das super. Ganz entspannt atmen … Ja, ja, komm’, bleib in der Hermann Maier-Hocke, drück’, drück’… Nein, zu sehen ist noch sowas von nichts. Es kann sich also nur mehr um Stunden handeln. Soll ich dir vielleicht das indianische Wiegenlied singen? Das, was wir im Geburtsvorbereitungskurs so schön einstudiert haben, mit dem Geographie- und Turnen-Lehrerehepaar? Du erinnerst dich doch, Prinzessin? Das hast doch so gern mögen … Einfach so, einfach zur Entspannung, ich bin’s nämlich, dein ganz persönlicher Schorschi … Sag einmal, bist du völlig enthemmt! Hör einmal, ich bin ja schließlich kein Indianer und deswegen kenn ich einen Schmerz. Und zwar jetzt in- und auswendig. Aua! Jetzt hat sie mich wirklich gebissen, aber nicht wenig. Ich mein, wie geht’s der eigentlich! … Aua … Oh, Lord! Aber der kann mir jetzt auch nicht helfen, der liebe, liebe Gott. Der ist nämlich single und hat die Fortpflanzung außer Haus gegeben. Der hat sie quasi seinen Sohn catern lassen. Der ist nämlich kein Trottel. Also wenn’s ihn geben sollte, was ja gar nicht so sicher ist, dann ist der kein Trottel.
Was ich allein in den letzten neun Monaten mitgemacht hab, mein lieber Schwan! Ich hätt’ mir ja gern noch ein bisserl Zeit lassen, mit dem Baby. Ich bin ja erst 39, noch überhaupt kein Alter für einen zeugungsfähigen Mann, aber der Gnädigsten hat es naturgemäß pressiert. In den neun Monaten bin ich gealtert und zwar um Wochen! Diese Stimmungsschwankungen, wie auf einer Achterbahn, also normal war das nicht. Gut, was ist schon normal, in der Psyche einer werdenden Mutter. Nämlich genau original nichts. Ich hab’ mich wirklich eingetunt auf diesen Irrsinn. Am Anfang hab ich aus Solidarität sogar mitgereihert. Weil ich nicht so ein gefühlskaltes, unsensibles Macho-Superego sein wollt’, hab’ ich in der Früh, einfühlsam wie ich nun einmal bin, einen Retourhunger aufgerissen. Auf voll nüchternen Magen und obwohl mir gar nicht danach war. Aber das war noch nicht genug. No, no, no – nicht für diese, meine einzigartige werdende Mutter, vormals Frau.
Und erst die Verlustängste, grüß Gott. Im Dreiminuten-Takt hat sie mich angerufen: »Wo bist du?« »Wann kommst du?« Und: der Megatopfavorit unter den Fragen: »Hast du mich noch lieb? Hast du mich noch lieb, jetzt wo ich wie ein aufpumptes Michelin-Weiberl ausschau, Schorschi?« Natürlich hab’ ich dich lieb, du bist wunderschön mit deinem prächtigen Bauch’, hab‘ ich ihr geantwortet, du machst mich zum stolzesten Mensch auf diesem Planeten. Ich bring’ die Nummer schon, wenn’s sein muss. Aber wird sie je wieder die Nummer bringen? Wird die je wieder ihre Figur kriegen? Wird das Wasser aus ihren vormals Aber-hallo-Beinen abfließen? Wohin fließt das eigentlich, das ganze Wasser aus den Beinen? Ist da irgendwo ein Schwangeren-Beine-See, der das ganze Wasser aufnimmt?! Aber vielleicht ist es eh völlig egal, ob sie je wieder ihre Figur kriegt. Vielleicht will sie ja eh nie wieder Sex, jetzt wo sie abtaucht in diesen Mutter-Ich-habe-Leben-geschenkt-Glückshormonnebel.
Am Anfang ist ja gar nichts mehr g’laufen, außer dem Fernseher. Und was wir uns da für einen behinderten Schrott reinziehen mussten! »Forsthaus Falkenau«, »Reich und schön«, den »Bergdoktor«. Und kaum ist beim »Bergdoktor« eine dumme Kuh beim Kalben drauf gangen, war’s ganz aus. »Baby, ganz alleine, Mama tot, Baby traurig, ich muss weinen, ganz viel weinen.« Meine Frau, die früher, friktionsfrei aus der Hüfte, ganze Coaching-Seminare abgehalten hat. Offene Psychiatrie, so eine schwangere Frau.
Rein sexuell war sie ja sehr verschlossen, am Anfang. »Du Barbar, wie kannst du jetzt nur an Sex denken«, hat sie mich angebissen, als ich irgendwann vor sie hingetreten bin und gesagt hab: »Ok, Schatzi, ich werde Vater, aber hauptberuflich bin ich noch ein Mann.« Ab dem fünften Monat hätte ich auf einmal wieder antreten dürfen. Und zwar nicht wenig. Nur: da wollt ich nicht mehr, also ehrlich nicht, schon aus Respekt wegen meinem Kind. Ich meine, was denkt sich so ein Embryo, wenn auf einmal so ein Glatzkopf bei der Tür reinschaut. Sagt der dann »Bitte schön, kommen’S nur weiter, hier ist Platz für uns alle« oder reißt so ein Embryo dann ein pränatales Trauma auf, das mich später einen fabriksneuen BMW an psychiatrischer Betreuung kosten wird? Ich bin ja wirklich nicht geizig, aber ihre Kaufräusche waren auch nicht von schlechten Eltern. Mein ehemaliges Arbeitszimmer schaut aus wie ein Truppenübungsplatz für Plüschtiere. Entwürdigend! Allein schon dieser Bonbon-Terror von Farben. Diese armen Kinder! Wollen die das alles überhaupt? Fragt die irgendjemand? Vielleicht stehen die ja mehr auf Erdfarben als diese super-pickigen Zuckerltöne.
