Peter Lindenthal

Peregrinatio Compostellana anno 1654


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die Wache vom Mastkorb aus ein Schiff vom französischen Festland auf uns zusegeln, das bald als Piratenschiff identifiziert wurde. Um diesem – schwereren – Schiff zu entfliehen, zogen die unsrigen gleich ein zusätzliches Segel auf, das üblicherweise nit Verwendung findet, aber eigens für solche Notfälle gedacht ist. Und schon nach einer halben Stunde hatten wir die Piraten aus den Augen verloren.

      Um Mitternacht des 16. Mai, also zwischen Samstag und Sonntag, und bei tiefster Dunkelheit, erblickten wir über dem hinteren Mast und über der Poppe (Anm.: Heck) ein großes kugelförmiges Feuer, das zwei Stunden lang hell leuchtete, bevor es wieder erlosch. Die Schiffsleute nannten es Elmsfeuer. Zu Beginn hatte es mich gewundert, dass sie es wagten, so ein großes Licht anzubringen, wo man doch in den vorangegangenen Nächten aus Angst vor den französischen Korsaren oder anderen Seeräubern nicht einmal eine Laterne hatte anzünden dürfen. Doch dann riefen sie uns aus unseren Kajüten und schrien: „Sant Elmo, Sant Elmo!“ Sie erklärten, es sei der Hinweis auf die Anwesenheit ihres Patrons, und dass sich dies höchstens einmal alle 100 Jahre ereigne. Und es sei ein gutes Zeichen, dass sich die Flamme nicht weiter ins Schiff herabgesenkt hätte. Denn dann würde dies ein schweres Unglück bedeuten. Ich berichte hier nur, was ich gesehen und höchstpersönlich erlebt habe und lasse es dahingestellt, ob es ein übernatürliches Zeichen Gottes oder eines seiner Heiligen oder aber eine natürliche meteorische Entzündung gewesen ist. Obwohl eine solche meines Erachtens zwischen dem vorderen und mittleren Mastbaum, die beide unvergleichlich höher und dicker sind, viel eher hätte stattfinden müssen als ganz hinten, wo das Schiff am schmalsten und am niedrigsten ist. Wer aber den weiteren Verlauf der Ereignisse verfolgt, wird wohl eher dazu neigen, der alten Seemannstradition Recht zu geben.

      Denn am Sonntag dem 17., des Abends, erhob sich ein so starker Gegenwind, dass wir gezwungen waren, Schiff und Segel anders auszurichten. Es blieb aber nicht bei dem einen Gegenwind. Bald brachen aus allen vier Himmelsrichtungen starke Windböen abwechselnd und mit solcher Gewalt über uns herein, dass es die Segel hin- und herriss. Aus allen Richtungen stürzten auch starke Wellen auf das Schiff, dass wir es nur mehr krachen und knallen hörten. Die guten Schiffsleute hatten die ganze Nacht keinen ruhigen Augenblick, ihre gefährliche Arbeit gönnte ihnen nicht einmal eine Atempause. Das war ein unaufhörliches Laufen von einer Notlage zur anderen, Seile festbinden und losmachen, Segel raffen und nachlassen, ein stetig eiliges Auf- und Absteigen. Die grausamen brausenden und tobenden Winde von oben und die das Schiff wütend bedrängenden Meereswellen von unten wollten kein Ende nehmen. Der Bug wurde immer wieder tief ins Wasser getaucht, die Aufbauten so beschädigt, die Zimmerleute mussten in stockdunkler Nacht versuchen, das Allernotwendigste zu reparieren. Dann wurde der Sturm aber so heftig, dass er den Zwerg- oder Segelbaum, der am vorderen Mastbaum befestigt ist, in einem Augenblick entzwei- und mitsamt dem Segel ins Meer hinausriss. Doch dann bemerkten wir, dass etwa die Hälfte des Mastes, der ja doch runde vier Spannen im Durchmesser maß, noch am Tauwerk und Segel hing und wir konnten ihn wieder an Deck ziehen. Unter den Passagieren, es waren Kaufleute, Pilger und andere Reisende, herrschte mittlerweile nichts anderes als Angst und Not. Rechnete man doch jeden Augenblick mit dem Untergang des Schiffes. Die Schwachen saßen oder lagen in ihren Kajüten, die Stärkeren knieten, die anderen tröstend, indem sie ihnen zusprachen oder vorbeteten. Man fasste nicht nur tausenderlei gute Vorsätze, sondern legte allerlei feierliche Gelübde ab, sowohl ganz allgemeine als auch spezifische. Noch wollte nichts helfen. Alle wurden immer verzagter und es war nur mehr Seufzen, Weinen und Heulen zu hören. Einer nach dem anderen beichtete, bis auf einen Geistlichen, der bereits beim Antritt der Reise in Genua seine Generalbeichte abgelegt hatte. Ein anderer, der anscheinend schon viel Erfahrung mit Schiffsreisen hatte und ein recht mutiger Mann war, ging trotz der Gefahr mit allerlei tröstenden Worten ein und aus, um dem jammernden Häuflein Mut zuzusprechen. Bis die Not so groß war, dass sogar ihn der Mut verließ und ihn der Gedanke an seinen bevorstehenden Tod zu Kreuze kriechen ließ. Als nun sogar dieser Mann die Beichte ablegte, verließ alle die Hoffnung auf ein Überleben. Sogar der Priester, der schon in Genua gebeichtet hatte, bat noch einmal um die Absolution, warf sich mit dem Gesicht zu Boden und rief mit hellem Weinen Gott um Barmherzigkeit an.

