Psychopathologie des Alltags Befremdende Graugrüne kennzeichnete C’s Gesicht. »Hast du Verwandte bei der VOEST? Sitzt Saturn im Chefsessel deines Sternzeichens? Was los?« Jetzt flüsterte C, unverständlicherweise, denn die Bar im »Bristol« war ohnehin von wohltuender Leere: »Es liegt alles noch so dort. Genauso.« »Keine Details, welches Stück?« pflegte der selige Aslan seinerzeit an der »Burg« seine Souffleuse zu fragen, und da ich jetzt auch an einer Zusammenhangsschwäche laborierte, tat ich es ihm einfach nach. »Ich war in der Wohnung meiner Ex-Frau, Sachen abholen …« »Na bravo!« Die Anmerkung entbehrte nicht unterschwelliger Süffisanz, denn C hatte vor mehr als fünf Jahren seiner Ehe zwecks zwischengeschlechtlicher Neuorientierung Adieu gesagt. Die Selbstfindung war übrigens blond und sehr langbeinig. »Auf meinem Ex-Nachtkastl liegen dieselben Zeitungen und das Buch, so aufgeschlagen, wie ich es im Winter 2000 hinterlassen habe.« »Himmel! Was für ein Buch überhaupt?« »Freud und Psychopathologie des Alltags.« »Na wenigstens, und passend obendrein – stell’ dir vor, es wäre Donna Leon oder gar Grisham gewesen. Zu peinlich!« »In den Schränken und Schubladen – alles voll von meinem Zeugs. So, als ob ich jederzeit wieder um’s Eck biegen könnte.« »Diese arme Frau! Wie kann man nur seine besten Jahre dermaßen schwachsinnig verschleudern!« Zur Graugrüne gesellte sich jetzt bei C etwas Pikiertheit: »Es muss ja nicht jeder so radikal sein wie du.« C hatte mich schon begleitet, als ich am Tag Zwei edles Ludwig Reiter-Schuhwerk Abtrünniger für die Obdachlosen in der Meldemannstraße deponiert habe. Nicht, weil ich so ein grundgütiger Mensch bin, sondern für meine geliebte Psychohygiene einfach keine großen Gesten zu scheuen gewillt bin. »Wenn du diese Gin Tonics hier ohne viel Fackeln brennst«, sagte ich jetzt, »würde ich mich zu der Ansage hinreißen lassen, dass man so einen Prachtkerl wie dich natürlich nicht so mir-nix-dir-nix loslassen kann.« »Deal done!«, schmetterte er und alle hatten was davon. Vagina-Dialoge »Die Hälfte der Welt«, brüllte die drahtige Wirkwaren-Zampana und hüpfte dabei wie ein aus dem Ruder geratenes Jojo-Bällchen auf und ab, »gehört uns. Und passt auf, ihr Männer da draußen, wir werden sie uns schon demnächst abholen.« Die anwesenden Damen erhoben ihre naturtrüben Obstsäfte und Prosecci und johlten ganz undamenhaft. Eine Werbe-Tycoonesse boxte mich in die Seiten: »Was is’, Frau Polly, ein bisserl mehr körpersprachliche Solidarität.« Ich winkte ermattet, mein Enthusiasmuspotenzial hatte ich auf dem gestrigen Robbie-Williams-Konzert angesichts des vortragenden Testosteron-Tierchens gänzlich erschöpft. Und außerdem: Diese Art der Veranstaltungen, die neuerdings wie ein Virus um sich griff, begann mir gehörig auf den Geist zu gehen. Allerortens wurden Salons, Network-Plattformen und Get-togethers einberufen, die auf der Zusammenrottung von Karrierefrauen basierten. Männer hatten bei diesen geschlechtlichen Ghettoisierungskonzepten naturgemäß keinerlei Zutritt. Im Glanz ihrer Abwesenheit wurde ihnen bei diesen Vagina-Dialogen ein Rollenrepertoire irgendwo zwischen Lianen schwingendem Neandertaler und Würmchen zugedacht. Als die Wirkwaren-Zampana beim Après mir zuflüsterte, dass sie demnächst zwecks Bräutigam-Schau nach Jamaika stechen würde und dann kicherte: »Once you go black, you never go back«, machte ich einen englischen Abgang, d. h. ich verdrückte mich ohne unnötige Verzögerung durch Grußformeln. Draußen rief ich meinen amerikanischen Freund A an. »Baby, Baby please«, winselte ich, »wälze dich in Schweiß, billigem Aftershave und Benzin und geh’ mit mir in einer Primitivhütte ein blutiges Steak essen.« »Anything else?« »Auch Bierbäuerchen sind heute erlaubt. Just do it!« Dann seufzte er und sagte: »Women, they still keep me confused, but on a much higher level.