Auf alle Fälle kriegen wir in Bälde das goldene Verdienstkreuz der Firmen »Jacquardi«, »Chicco« und »Toys Are Us«. Das Baby hat doch nur einen Hintern, wieso braucht des eigentlich drei Kinderwägen, hab ich mir erlaubt anzumerken. »Weil du dich nicht auskennst, Schorschi, und weil unser Kind, genau wie wir, nicht der Dalai Lama ist«, hat sie nur gesagt. »Wir brauchen nun einmal eine Erstlingskarosse in Navy-Blue für die ersten Ausfahrten, schließlich soll das Manifest unserer Liebe nicht leben wie ein Hund, dann einen praktischen Sportwagen mit abnehmbarem Maxi-Cosi-Sitz und natürlich Blizzard, den einrädrigen Turbo-Jogger, weil ich ja irgendwann wieder meine Figur – uahhhähhhplärr – kriegen möchte.«
Gut, da hat sie ausnahmsweise Recht, weil das Essverhalten wäre auch eine Dissertation wert gewesen. »Ich brauch Nussschokolade, Schorschi«, hat sie mich mitten in der Nacht wachgerüttelt, »Nussschokolade, ganz, ganz dringend. Es ist ein Notfall. Bitte, Schorschi, fahr’ zum Würschtlstand, dein ungeborenes Kind will Nussschokolade.« Also bin ich gefahren, konnte aber nur eine Noisette-Schokolade und eine mit Erdbeerrahmfüllung aufstellen. Na, mehr hab’ ich nicht gebraucht. »So lieb von dir, Schorschile, dich hab’ ich ja gar nicht verdient. Wo ist aber die mit den Nussis?«, hat sie mich dann mit schreckensgeweiteten Augen gefragt. »Gut aber aus, Weiberle.« Und dann ging das Geflenne los. »Schorschi, du Gefrierschrank von einem Mann, ich bin dir nichts mehr wert, nicht einmal eine vertrottelte Nussschokolade, verlass’ mich doch gleich, dann brauch ich deine verfluchte Nussschokolade nicht mehr, die kannst du dir dann rektal, deine sinnlose Nussschokolade, die du eh nicht aufzustellen imstand bist, du Versager, ich steh’ das schon alles alleine durch …«
Und dann hat sie sich an den Küchentisch gesetzt und ein Glas Teufelsroller, Geschmacksrichtung extramongolisch, ausgelöffelt. Ohne mich eines halben Blickes zu würdigen. Da brauchst du Nerven wie Bruce Willis in »Stirb langsam«, eins, zwei und drei. Ich meine, unsereins gilt ja genau nichts bei dieser Vermehrungsgeschichte. Unsere Gefühle zählen da genau cinque. Keiner fragt mich, wie’s mir damit eigentlich gehen wird, wenn ich statt Miles Davis nur mehr Benjamin Blümchen hören darf. Keiner fragt mich, wie’s mir geht, wenn meine Frau, dieser toughe Feger, sich auf einmal benimmt, wie ein geschlechtsloser Klumpen Happy-Deppi-Mensch. Keiner fragt mich, wie’s mir eigentlich geht, wenn mein Arbeitszimmer in so einen Luxus-Häschenstall umgewandelt wird …
Wer passt denn eigentlich dann so auf auf Kinder, wenn man doch wieder irgendwie wieder einmal leben möchte? Kreischblonde Schwarzarbeiterinnen aus den ehemaligen Kronländern? Solche mit ganz viel blauem Lidschatten, die gern telefonieren? Vor allem von meinem Festnetz. Heutzutage können die Kinder ja schon Tschechisch, bevor sie überhaupt auf die Welt kommen. Oder ist sie, die Einzigartige, dann doch mehr auf der progressiven Seite beheimatet und vertraut unseren Augenstern so einer vampirbleichen Kunststudentin im 17. Semester an? So einer Gruftie-Braut eben, die voll-na-pfahh auf dem kreativen Entfaltungsterror drauf ist. Während wir pseudo-entspannt in einer schicken Terence-Conran-Crossover-Fusion-Kantine versuchen, unsere Ehe wieder halbwegs auf die Reihe zu kriegen, schändet unsere Brut gerade die eierschalenfarbene Castigilioni-Designercouch mit Fingerfarben, also eigentlich chemiefreien Pigmentfarben. Solche, die ganz schwer rausgehen, damit sich’s auch wirklich auszahlt.
Wenn wir dann rechtschaffen erschöpft heimkommen, empfängt uns diese Vampirpädagogin in unserer völlig devastierten Wohnung, zeigt uns die mit chemiefreien Pigmentfarben geschändete, früher eierschalenfarbene Designercouch und sagt: »Die Kleine hat heut’ was ganz Tolles g’macht. Sind da nicht wahnsinnige Emotionen drinnen?« Wir sagen nichts. Schließlich wollen wir uns der Vampirpädagogin nicht als materialistische Spießerlulus outen und zahlen der Person das Taxi in den 23. Bezirk, denn solche wohnen immer im 23. Bezirk. Damit sich’s auch wirklich auszahlt. Als die Tür ins Schloss fällt, checken wir sofort in diesem atompilzgrünen Bene-Ordner die Haushaltsversicherungspolizze. Der Passus »Schadensdeckung-wegen-unaufschiebbarer-Fingerfarben-Schändung-von-eierschalfarbenen-Designercouchen« scheint dort – Überraschung! – nicht auf.
Meine Aorta beginnt