zu entwickeln. Wer dies verstanden hat, versteht auch, daß das Liebesproblem ein soziales Problem ist, das von einem nicht gelöst werden kann, der für den anderen wenig Interesse aufbringt, auch nicht von einem gelöst werden kann, der es nicht in sich trägt, daß er an der Entwicklung der Menschheit mitbeteiligt ist. Der wird ein anderes Bewegungsgesetz haben als ein Mensch, der zur Lösung der Liebesfrage geeignet ist. So können wir von allen Perversen feststellen, daß sie nicht zu Mitgehenden geworden sind.
Wir können auch die Fehlerquellen herausfinden, die uns verstehen lassen, warum das Kind im Mangel an Kontaktfähigkeit irrtümlich steckengeblieben ist. Diejenige Erscheinung im gesellschaftlichen Leben, die den stärksten Anlaß zur mangelhaften Kontaktfähigkeit gibt, ist die Verwöhnung. Verwöhnte Kinder haben nur mit der verwöhnenden Person Kontakt und sind infolgedessen genötigt, alle anderen Personen auszuschalten. Für jede einzelne Perversion sind noch andere Einflüsse nachzuweisen. Man kann sagen: hier hat unter der Einwirkung dieses Erlebnisses das Kind sein Bewegungsgesetz so gestaltet, daß es die Frage seiner Beziehung zum anderen Geschlecht in dieser Richtung durchgeführt hat. Alle Perversen zeigen ihr Bewegungsgesetz nicht nur dem Liebesproblem gegenüber, sondern bei allen Prüfungen, für die sie nicht vorbereitet sind. Deswegen finden wir bei sexuellen Perversionen alle Charakterzüge der Neurose, wie Überempfindlichkeit, Ungeduld, Neigung zu Affektausbrüchen, Gier, wie sich ja auch alle Perversen damit rechtfertigen, daß sie wie unter Zwang stehen. Es ist eine gewisse Besitzgier, die darauf ausgeht, den Plan, der ihnen durch ihre Eigenart gegeben ist, durchzuführen, so daß man einen so starken Protest gegen eine andere Form findet, daß für den anderen auch Gefahren nicht ganz ausgeschlossen sind (Lustmord, Sadismus).
Ich möchte zeigen, wie sich das Training für eine bestimmte Form der sexuellen Perversion ermitteln läßt, eine Beobachtung, die uns zeigt, daß gewisse Perversionen auf Grund eines solchen Trainings entstehen können. Man muß das Training nicht am Material suchen, man muß verstehen, daß das Training auch gedanklich und im Traum durchgeführt werden kann. Das ist ein starker Hinweis der Individualpsychologie, weil viele glauben, daß z. B. ein perverser Traum ein Beweis für angeborene Homosexualität ist, während wir aus unserer Auffassung des Traumlebens feststellen können, daß dieser homosexuelle Traum zum Training gehört, genau so wie er dazu gehört, das Interesse für das gleiche Geschlecht zu entwickeln, für das andere auszuschalten. Dieses Training möchte ich an einem Falle zeigen, in einer Zeit, wo von sexuellen Perversionen noch nicht die Rede sein kann. Ich lege zwei Träume vor, um zu zeigen, daß man das Bewegungsgesetz auch im Traumleben findet. Wenn man mit individualpsychologischen Kenntnissen ausgestattet ist, wird man nicht davor zurückschrecken, in jedem kleinen Bruchstück die ganze Lebensform zu erforschen. Wir müssen aber auch im Trauminhalt die ganze Lebensform finden, nicht nur in den Traumgedanken, die freilich bei richtigem Verständnis und bei richtiger Bezugnahme auf den Lebensstil zum Verständnis der Stellungnahme eines Individuums zu einem vorliegenden Problem außerordentlich förderlich sind, einer Stellungnahme, die durch seinen fixierten Lebensstil erzwungen ist. Ich möchte dem Gedanken Ausdruck geben, daß es uns so geht, wie bei einer Detektivarbeit. Wir sind nicht mit allen Materialien, die wir zu unserer Aufgabe benötigen, gesegnet, wir müssen die Fähigkeit des Erratens außerordentlich steigern, um die Einheit des Individuums festzustellen.
Erster Traum:
»Ich versetze mich in die zukünftige Kriegszeit. Alle Männer, sogar alle Knaben über zehn Jahre müssen einrücken ...«
Aus dem ersten Satz kann der Individualpsychologe schließen, daß das ein Kind ist, das sein Augenmerk auf die Gefahren des Lebens richtet, auf die Rücksichtslosigkeit der anderen.
»... Nun geschieht es, daß ich eines Abends, als ich aus dem Schlaf erwache, sehe, daß ich mich im Spitalsbett befinde. Am Bette sitzen meine Eltern.«
Aus der Auswahl des Bildes sieht man die Verwöhnung.
