der Verstorbenen, aber sie ist wohl schuld: sie hat dich nie von sich gelassen, dir immer etwas zugeflüstert, ewig am Klavier gesessen und über den Büchern Tränen vergossen. Nun sieht man, was dabei herausgekommen ist: nichts als ein bißchen singen und zeichnen! Was soll denn mit dem Hause geschehen, was mit dem Silberzeug, der Wäsche, den Brillanten, dem Geschirr?« fragte sie nach einer Weile.
»Sollen das auch die Bauern bekommen?«
»Besitze ich denn Brillanten und Silberzeug? . . .« fragte er.
»Seit wieviel Jahren wiederhole ich dir das immer wieder! Nach deiner Mutter ist’s geblieben: was soll daraus werden? Wart’ einen Augenblick, ich will gleich das Verzeichnis holen . . .«
»Nicht doch, um Gottes willen, nicht nötig, Tantchen! Ich glaub’s ja, ich glaub’s auch so, daß es mir gehört. Ich darf also ganz nach eigenem Ermessen darüber verfügen?«
»Gewiß darfst du das, du bist doch hier der Herr im Hause! Du darfst uns jeden Augenblick hinauswerfen, wir sind nur deine Gäste – das heißt, verzeih: dein Brot essen wir nicht! . . . Da, sieh: hier sind meine Einkünfte, und hier die Einkünfte der beiden Mädchen . . .«
Sie hielt ihm ein paar große Hefte hin, doch schob er sie mit der Hand zurück.
»Ich weiß, ich weiß, Tantchen! Nun, so hören Sie denn: lassen Sie irgendeinen Gerichtsbeamten kommen, der soll ein Dokument aufsetzen, laut dem ich mein Haus, mein bewegliches Eigentum und mein Land meinen lieben Schwestern Wjerotschka und Marsinka zur Mitgift bestimme . . .«
Die Großtante runzelte, während er sprach, unzufrieden die Stirn und erwartete mit Ungeduld das Ende seiner Rede. »Solange Sie jedoch noch leben, Tantchen,« fuhr er fort – »soll alles in Ihrem unmittelbaren Besitz und unter Ihrer Aufsicht bleiben. Die Bauern aber sollen freigelassen werden . . .«
»Das geht nicht!« platzte Tatjana Markowna heftig heraus. »Sie sind nicht arm, sie bekommen jede fünfzigtausend Rubel mit. Und wenn die Großtante tot ist, fällt ihnen dreimal soviel oder vielleicht noch mehr zu: alles bekommen sie! Das geht nicht! Ja, auch die Großtante ist, Gott sei Dank, nicht arm! Es wird sich schon ein Winkel und ein Stück Land für sie finden, wo sie unterkommen kann. Seht doch den stolzen, reichen Herrn, beschenken will er uns! Wir danken, wir danken recht sehr! Marsinka! Wo bist du? Komm doch einmal her!«
»Hier, hier, gleich!« ließ Martinas wohlklingende Stimme sich aus dem Nebenzimmer vernehmen, in das sie während der Auseinandersetzung der beiden hineingegangen war. Frisch, lebhaft, munter, mit einem Lächeln auf den Lippen trat sie jetzt ein und blieb plötzlich stehen. Verwundert sah sie bald Raiski, bald die Großtante an, die ganz aufgeregt schien.
»Hör’ einmal: der Herr Bruder macht dir das Haus und das Silberzeug und die Spitzen zum Geschenk! Du bist ja ein armes Bettlerkind, das ganz mittellos dasteht! Bedank’ dich bei dem Wohltäter, mach’ einen Knicks, küß’ ihm die Hand! Nun, so beeil’ dich doch!«
Marsinka lehnte an dem Ofen und sah beide an – sie wußte nicht, was sie sagen sollte.
Die Großtante schob die Hefte und Bücher samt der Rechenmaschine zur Seite, kreuzte stolz die Arme über der Brust und sah zum Fenster hinaus. Raiski aber setzte sich neben Marsinka und faßte ihre Hand.
»Sag’ einmal, Marsinka, möchtest du in ein anderes Haus ziehen?« fragte er – »vielleicht gar in eine andere Stadt?«
»Gott behüte! Wie wäre das möglich? Wer ist denn auf diesen sonderbaren Einfall gekommen?«
»Nun – wer sonst als Tantchen?« sagte Raiski lachend. Marsinka ward ganz verwirrt; die Großtante hatte zum Glück seine Worte nicht gehört, sie blickte eben ganz ergrimmt zum Fenster hinaus.
»Ich habe doch hier alles, wonach mein Herz sich sehnt: den Garten, die Beete, die Blumen. Und wer soll sich denn um das Geflügel kümmern? Wer soll ihm Futter streuen? Wie kann nur ein Mensch darauf kommen? Um keinen Preis . . .«
»Die Großtante will nämlich von hier fortziehen und euch beide mitnehmen.«
»Wohin denn, warum denn, liebes Tantchen? Was planen Sie denn da?« fragte Marsinka, während sie die Großtante liebkoste.
»Laß mich!« versetzte die Großtante grimmig und schob sie von sich weg.
»Du würdest dieses Nestchen nicht verlassen wollen – nicht wahr, Marsinka?«
»Nein, um nichts in der Welt!« entgegnete Marsinka mit energischem Kopfschütteln. »Meinen Blumengarten, mein Zimmerchen soll ich verlassen? Wie ist das möglich?«
»Und auch Wjerotschka würde nicht fort wollen von hier?«
»Noch weniger als ich: sie würde sich um keinen Preis von dem alten Hause trennen . . .«
»Sie liebt es?«
»Sie wohnt drüben und fühlt sich nur dort wohl. Sie stirbt, wenn man sie von hier wegbringt – beide würden wir sterben.«
»Nun denn, ihr sollt nie von hier weggehen,« sagte Raiski, »und ihr werdet euch auch beide hier verheiraten. Du, Marsinka, wirst hier in diesem Hause wohnen, und Wjerotschka drüben, in dem alten.«
»Gott sei Dank: warum haben Sie mich erst erschreckt? Und Sie – wo werden Sie wohnen?«
»Nirgends. Wenn ich einmal komme, um ein Weilchen euer Gast zu sein, dann werdet ihr mir ein Zimmerchen im Zwischengeschoß einräumen, und wir werden zusammen spazierengehen, singen, Blumen zeichnen, die Hühner füttern: ti ti ti, zip zip zip!« ahmte er lachend ihren Hühnerruf nach.
»O, Sie böser Mensch!« sagte sie. »Ich glaubte, Sie hätten mich gar nicht gesehen, und Sie haben alles gehört!«
»Nun, die Sache ist also abgemacht: ihr nehmt beide