Hermann Stehr

Gesammelte Heimatromane


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Gänse! Die dummen Gänse!« murmelte ich vor mich nieder und konnte es mir doch nicht ganz verhehlen, dies Würgen in der Kehle und dies heiße, aufgelöste Fluten in meiner Brust seien vielleicht Tränen und nicht Schmerz. Auf der Schwelle unseres Hauses wurde ich ruhiger, als habe ich mich aus kreisenden Wassern auf festes Land gerettet. Die Tür war geschlossen; aber wenn ich gegen sie drückte, rührte sich die feine Klingel, und dann entstand ein feiner, trauriger Ton, etwa wie ihn ein schlafender Vogel ausstößt. Das gemahnt mich daran, daß meine Eltern in Ungeduld und Sorge auf mich warteten, und ich trat in den Hausflur.

      Meine Mutter, die mich am Schritt erkannt haben mußte, kam mir im Hause entgegen. »Na, Junge, wie ist's gegangen, schlecht, was?« fragte sie mich mit abgerungener Lustigkeit. Aber die geheime Sorge zerriß die Worte rauh, die spaßend klingen sollten.

      »Ganz gut, Mutter, ja, ganz famos«, antwortete ich. Meine Worte müssen verzweifelt geklungen haben, denn sie faßte mich am Arme, zog mich zu der winzigen Flurlampe und beugte mich zu sich nieder.

      »Sei stille. Red' leise. Mir kannst du alles sagen. Du, Franz!« So redete sie abgerissen auf mich ein, und ihr gutes Gesicht ward immer bekümmerter. Doch sie lächelte standhaft. »Nun, was soll ich denn Schlimmes sagen?« tröstete ich sie. »Ich bin eben durchgekommen. Das ist alles.«

      »Wie du mich erschreckt hast, du lieber, guter Junge. Freu' dich, komm', lach', spring'! Du – du – halber Herr! Da – du Alter, sieh! Der Junge, wie er tut und is – na, sag's alleine, ich hör's auch gerne noch einmal!« Das redete meine Mutter stoßweise, kosend, scheltend, mit einem Worte, glücklich, während sie mich durch die Tür in die Wohnstube vor meinen Vater schleppte, der wie immer in der Sofaecke saß und rauchte.

      Er richtete sich auf und sah meine Mutter mit einem strengen Lächeln an. »Na,« sagte er dann, »wozu denn Spatzen schießen? Es ist, ich sehe, einfach wie's sein muß. – Da, nimm deinen Hut runter. Bist reichlich schnell gelaufen. Setz' dich und iß.« Darauf lehnte er sich zurück und war, als sei nichts vorgefallen.

      Von Zeit zu Zeit, wenn er sich unbeobachtet glaubte, sah er fest auf mich. Dann schimmerte sein Auge. Einmal begegnete ich zufällig diesem Blick unterdrückter Freude. Da räusperte sich der herbe, goldene Mann und brummte wegwerfend: »Na, ja. Das ist doch rein gar nichts.«

      Meine Mutter aber trippelte lächelnd umher, fuhr liebkosend über meinen Scheitel, sooft sie an mir vorüberging, und begann dann sogar ein Lied zu summen. Erst zwischen den Zähnen, durch unser Zuhören ermutigt, lauter und lauter, und endlich verlor sie sich ganz in ihre heimliche Seele. Du hast es mich einst am Fingerwasser singen hören. Weißt du, an jenem Nachmittag. Es war ein uraltes Lied, neckisch und karg, wie sie es wohl als kleines Mädchen zu abendlicher Zeit unter den Torlinden ihres väterlichen Freihofes hatte aufklingen hören, aus der rauhen Brust alter Knechte, die gewohnt sind, die Schmerzen des Lebens innerlich zu erwürgen. Eine Strophe habe ich mir gemerkt:

      Obgleich mein Schiff vor Anker liegt

       bei ganz konträrem Winde,

       hab' ich die Hoffnung immer noch,

       daß ich den Ausweg finde.

      Sie sang den Vers einigemal hintereinander mit einer gang widersinnigen Betonung. Aber sie konnte wohl nur durch Wiederholung dieses Fehlers ganz in jene ferne, fast vergessene Zeit zurücktauchen, da sie die Sorgen noch von der Stirn scheuchen konnte, wie das blonde Gelock mit leichtem Finger sich hinter das Ohr streichen läßt.

      Auch mein Vater hatte endlich zu lauschen begonnen. Aber er wurde düster davon, verfiel in Brüten und ging schlafen, ohne auf uns zu achten. Ehe er die Schlafstubentür öffnete, hörten wir ihn eine Weile stillstehen. Dann begann er knurrend und unwirsch zu reden, als wolle er jemand an seiner Seite vertreiben. Ja, er trat sogar fordernd mit dem Fuße auf, lachte höhnisch, ging leise hinein und prüfte von innen das Schloß.

      Davon kam eine Furcht über mich, ein Mitleid mit meinem Vater. Trostlosigkeit schob sich zwischen mich und meine Mutter, die im Augenblick tausend Fragen in mir ausbrütete.