»Ich fragte sie, was los sei. Sie sagten, es sei Krieg. Sie wollten, daß mir der Krieg nicht so arg würde, deshalb haben sie mich operieren lassen, damit ich ein Mädchen werde.«
Daraus kann man sehen, wie die Eltern um ihn besorgt sind. Das heißt, wenn ich in Gefahr bin, so halte ich mich an meine Eltern. Das ist die Ausdrucksform eines verzärtelten Kindes. Wir werden keinen Schritt weitergehen, als wir unbedingt dürfen. Wir haben die Verpflichtung, bei unserer Arbeit so skeptisch wie möglich zu sein. Das Verwandlungsproblem taucht auf. Wenn man von wissenschaftlichen Versuchen absieht, die noch fraglich sind, so muß man sagen, daß die Verwandlung eines Knaben in ein Mädchen eine laienhafte Anschauung ist. Hier beweist sie die Unsicherheit in Beziehung auf das Geschlechtsleben; es zeigt uns, daß der Träumer in der Überzeugung von seiner Geschlechtsrolle nicht ganz sicher ist. Das wird manchen überraschen, wenn er hört, daß es ein zwölfjähriger Junge ist. Wir werden beobachten können, wie er zu dieser Auffassung kommt. Ihm erscheint das Leben durch Aufgaben wie die des Krieges unannehmbar; er protestiert dagegen.
»Die Mädchen müssen nicht in den Krieg ziehen. Wenn ich doch einrücken müßte, könnte mir der Geschlechtsteil nicht weggeschossen werden, da ich ja keinen wie die Buben habe.«
Im Krieg könnte einer um den Geschlechtsteil kommen. Ein wenig einleuchtendes Argument zugunsten der Kastration oder gar zum Ausdruck des Gemeinschaftsgefühls in der Ablehnung des Krieges.
»Ich kam nach Hause, doch wie durch ein Wunder hatte der Krieg aufgehört.«
Also war die Operation überflüssig. Was wird er nun tun?
»Vielleicht ist es nicht notwendig, daß ich mich wie ein Mädchen verhalte, vielleicht gibt es keinen Krieg.«
Man sieht, er trennt sich nicht ganz von seiner Knabenrolle. Das müssen wir in seinem Bewegungsgesetz vermerken. Er trachtet, ein Stückchen auf der männlichen Seite weiterzugehen.
»Zu Hause wurde ich sehr traurig und weinte viel.«
Kinder, die viel weinen, sind verzärtelte Kinder.
»Als meine Eltern mich fragten, warum ich weine, sagte ich, ich habe Angst, da ich zum weiblichen Geschlecht zähle, daß ich, wenn ich älter werde, Geburtswehen bekommen würde.«
Mit der weiblichen Rolle ist es auch nichts. Wir waren auf dem richtigen Wege, sein Ziel dahin festzustellen, daß der Junge allen Unannehmlichkeiten ausweichen will. Ich habe bei sexuell Perversen gefunden, daß sie verzärtelte, oft in Ungewißheit gehaltene Kinder sind, zumindest eine große Sehnsucht nach Anerkennung, sofortigem Erfolg, persönlicher, gieriger Überlegenheit haben. Da kann es vorkommen, daß das Kind nicht weiß, ob es ein Knabe oder ein Mädchen ist ... Was soll er machen? Auf der Männerseite gibt es keine Hoffnung, auf der anderen auch nicht.
»Am nächsten Tag gehe ich in meinen Verein, denn ich bin in Wirklichkeit in einem Pfadfinderverein.«
Wir können uns schon vorstellen, wie er sich dort benehmen wird.
»Ich träumte, in unserem Verein ist ein einziges Mädchen. Das war abgesondert von den Buben.«
Suche nach Trennung der Geschlechter.
»Die Buben riefen mich zu ihnen. Ich sagte, ich sei ein Mädchen, ging zu dem einzigen Mädchen. Mir kam es so sonderbar vor, daß ich kein Bub mehr sei und ich dachte nach, wie ich mich benehmen müßte als Mädchen.«
Auf einmal taucht die Auffassung auf: wie ich mich benehmen müßte als Mädchen.
Dies ist das Training. Nur wer das Training bei allen sexuellen Perversionen beobachtet hat, wie es unter Ausschaltung der Norm erzwungen wird, nur der versteht, daß die sexuelle Perversion ein Kunstprodukt ist, das jeder selber schafft, zu dem jeder durch seine psychische Konstitution, die er selbst geschaffen hat, angeleitet wird, gelegentlich verleitet durch seine angeborene physische Konstitution, die ihm die Schwenkung leichter macht.
»Im Nachdenken wurde ich durch einen Krach gestört. Ich wachte auf und merkte, daß ich mit dem Kopf an die Wand geraten sei.«
Der Träumer hat oft die Haltung, die seinem Bewegungsgesetz entspricht. Mit dem Kopf an die Wand rennen, ist eine landläufige Redensart. Sein Verhalten mutet uns so an.
»Der