« Ich nahm den Satz sowohl als Kompliment als auch als Kapitulation. Und sollte es nicht bereuen. Geringe Ausgeburten Ein sattgoldener Frühherbsttag, der das Zeug zum Prototyp in der metrologischen Verkaufsbranche besaß. Ich schaukelte in einem Boot, das ich in aller Stille »Jennifer« getauft hatte. Es war sehr weiß und hätte durchaus ein paar Vulgaritäten wie Versace-Kissen und grüne Drinks mit Schirmchen vertragen. Wenn Glück als ein Signal gewertet werden kann, das die Evolution erfunden hat, um uns zu zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wie mir das das Bildungsbürger-Periodikum »Du« neulich verklickerte, war ich gerade glücklich. Ein paar Herzschläge lang zumindest. Denn am Altausseer Gestade saßen die undurchschaubarste aller Töchter und ihre akute beste Freundin. »Oh Gott!«, durchschnitt die Tochter-Stimme die Fünfstern-Stille, »er hat mich verlassen!« »Diese geringe Ausgeburt«, kam es Katastrophen-affirmativ von der Kollegin, »dort wo bei uns ein Herz pocht, hat der Mann graue Steine.« Mein Fleisch und Blut warf seine Mähne jetzt mit aller zur Verfügung stehenden Theatralik nach hinten: »Wann werden diese Dreckskerle endlich begreifen, dass wir Frauen Gefühle haben und kein Sondermüll sind?« Alarmbereitschaft meinerseits. Hatte das Kind »Reich und schön« in der Endlosschleife konsumiert? Oder war ich, die Person, die Vorbildcharakter in ihrer Job-Description stehen hatte, verantwortlich für die psychosoziale Schieflage ihres Männerbilds? »Mäuse«, sagte ich, »Männer sind doch was ganz Wunderbares.« »Und wieso?« »Nun ja, sie wollen nicht erwachsen werden, schauen einen manchmal so an, dass man purzelweich in den Knien wird, und sind immer für eine Überraschung gut.« Meine Image-Propaganda war für die Würste. »Bingo«, krähte meine Tochter, »genau das sind die Gründe, warum wir so dringend ein kleines Hündchen brauchen.« Ich beschloss die Strategienfindung des Propagandaministeriums zwecks Zurechtrückung des Männerbilds in der neuen Generation an einen graueren Tag zu verlegen. Job-Description Klagemauer Männer besitzen oft einen unfreiwilligen Unterhaltungswert, der einen fassungslos macht. Dazu ein etwas älteres Anekdötchen aus meiner Liebesbio. Vor mehr als zehn Jahren hatte mein zukünftiger Ehemaliger mir den Wanderstab in die Hand gedrückt, weil er sich in eine Erbin von inneren Werten in Millionenhöhe »verschaut« hatte. Als ich tief nachts in meiner Waidwundheit badete, schrillte das Telefon. Eine höchst aufgeregte Frauenstimme: »Frau Adler?!« »Bingo!« »Gut, dass Sie noch auf sind. Es ist nämlich so: Eigentlich hatte Ihr schöner Freund bis jetzt mit mir ein Verhältnis, das an der Kippe zu einer richtigen Beziehung stand …« »Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?« »Und jetzt ist dieser Drecksack mit dieser Autozubehör-Schlampe zugange, dabei hatten wir schon Pläne …« Der letzte Satz ging in einer Lawine von Trauerlauten unter. Sie sammelte sich wieder: »Das ist doch unerhört. Ich frage Sie: Lohnt es sich, um ihn zu kämpfen?« »Sieht nicht so gut aus«, flüsterte ich, »der Mann ist, was seine Finanz-Psyche betrifft, eher vorsorgeorientiert. Und am liebsten ist ihm, wenn er diese Vorsorge delegieren kann.« »Dabei wollten wir zu Weihnachten nach Indien fahren.« Kolossal! Dass ein verschmähtes Amourettl die Haupt-Verlassene als Klagemauer missbrauchte, hatte Woody Allen-Niveau. Was erwartete sich die beste? Dass ich ihr meinen zukünftigen Ex wieder schön reden sollte? Oder wir gemeinsam das Lamento-Duett über seine charakterlichen Defizite anstimmen sollten? Da mich bleierne Müdigkeit zu übermannen drohte, versuchte ich den Irrsinn so abzukürzen: »Bitte nicht mehr traurig sein! Es wird ja wieder einen Mann in meinem Leben geben, den Sie sich krallen können.« Dabei kannte ich damals die eherne Lebensregel des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld noch gar nicht, die da lautet: »Gebrauche stets Humor in harten Zeiten.« Sechsspännig ins Armenhaus »Ich werde das Designergürtelchen enger schnallen müssen«, flüsterte ich am Telefon, »die Party ist vorbei.« »Ich bin ganz bei dir«, antwortete mein bisheriger Waffenbruder in Sachen konsumistischer Leichtsinn, »aber warum sprichst du so leise?« »Aus purer Existenzangst