      Wir hatten beide das Gesicht nach der Tür gewandt und sahen uns doch peinvoll in die Augen. Da schnappte der Riegel hinter die Haspe. Meine Mutter fuhr zusammen und kehrte sich dann aufatmend zu mir.

      Ihr Gesicht war bleich und trug zu meinem Erschrecken unzählige seichte Runzeln, daß es wie zerknittert aussah. Wie war sie in den drei Jahren meines Fortseins gealtert! Sie saß schon etwas gebückt, die abgemagerten Schultern hingen wie geknickte Flügel. Nur in den Augen, die sich nun langsam mit Wasser füllten, lag die alte Jugend ihrer unbegrenzten Liebe.

      »Ja, ja, Franz,« hauchte sie, »so treibt er's schon lange. Der Himmel mag's wissen; aber das nimmt kein gut Ende.« Mit stummem Nicken, von dem die Tränen niederfielen, die im Auge gestanden hatten, endete sie und blieb dann gebeugt sitzen, mit weiten, lesenden Augen. Kein Wort sagte sie mehr, denn sie wußte, daß ich das sah, was ihre Augen aus der Luft sogen.

      »Aber, Mutter, warum gab er den Widerstand so schnell auf?« fragte ich aus der Mitte meiner Gedanken.

      »Er mußte«, antwortete sie dumpf.

      »Nein, man muß nicht«, sprach ich erregt.

      »Ja, aber für wen sollte er denn arbeiten?« fragte sie ratlos.

      »Für die Leute«, lautete meine Antwort.

      »Es kam niemand mehr. – Ja, so nach und nach blieb der aus und der. Die Bauern hatte er sich vertrieben. Die Schuldner bezahlten. Dann war's alle.«

      »Warum?« fragte ich. Aber meine Mutter wiederholte nur mit gramvollem Gesicht meine Frage und zuckte ratlos die Achseln. Allein kein Vorwurf, kein schwaches Greinen kam über ihre Lippen. Sie sah sich nur in unserer Stube um, der alle Behaglichkeit fehlte, seit sie zugleich Werkstatt geworden war.

      Die Gesellen auf allen Straßen in der Welt, die Lehrlinge hinterdrein. Im Laden lag der Staub auf allen Vorräten. Statt der breiten Tafel mit den plumpen Beinen, an der noch vor kurzer Zeit eine Menge arbeitstüchtiger Menschen sich unter altväterischen Gebräuchen zu den Mahlzeiten versammelt hatten, stand nun ein engbrüstiges Tischlein, gebrechlich und schüchtern, wie auf den Zehen. An Stelle des Glasschrankes kauerte in der Ecke eine schmutzige Walkwanne mit eingeweichtem Lohleder, das einen muffigen Geruch im Zimmer verbreitete. Die meisten Bilder waren durch Werkbretter von der Wand vertrieben worden. Nur das Heilandsbild, vor dem wir immer gebetet hatten, war wohl durch meine Mutter gerettet worden und hing vergessen und segenlos im dunkelsten Winkel. Die eichenen Holzkeulen, die plumpen Stanzblöcke und eisernen Füllstangen, die lange Reihe der Holzrößchen waren verschwunden. Die stolzen Geräte des selbstherrlichen Handwerkers lagen als altes Gerümpel auf dem Boden. Ein Nähkloben lehnte wie ein einsamer Betteljunge an dem einzigen Werktisch, auf dem neben einigen kleinen Lederspitzelchen und Gurtestückelchen ein winziger Hammer, eine Schere, ein Messer und eine Ahle lagen. Es sah aus, wie bei einem Flickschuster.

      Meine Augen wurden immer bewölkter von dem Rundgang durch diese Zeichen des Verfalls.

      »Ja, Franz,« sagte meine Mutter nun mit tiefer, trockener Stimme, »manchmal hält er im Arbeiten inne und sieht sich in der Stube um, wie ich und du es eben machen. Darauf sitzt er ganz still; kaum atmet er; manchmal schließt er auch die Augen und fährt sich langsam über die Stirn. Zuletzt packt er den Hammer und schlägt auf irgend etwas los, daß ich denk', er will alles in Grund und Boden zerdemolieren, und sein Gesicht wird fahl dabei wie eine Lehmtenne.«

      »Geht es den andern aber nicht auch so? Man macht doch jetzt fast alles in Fabriken«, erwiderte ich, um sie zu trösten.

      »Nicht allen, Junge«, sagte sie nach einigem Sinnen und krümmte die Lippen wie in schmerzvollem Lächeln. »Man muß der Sache ehrlich ins Gesicht sehen. Der Sattler auf der Balkengasse beschäftigt mehr Gesellen als früher, und der Wagenbauer Endel aus dem Ringe hat gar sein Haus aufgebaut.«

      »Dann meinst du, ist es bloß wegen dem?« fragte ich, ohne eigentlich zu wissen, was ich meinte. Es zog mich nur auf das leidenschaftliche Kreisen der mütterlichen Seele zu. So begriff ich auch nicht, weshalb meine Mutter bei meiner Frage wie schreckhaft ertappt aufsah.

      »Also