      In solch höchster Not kam ein Teil der Passagiere, wie schon vorher mehrmals, abermals zu mir, in der Hoffnung, ich wüsste doch ein geistliches Mittel, den wohl zu Recht über uns zürnenden Gott zu versöhnen. Weil aber ein jeder, alles, was man beten oder an Gutem ersinnen konnte, schon in die Runde eingebracht hatte, fiel mir nur mehr die Litanei des hl. Joseph ein, des Nährvaters Christi, der ja auch ein Patron der Reisenden ist. Ihm zu höchstschuldigen Ehren, neben Gott und der jungfräulichen Mutter, habe ich sie aufgeschrieben (wissend, dass ich mich damit dem Vorwurf der eitlen Ruhmessucht aussetze). Weil ich sie vor kurzem anlässlich einer Reise schon gebetet hatte, konnte ich sie noch auswendig und sprach sie, so laut und deutlich, wie ich nur konnte, vor:

       Kyrie eleison &c

       Pater de caelis Deus &c

       Sancte Joseph, a mator castitatis &c

       Sancte Joseph Patrone, defensor, advocate noster dulcissime &c

       Die Versammelten antworteten, zugleich eifrig und kläglich:

       Miserere nobis, ora pro nobis, ora &c

      Kaum war die Litanei zu Ende, wurden alle auf dem Schiff Zeuge, wie die heftigen, stetig wechselnden Winde nachließen und einem kräftigen sanften und gleichmäßigen Wind Platz machten, der uns innerhalb von zwei Tagen und Nächten, also Montag und Dienstag, zwar wieder zurück, doch in einen sicheren Hafen brachte, nämlich in die feste Stadt Calvi auf der Insel Korsica, die zur Republik Genua gehört. So hat uns also Gott Beistand geleistet.

      In Calvi war es schwer, das Holz und anderes Material für die Reparatur des Schiffes zu bekommen. Deshalb lagen wir hier über die Pfingstfesttage hinaus insgesamt neun Tage lang still. Vor welch großem Elend uns Gott darüber hinaus noch bewahrt hat, werde ich später erzählen, wenn von Alicante die Rede ist.

      Unser Stückmeister (Anm.: Proviantmeister), den sie Capo nennen, fing im Hafen überaus schöne Fische in allerlei Farben – rot, blau, grünlich. Kein Maler könnte je ihre glänzenden Farben so schön wiedergeben. Mit dem Netz fingen die Schiffsleute manch großen Fisch und auch große Krebse, von denen einer wohl leicht seine zwei Pfund schwer war. Languste nannten sie ihn, gar gut zu essen.

      Wohlan, am 30. Mai, Samstag vor dem Dreifaltigkeitsfest, fuhren wir von Calvi fort, drei Tage und Nächte hatten wir immerdar guten Wind (die Schiffsleute nennen ihn Maestrale, Mistral, oder auch Grego Levante) in Richtung Spanien, also für unser Vorhaben gerade richtig. Besonders am letzten des Monats und am 1. Juni war er so stark, dass wir nach Aussage der erfahrenen Seeleute in der Stunde ungefähr drei deutsche Meilen zurücklegten. Wir ingolfirten also, das heißt, wir erreichten hohe See am Sonntag der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, und auch am Montag wurde das Schiff in einem steten, glücklichen Lauf den Tag und auch die Nacht vorangetrieben.

      Am folgenden Tag, als wir rechts an Mallorca und Menorca vorbeifuhren und schon die Insel Ibiza in Sicht kam, steigerte sich der gute Wind zu einer Fortun (Anm.: Sturmwind), für den die neugemachte Trinchetta (Anm.: Segelbaum) zu schwach war: Da sich nämlich das dicke, feste und starke Segel nit zerreißen ließ, musste eben der Segelmast daran glauben. Wir hatten gerade unser Mittagessen eingenommen und waren froher Stimmung, als dieser mit einem Knall zersprang, vom Mast herunter und am Bug mitsamt dem Segel ins Meer fiel. Dem Schiffsrumpf wurde dadurch ein gewaltiger Schlag versetzt, dass es schien, als würde das Schiff mit dem Bug voran ins Meer stürzen. Da sahen wir, wie ein kräftiger Schiffsbursch meisterhaft und unverzagt zugleich ins Meer sprang, um das Segel zu retten. Und als er dies mit viel Mühe geschafft hatte, ein anderes, kleineres Segel aufspannte. Das größere war, weil nass und auch wegen des zerbrochenen Baumes, nit mehr zu gebrauchen. Während all dies geschah, war das Schiff nur sehr schwer zu steuern, weil das mittlere, größere Segel wegen des fehlenden Vorschubs des ersten, zerrissenen Segels oft unkontrolliert schlug und dadurch das Steuerruder hin- und hergerissen wurde. Doch Gott half uns mittels der erfahrenen Steuermänner und Seeleute väterlich auch aus dieser Not. (Nur kurze Zeit vor diesem unerwarteten Schrecken hatte mir ein Kaufmann aus Genua in Erinnerung an den schrecklichen Sturm